Rosenblüte

Vielleicht hätte ich heute früh im Bett bleiben sollen, als der Wecker klingelte. Ich hatte schlecht geschlafen, schlecht geträumt und ahnte noch nicht, welch ein Chaos mich heute erwarten würde.

Als ich mich aus dem Hotelbett gequält und mich ins Bad geschleppt hatte, schaute mich ein Wesen im Spiegel an, das locker 200 Jahre alt war, verquollene Augen hatte und Panda-Augen vom MakeUp des Vortags. Ich sah aus wie ausgekotzt und erst mein MakeUp, drei Tassen Kaffee und ein gutes Frühstück brachten mich einigermaßen auf die Beine.

Als meine Freundin M. und ich dann langsam nach München rollten, begann mein nervöses Bauchkribbeln, das ich schon von der GaOP kenne. Es wurde ernst und alles lief bisher wie am Schnürchen. Am gestrigen Abend hatten wir noch einen netten Plausch in der Praxis von Dr. Taskov gehalten, die Anästhesie-Aufklärung war blitzschnell erledigt und wir bekamen sogar einen tollen Parkplatz direkt vor der Klinik.

Mit einer Mischung aus Vorfreude und Nervosität schossen wir beide noch einen Selfie vor dem Klinikeingang, noch in dem Glauben, dass ich das Gebäude erst in 14 Tagen würde wieder verlassen können. Doch da war ich bereits der ersten Fehlannahme anheimgefallen!
Wir wirbelten durch die Drehtür, wuchteten mein Gepäck die Stufen zur Rezeption hinauf und freudig platzierte ich mich vor dem Tresen. Ich wollte gerne Einchecken. Der junge Herr mit sehr kargem Wortschatz hinter dem Tresen wollte das allerdings nicht. „Sie müssen morgen wiederkommen. Hier steht: Einchecken am 03.02.!

Mir fiel alles aus dem Gesicht. Wie bitte?! Das musste ein Fehler sein! Bei der GaOP hatte ich auch am Vortag eingecheckt, am Abend das lästige Abführmittel geschlürft und mich sonst wie auf die OP vorbereitet. Wie das nun aber ablaufen sollte, wenn ich morgen wiederkommen würde, konnte mir niemand sagen. Wo sollte ich so plötzlich einen Schlafplatz herbekommen? Ich forderte selbstbewusst jemanden, der sich qualifiziert dazu äußern konnte, mein Blutdruck stieg bereits. Doch das war erst das Vorspiel!

Es erschien ein Herr, dessen Visitenkarte etwas von „Projekt Manager“ und „Geschäftsführung“ berichtete, und erklärte mir, dass das bei Korrektur-OP’s total normal sei, erst am Tag der OP in der Klinik zu erscheinen. Schön, dass mir das auch mal jemand mitteilte! Jetzt, wo ich 600km in den Süden gefahren war, extra einen Tag früher und für die kommende Nacht überhaupt keine Unterkunft hatte. Klasse! Danke für nichts!

Mein Blut begann zu kochen, denn angeblich gab es keinerlei freie Betten mehr in Bogenhausen. „Selbst wenn ich Sie unterbringen wollte, ich könnte es nicht„, gab mir Mr. Projekt Manager Geschäftsführung zu verstehen. „Wenn ich privat versichert wäre, wäre hier sicher noch etwas frei„, sagte ich später verärgert zu M. und sie nickte. Eventuell, vielleicht, möglicherweise könnte er mir ein Zimmer in der Schwesterklinik in Pasing besorgen, aber nur auf Selbstkostenbasis von rund 100€. Yeah! Klar! Schleudern wir das Geld doch einfach zum Fenster raus!

Doch das war lediglich Problem Nummer 1. Problem Nummer 2 war, dass die Anästhesie offenkundig versäumt hatte mir mitzuteilen, wie ich mich denn nun auf die OP vorzubereiten hätte. Stichwort Abführen. Bei der GaOP hatten das die Schwestern auf der Station übernommen, davon war ich dieses Mal auch ausgegangen. Aber weit gefehlt. Und glaubt mal nicht, dass mir jemand das hätte beantworten können. Ein nach etwa 2 Stunden Wartezeit antanzender Assistenzarzt, der offenbar nicht schnell genug weggelaufen war, durfte sich mit uns mittlerweile wirklich aufgebrachten Frauen auseinandersetzen. Mehr als ein „ich glaube nicht“ kam in Punkto Abführen aber auch nicht raus. Ich gab ihm sehr deutlich zu verstehen, dass ich mit einem „ich glaube nicht“ nicht würde arbeiten können. „Ich glaube nicht“ würde am Ende dazu führen, dass ich morgen in die Klinik komme, nicht abgeführt hätte und man mich wieder postwendend nach Hause schickt, weil ich nicht operiert werden kann. Ich sah mein ganzes Projekt „Korrektur-OP“ vor meinen Augen zerfließen…

Der Assistenzarzt fühlte sich etwas hart angefasst, wollte aber versuchen, sich zu kümmern. Unter anderem darum, Dr. Taskov ans Telefon zu bekommen. Eine Aktivität, die ich zu diesem Zeitpunkt schon etwa 20 Mal versucht hatte. Und meine Freundin auch. Aussichtslos, denn die Praxis schien heute nicht besetzt zu sein.

