Christina's Story

Ich bin stolz und dankbar, heute eine sehr persönliche Geschichte meiner Kollegin Christina mit Euch teilen zu dürfen. Taucht ein in die bewegende Reise von Christina, die mutig ihre eigene Identität erkämpft hat. Erfahrt, wie sie sich aus den Fesseln ihrer Vergangenheit befreit hat und zu einer starken, authentischen Version ihrer selbst wurde.

Ihr Lieben,

die Biografien von transidenten Personen ähneln sich häufig sehr und auch der damit verbundene Leidensdruck ist vergleichbar. Natürlich gehen wir alle auf unsere ganz eigene Art und Weise mit diesem Schicksal um.
Meine liebe und starke Kollegin Christina hat die ihre in Bild und Wort ausgedrückt und ich freue mich riesig, ihr Werk hier vorstellen zu dürfen. Ihre Geschichte bewegt mich ganz besonders, da sie unsere erste Begegnung, ihr Coming-out und die folgende Zeit in unserer Trans ERG in Kapitel 10 verarbeitet.

Doch bevor Ihr Euch in die kurze, aber ausdrucksstarke Geschichte stürzt, möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen. Für andere trans Personen können bestimmte Teile in Bezug auf Selbsthass und den inneren Kampf um das eigene Selbst möglicherweise sehr heftig sein.

Hinweis:
Der Text wurde ursprünglich aus dem Griechischen nach Englisch und für diesen Beitrag auf Deutsch übersetzt. Ich habe mich dabei um maximale Verständlichkeit bemüht, dennoch können einzelne Stellen etwas holprig sein. Das bitte ich zu entschuldigen. Das in der Geschichte angesprochene Wesen „Lamia“ ist ein weibliches Monster in der griechischen Volkstradition.

Alles Liebe,
Eure Julia


KAPITEL 1

Du warst nie echt, Du warst immer nur hilfreich. Erst für die Lamia, dann für mich.
Bald wirst Du aufhören zu sein, weil Du stirbst und nur Dein Geist übrig bleiben wird, um mir noch eine Weile zu dienen.
Du bist fertig. Und ich werde frei sein.

KAPITEL 2

Leider muss ich Dich noch einmal tragen. Es tut mir jedes Mal weh, aber ich muss.
Aber freue Dich nicht. Denn jedes Mal, wenn ich Dich trage, rückt Dein Ende näher. Genieße es, denn Du wirst verschwinden.
Du hast keine unendlichen Möglichkeiten mehr, und ich lasse Dich nicht wieder unendlich werden.
Der Schmerz, den Du mir zufügst, ist zu groß, um für immer fortzubestehen.

KAPITEL 3

Weißt Du, als ich geboren wurde, zwangen sie mich, Dich zu tragen und mir blieb keine Wahl. Du warst immer gleichzeitig mein Gefängnis und mein Kerkermeister.
Ja, ich hatte Privilegien, wenn ich Dich trug, manchmal hast Du mich beschützt und manchmal hast Du mich verletzt.
Aber vor allem warst Du mein Gefängnis und mein Schmerz.
Deshalb will ich mit Dir abschließen.

KAPITEL 4

Für die meisten Kinder meiner Generation stellten ihre Körper und ihr Geschlecht kein Problem dar. So konnten sie frei spielen.
Meine eigene körperliche Hülle passte jedoch nie zu mir. Stattdessen nahm sie ein Eigenleben an und endete damit, zu Dir, meinem Kerkermeister, zu werden.
Und so verging meine Kindheit: mit Einsamkeit als Gesellschaft, im Gefängnis, das Du geschaffen und bewacht hast, damit ich nicht entkommen konnte.

KAPITEL 5

Egal, wie sehr Du mich nicht gesehen haben wolltest und mich eingesperrt hast, ich war dort im Schatten und kämpfte gegen Dich. Nein, ich würde nicht den Wünschen der Lamia nachgeben.

KAPITEL 6

Weißt Du, die Tatsache, dass Du nie richtig in die Gesellschaft aufgenommen wurdest, hatte auch große Konsequenzen für Dich. Denn wenn unser Wesen nicht akzeptiert werden und Du nicht zu den anderen passt, machen sie sich einfach über Dich lustig. Doch auch ich bin dafür verantwortlich: Ich habe dafür gesorgt, dass Du nicht passt, dass Du nicht echt wirkst, dass Dir immer etwas gefehlt hat. Und so wurdest Du noch mehr verspottet.
Und darauf bin ich auch stolz. Du fügst anderen keinen Schmerz zu, ohne Konsequenzen dafür zu spüren.

