Portrait Julia Anfang Januar 2021

“Frauen lachen einfach mehr. Manchmal auch ohne Grund.”

So oder ähnlich hörte ich heute meine Logopädin sprechen. Und weißt du was? Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Weil es eine neue Tür in mir aufgestoßen hat. Warum? Das erkläre ich gleich gerne.

Die letzten Tage sind seltsam gewesen. Winterblues oder so. Nun bin ich ja ohnehin eine Frau, die viel Raum für sich braucht. Ich bekomme schnell diesen “Sozialkater“. Nicht, dass ich aktuell viele Menschen treffen würde, ganz im Gegenteil. Dank des Lockdowns sehe ich nur noch sehr wenige Menschen in Natura. Unter anderem gehören meine Kinder zum Glück dazu. Doch dennoch habe ich in den vergangenen Tagen – in unterschiedlicher Intensität – das Bedürfnis verspürt, mich komplett abzunabeln. Handy aus, Türen zu. Jede noch so kleine WhatsApp-Nachricht hat mich gestresst.

Offen gestanden kann ich mit diesem Zustand nichts anfangen, vermute aber, dass es eine Kombination aus Winter-Depri-Wetter, Lockdown und zu wenig Schlaf ist. Denn wenn ich mal vor die Türe gehe, mich bewege und frische Luft schnappe, geht es mir unmittelbar besser. Doch was ist mit dem Lachen? Where’s your smile, girl?!

Nun, genau darauf wollte ich zu sprechen kommen. Ich bin schon seit Ewigkeiten kein Mensch, der die ganze Zeit grinsend durch die Welt zieht. Ich bin zwar von einem pessimistischen Jugendlichen zu einer optimistischen Mid-Agerin gewachsen, aber diese tiefe, kindliche Freude über Dinge empfinde ich schon sehr, sehr lange nicht mehr. Dieses Kribbeln im Bauch, wenn man sich auf etwas freut. Kennst du das?

Und mir wurde heute wieder bewusst, dass dieses Kribbeln kein Teil meines Lebens mehr ist. Das war nie wirklich ein Problem, über das ich ernsthaft nachgedacht habe, weil es mir das Leben nicht nennenswert belastet hat. Doch in der heutigen Logopädie-Stunde kamen wir darauf zu sprechen. Denn mit einem Lächeln im Gesicht öffnet sich nicht nur die Mimik, sondern die Stimme wird auch automatisch höher und weicher. Ich sollte eine Übung entsprechend durchführen und mir dabei vorstellen, zu lächeln.

Es fiel mir schwer. Sehr schwer. Zwar hatten wir in der Stunde einige Lacher, daran scheitert es nicht. Aber diese Unbeschwertheit eines einfachen Lächelns wird von etwas bedeckt und belastet. Genau das erkannte ich in diesem Moment und dankenswerterweise konnte ich mit meiner Logopädin darüber sprechen. Für sie war diese Info auch sehr wichtig, da es möglicherweise erklärt, warum mir die Logopädie bisher so schwer fällt.

Und weißt du was? Plötzlich ergibt wieder vieles einen Sinn und ist gut so, wie es ist. In den vergangenen Wochen hatte ich mich auf die Haltung eingeschossen, dass mein Psychotherapeut “nur” mein Wegbegleiter während der Transition ist, ich aber keine ernsthaften Probleme mit ihm zu besprechen habe. Nun habe ich eins. Und das ist kein kleines. Es hängt so dermaßen eng mit meiner Transidentität zusammen, dass ich das Ausmaß noch gar nicht so recht erahnen kann. Das Mobbing in der Schule, bei dem man mir über ein Jahrzehnt vermittelte, dass ich falsch sei, so wie ich war. Wie sollte ich mich da noch über Dinge von tiefem Herzen freuen können?! Als kleines Kind konnte ich das noch, ich erinnere mich zum Beispiel an die Vorfreude an Heiligabend. Oder wenn es begann zu schneien. Oder mein Geburtstag vor der Tür stand.

All das, ist einer grauen Gefühlssuppe gewichen über die Jahre, denn ab einem gewissen Punkt verbot ich mir die Freude, da ich hinterher eh wieder nur enttäuscht wurde. Wenn ich so darüber nachdenke, setzte sich dieses Muster dann in extremer Form in meiner Ehe fort, denn meiner Ex-Frau konnte ich es selten recht machen. Egal was und wie ich Dinge machte, ich sah mich hinterher einem Wutanfall oder abwertenden Worten gegenüber. Wertschätzung? Fehlanzeige.

Wertschätzung musste ich mir stets irgendwie selbst suchen oder geben. Naja, nicht immer natürlich. Meine Eltern standen natürlich hinter mir, aber das vermochte mich in jungen Jahren nicht aufzufangen.

So traurig, wie sich das alles vielleicht anhören mag, ist es dann aber doch nicht. Obwohl…doch. Wem rede ich hier etwas schön? Wozu? Ein Indianer kennt keinen Schmerz, oder was? Fuck it!!! Nennen wir es doch einfach beim Namen. Es ist ein verdammtes Drama! Das musste mal gesagt werden.

Doch seit meinem Befreiungsschlag meiner Trennung 2016 begann ich Stück für Stück mir ein Umfeld zu schaffen, in dem ich mit wertschätzenden Menschen leben darf und wir uns gegenseitig schätzen und lieben. Es gibt noch alte Überbleibsel, die ich leider nicht loswerden kann und die mich bisweilen zurück in mein “Du-bist-falsch”-Loch zurückstoßen und ich jedes Mal ein paar Tage brauche, um wieder daraus hervor zu klettern. Aber ich bin zuversichtlich, dass dieses Loch jedes Mal ein Stückchen weniger tief ist und mich irgendwann nichts mehr dorthin zurück zu befördern vermag.

Und in gleichem Maße, wie das Loch sich schließt und die Transition fortschreitet, kommt vielleicht auch wieder das Lachen zurück. Und damit auch meine Stimme. Denn das gute Leben ist schon da. Oder wie einer meiner Lieblingskünstler, Bosse, es singt:

Und alles ist jetzt
Es ist alles, alles jetzt
Das Leben ist kurz
Zu kurz für ein langes Gesicht
Und Stück für Stück kommt das Lachen zurück
Und die Freude und der Hüftschwung und das Glück.

In diesem Sinne:

Alles ist jetzt, Ladies! Und Gentlemen. Und alle anderen großartigen Menschen!

Love you!

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One Thought to “Das Mädchen ohne Lächeln”

  1. […] ein aufmunterndes Wort oder handfeste Tipps. Heute war es einer der letztgenannten. In Bezug auf meinen gestrigen Blogeintrag berichtete mein Therapeut von einer schlichten Übung, die er mal in einem Seminar aufgeschnappt […]