Ich sackte im Wartezimmer zusammen und fing einfach nur noch bitterlich an zu weinen. Ich fühlte mich mit meinem Problem total alleine gelassen, 600km von zu Hause entfernt. Ich fühlte mich hilflos und ungerecht behandelt. Warum sollte ich jetzt bitte für ein Hotel zahlen, wenn ich die Sache doch nicht verbockt hatte? Irgend etwas war offenbar in der Kommunikation schief gelaufen und nun war ich die Leidtragende. Ich hätte in diesem Moment jemanden von Seiten der Klinik gebraucht, der mir sagt, dass wir schon eine Lösung finden und ich mich nicht sorgen soll. Dass alles gut wird. Jemand mit Empathie. Fehlanzeige. Meine Freundin nahm mich in den Arm und ich heulte meine FFP2-Maske voll. Niemanden interessierte das. Personal ging aus und ein. Die Stunden vergingen. Das Zentrale Belegungsmanagement rief mich an und teilte mir mit, ich dürfte morgen um 06:30 Uhr in der Klinik erscheinen. Ich wäre beinahe ausgerastet. Warum rufen die mich an, wenn ich schon in der Klinik sitze? Warum nicht am Montag oder Dienstag, wo ich noch hätte umplanen können?! Ich schimpfte deutlich hörbar vor mich hin, der wortkarge Type am Tresen mit dem fürchterlichen karierten Anzug wirkte eingeschüchtert.

Irgendwann trockneten meine Tränen, der Mascara hielt zum Glück, was er versprochen hatte und die Wut übernahm die Führung. Ich ging umher. Stellte mich demonstrativ in den Türrahmen des Wartezimmers und zeigte Präsenz. Ich würde hier erst weg gehen, wenn das geklärt war!

Der Projekt-Mensch kam irgendwann zurück. In beschwichtigendem Tonfall teilte er mir mit, er habe mit der Geschäftsleitung gesprochen. Ich könne in die Klinik nach Pasing, dürfte dort kostenlos übernachten und würde auch verpflegt. Pasing liegt 40 Minuten mit dem ÖPNV von Bogenhausen entfernt. 40 Minuten, die ich früh morgens mit meinem schweren Gepäck quer durch München würde fahren müssen. In der Hoffnung, dass die Bahnen fahren und mich um die Uhrzeit keine schrägen Typen anquatschen. Und in der Hoffnung, dass man mich derart früh aus der Klinik lassen würde.

Ich besprach mit mit M. und folgte am Ende meinem Bauchgefühl: Pasing kam überhaupt nicht in Frage! Ich würde vollkommen gestresst in der Klinik ankommen, kein guter Start des Tages vor der OP. Ich entschied mich für die teure Alternative eines Hotels, rund 400 Meter von der Klinik entfernt. 99€ die Nacht. Und das war das billigste, was zu kriegen war. Aber immerhin 4 Sterne, eine Badewanne, ein King Size Bett und eine grandiosen Aussicht über die Stadt München vom 12 Stock aus. Aber ich schwor mir: auf diesen Kosten würde ich nicht sitzenbleiben!

Die Entscheidung war gefallen, wir packten meine Klamotten und stiefelten immer noch innerlich kochend durch die Drehtür. So hatte ich mir den Tag nicht vorgestellt.
Ob ich aber würde abführen müssen, wusste ich noch immer nicht. Auf Basis von „vielleicht“ und „wahrscheinlich“ hatte ich aber entschieden, es sein zu lassen. Sollte die Klinik morgen deswegen Ärger machen, würde ich zurück ärgern. Aber ganz gewaltig!

So standen wir fix und alle vor der Klinik, es stürmte, war kalt und es regnete. Mein Telefon klingelte. Die Praxis Dr. Taskov rief mich zurück. Die Sprechstundenhilfe hörte sich mein Leid an, konnte mir aber auch nicht helfen, da sie mit meinem Fall nicht vertraut war. Danke für das Gespräch. Tschüss.

