Mann trägt mehr Ernte als Frau

Dinge ändern sich. Ständig. Das gehört zum Leben. Eine Transition bündelt und komprimiert Veränderungen in ein relativ kurzes Zeitfenster. Von dieser Perspektive her ist eine Transition “komprimiertes Leben”. Doch nicht nur ich selbst verändere mich, sondern auch die Interaktionen mit der Umwelt – das wird mir aktuell gehäuft vor Augen geführt.

Naja, dass ein verändertes Äußeres, ein neuer Name und all das Veränderungen in der Umwelt bewirken, liegt schon irgendwie auf der Hand. Dennoch nehme ich neuerdings vermehrt subtile Verhaltensänderungen meines Umfeldes wahr, die ganz gut zum gestrigen Beitrag passen.

Da ich naturgemäß die meisten sozialen Interaktionen während meiner Arbeitszeit habe und gestern zudem noch physische Präsenz im Büro als weitere Interaktionsdimension hinzu kam, fielen mir diese Verhaltensveränderungen seitens meiner Kollegen ganz besonders auf. Irgendwie sind es wieder einmal Stereotype, aber ich würde lügen, wenn ich diese spezielle Art der Einsortierung und geschlechtspezifischer Behandlung verurteilen würde – denn irgendwie finde ich diese Teile des Ganzes recht charmant. Obgleich sie etwas tradiert daherkommen mögen.
Um es anschaulicher zu gestalten, seien hier ein paar Begebenheiten genannt, die ich in der jüngeren Vergangenheit erleben durfte:

  • Ein Arbeitskollege hatte für eine Projektabschlussfeier einige große und schwere Geschenkkörbe vorbereitet, die es von seinem Auto ins Büro zu tragen galt. Früher hätten wir diese gleichmäßig verteilt zusammen getragen. Doch diesmal bekam ich die kleine Kiste mit den leichten Beigaben von ihm zugeteilt. Die schweren Sachen trug er, ohne dass ich das in irgend einer Weise forciert hätte. (und ja, ich bin durch die HRT tatsächlich merklich schwächer geworden, insofern habe ich da auch gar kein schlechtes Gewissen ;-))
  • Mir wurde vermehrt von Kollegen die Tür aufgehalten und ich durfte zu erst hindurchschlüpfen. Früher hätte ich gewartet, bis alle vor mir (insbesondere Frauen) durch die Tür gegangen wären. Allein diese Option besteht auf subtile Weise gar nicht mehr, da die (männlichen) Kollegen schlichtweg an Ort und Stelle verharren und warten, dass ich zu erst die Tür passiere.
  • In Meetings, gerade bei Telefonkonferenzen mit ihrem kleinen Zeitversatz in der Tonübertragung, kommt es immer mal wieder vor, dass zwei Kollegen gleichzeitig das Wort ergreifen. Sofern mir das geschieht und die andere Person männlich ist, wird mir grundsätzlich freundlich das Wort überlassen. Das war früher umgekehrt.
  • Vor Längerem erhielt ich von meinem Chef-Chef-Chef einen dicken Blumenstrauß zum 20-jährigen Jubiläum (ich berichtete). Und Blumen sind bei uns ausschließlich uns Frauen vorbehalten. 🙂
  • Etwas schwerer zu greifen sind die unterschwelligen Umgangsformen. Einzelne Worte oder Gesten, die beispielsweise an der Kaffeetheke ausgetauscht werden. Ich werde anders behandelt als früher, ohne dass ich das richtig in Worte fassen könnte. Müsste ich es auf einzelne Adjektive beschränken, wären das: weicher, offener, sanfter, freundlicher, vertrauensvoller.

All diese Erlebnisse und Wahrnehmungen fühlen sich noch immer etwas ungewohnt an, da sie ein Umlernen der sozialen Rolle erfordern. Zudem haben sie alle gemein, dass es sich ein wenig wie “Bevorzugung” anfühlt. Ladies first, eben. Und da ich im Grunde mein Leben lang zurückgesteckt habe, löst das ein gewisses Unwohlsein aus (weil unbekannt). Das Ambivalente daran ist jedoch, dass es sich auf der anderen Seite genau richtig anfühlt. Wobei, weniger die konkreten Anlässe, sondern eher der Umstand, dass man auf mich die gewünschten sozialen Normen mehr und mehr anwendet.

Ich weiß nicht genau, was da in der sozialen Interaktion zwischen uns passiert ist und wann sich das Verhalten meiner Mitmenschen derart geändert hat. Es kam schleichend. Aber ich finde es charmant, es ist ein Zeichen von Respekt und es ist definitiv ein Zeichen für mich, dass mich mein Umfeld als den Menschen annimmt, der ich bin. Und in letzter Konsequenz also auch die entsprechenden sozialen Normen auf mich anwendet. Ich gehe nicht davon aus, dass all das konstant auf bewusster Ebene geschieht, ab einem gewissen Punkt greifen sicherlich die anerzogenen sozialen Verhaltensweise gegenüber den verschiedenen Geschlechtern. Stichwort Unterbewusstsein. Und ja, das freut mich total, weil es verdeutlicht, dass die Veränderung bei den meisten mittlerweile verankert ist. Denn offenkundig denken besagte Kollegen eben nicht etwa: “Die Julia war doch mal ein ‘Mann’ und kann daher auch weiter alle damit verbundenen sozialen Aspekte ausfüllen.” Ganz im Gegenteil.

Ich freu mich!

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