Durch den Sturm von München kämpften wir uns zum Hotel durch und ich war dankbar, meine Perücke daheim gelassen zu haben. Sonst wäre sie wohl in der nächstbesten Pfütze gelandet. Sichtlich erledigt betraten wir die beeindruckende Lobby, stiefelten zerzaust zur Rezeption und checkten mich kurz ein. Ich zahlte direkt, um eventuelle Schwierigkeiten am folgenden Morgen zu vermeiden. Das Zimmer ist umwerfend und später gönnte ich mir ein heißes Bad nach diesem Tag.

Es folgten etliche WhatsApp-Nachrichten, Telefonate, Instagram-Kommentare. Denn ich hatte meinen heutigen Tag relativ zeitnah mit meinen Followern geteilt. Als ich wieder etwas klarer denken konnte, war ich überwältigt von den vielen Menschen, die mir gute Vibes schickten, mir alles Gute wünschten, sich interessierten und teilnahmen an dem, was da heute geschehen war. Das hat mich wirklich sehr berührt.

Meine Freundin J. gab mir einen Denkanstoß und lud mich ein zu schauen, ob es vielleicht doch bei all dem positive Aspekte zu erkennen gibt. Und eine ehemalige Kollegin schrieb mir etwas über das „letzte Strecken“, das geschehen muss, bevor etwas Großartiges geschehen kann. Das brachte mich zum Nachdenken und ich erkannte einige positive Aspekte:

Ich hatte heute den Mund aufgemacht. Ich hatte für meine Interessen gekämpft. Ziemlich energisch sogar. Ich hatte meine Meinung gesagt! Dinge, die ich mich früher nie getraut hätte.
Und ich erkannte, dass ich nicht allein bin. Ich habe gute Freunde, Bekannte, Familie und meine Follower, die auf ihre Weise an meiner Seite sind und mich in dieser Situation, die mich wirklich aus der Spur gehauen hat, unterstützt haben. Und dafür bin ich enorm dankbar. Zu erkennen, dass ich nicht allein bin. Dinge nicht allein bewältigen muss, was ich immer angenommen hatte und was sich ziemlich einsam anfühlte. Und ich erkannte erneut, wie wichtig ein Netzwerk lieber Menschen ist. Vor allem in der Transition, aber auch ganz generell im Leben.

Später am Nachmittag, meine Freundin war schon wieder auf dem Heimweg, rief mich die Praxis Dr. Taskov erneut an. Diesmal mit mehr Infos als zuvor. Wir dröselten den Vorfall gemeinsam auf und stellten fest, dass heute viele kleine Zahnrädchen ineinander gegriffen hatten, um zu diesem Ergebnis zu führen. Jede*r von uns hatte ihren Anteil daran. Die Praxis, die Klinik und auch ich. Doch am Ende des Gesprächs fanden wir einen Weg, solche Fälle in Zukunft vermeiden zu können, durch eine einfache Anpassung der Checkliste, die man vor der OP von der Praxis zugeschickt bekommt. Bisher stand lediglich das OP-Datum darauf. Künftig dann wahrscheinlich auch das CheckIn-Datum. Das hätte geholfen. Außerdem ein früherer Anruf seitens der Klinik.

Nach diesem Telefonat ging es mir etwas besser. Ich hatte währenddessen auf die Lichter der Stadt geblickt, begleitet vom Heulen des Windes an den Kanten des Hochhauses. Ein schlechtes Gewissen überkam mich. Ich war in der Klinik schon sehr emotional gewesen. Ich war zwar stolz auf den Einsatz für mich selbst, aber es hatten einige Mitarbeiter*innen verbale Schläge abbekommen, die sie nicht verdient hatten. So schrieb ich dem Projekt-Mann eine WhatsApp-Nachricht, berichtete von dem erfolgten Telefonat und bat um Entschuldigung für mein emotionales Auftreten – erklärte aber auch, weshalb ich so reagiert hatte. Siehe oben. Hilflosigkeit, Alleingelassen sein, etc. Die Antwort erfolgte prompt und befriedete den heutigen Tag etwas. Er wünschte mir gutes Gelingen für die OP und hätte meinen Unmut nachvollziehen können.

So liege ich nun in meinem 99€-King-Size-Bett, beeile mich mit diesem Artikel, da um 04:00 Uhr bereits mein Wecker klingeln wird. Und dann wir die OP hoffentlich ihren geplanten Verlauf nehmen und ich mich auf die Heilung konzentrieren können. Ganz entspannt. Denn ich werde am gleichen Tag schon wieder aufstehen dürfen, einen Katheter wird es wohl nicht geben und auch Abführen war nicht nötig. Das wurde am Ende dann doch noch alles geklärt. Und mit etwas Glück übernimmt meine Krankenkasse die Hotelkosten aufgrund der langen Anreise…

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