KAPITEL 7

Auch wenn Du mit anderen Frauen zusammen warst und versucht hast, mich zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen, war ich da. Um kleine Risse in mein Gefängnis zu machen und Dich zu stechen.
Die Lamia, die Dich erschaffen hat, wollte, dass Du verschwindest.
Aber das hast Du nicht geschafft.
Du hast mir massive, kontinuierliche Traumata und Schmerzen zugefügt, und ich habe reagiert, weil ich nicht verblassen durfte:
Ich habe immer dafür gesorgt, Dich daran zu erinnern, dass Du nicht ganz oder zu 100 % echt bist.
Du wusstest, dass ich Dich irgendwann töten würde, und ich habe dafür gesorgt, dass Du es nicht vergisst.

KAPITEL 8

Als ich realisierte, dass ich von einem bloßen Schatten aus beginnen könnte, zu existieren, selbst wenn ich ein Gefangener bleiben würde, tat ich es.
Ich war geduldig, aß mein Gefängnisessen und lernte, meine gehasste Zelle zu lieben.
Ich nahm den Schmerz und das Trauma, das Du mir zugefügt hast, um mich unterwürfig und unsichtbar zu halten, und verwandelte sie in Resilienz. Und in eine Entscheidung: Ich würde leben!
Ich begann, Dir kleine Freuden zu gönnen, um Risse in Deiner Rüstung zu schaffen.
Selbst der zerstörerischste und spektakulärste Bruch beginnt immer mit einer kleinen Unvollkommenheit, auf die Druck ausgeübt wird und der Riss in der Fassade sich schließlich weitet.
Das passierte auch Dir. Ich fand Fehler und übte Druck auf Dich aus.
Und damit Du es tolerieren konntest, ließ ich Dich verstehen, wie schön Dinge sein können.
Der Riss wuchs. Du brachst zusammen, und aus dem Gefängniswärter und Werkzeug derer, die Dich bestimmten, wurde mein Werkzeug.
Denn ich brauche Dich immer noch, weil ich schwach und unsichtbar war – und noch immer bin.

KAPITEL 9

Als ich weniger unsichtbar und ein wenig stärker wurde, beschloss ich, die Leute loszuwerden, die mich nicht vor Dir beschützten und Dich arbeiten ließen.
Du warst mein Gefängnis und mein Kerkermeister, aber sie waren die moralischen Agenten und Verwalter des Gefängnisses. Das hat mir viel Schmerz bereitet zu verstehen und noch mehr, es zu akzeptieren.
Aber ich musste sie loswerden. Sie zwangen mich, Dich zu tragen, also sollten sie zuerst verschwinden. Und das taten sie.
Sie redeten sich raus, wurden emotional und taten alles, was man sich vorstellen kann. Aber sie leugneten immer, dass sie den geringsten Fehler gemacht hätten. Heuchelei und Lügen.
Kein Folterer verdient die Großzügigkeit der Reue.
Aber es spielte keine Rolle.
Mir wurde das Leben genommen und ich wurde mit einer Last beladen, die mich erdrückte: dir.
Ich habe nichts hinterlassen. Ich hätte nichts hinterlassen sollen. Das wahre Leben beginnt mit Guillotinen.

KAPITEL 10

Es gab keinen Weg, den ich alleine gehen konnte. Mädchen wie ich sind normalerweise unsichtbar, bis jemand sie sieht.
Und selbst dann sind sie in Gefahr, jederzeit zu verschwinden.
Also bat ich um Hilfe. Von einem Freund, der mit mir sprach und mich sah.
Und natürlich hatte ich immer ein weiteres Mädchen wie mich an meiner Seite, das, obwohl ich sie nicht gut kannte, wusste, was zu tun war.
Sie war durch dasselbe gegangen wie ich, kannte Schmerz und Enttäuschung und hatte ihren eigenen Kerkermeister erfolgreich getötet.
Man legt sich besser nicht mit Mädchen wie ihr an, wenn man leben möchte.

KAPITEL 11

Ich war jetzt stark genug, um den Prozess zu beginnen, Dich zu demontieren. Jeden Tag nahm ich ein Stück Deiner Rüstung und nahm sie Dir weg.
Du hattest nicht mehr die Unterstützung derjenigen, die Dich mir auferlegt hatten, und ich hatte die Unterstützung meiner Freunde: Es war nicht schwer.
Du warst jetzt weich und unterwürfig genug, um es mich tun zu lassen. Immerhin warst Du nie echt genug, um Schmerz zu empfinden oder zu reagieren.
Scheinbar tat ich es mit Sorgfalt und Interesse, aber in Wirklichkeit hasste ich Dich und empfand wilde Freude daran, Dich loszuwerden.
Ich kannte Dich gut, sehr gut, und Dein Verlust würde niemanden kümmern.
Ich bewahrte die Stücke Deines Selbst, um meine eigene Rüstung zu erstellen, denn noch immer bin ich unsichtbar und brauche etwas Schutz.
Deine Rüstung, so sehr es mich auch schmerzt, ist mir irgendwie nützlich, manchmal.
Ich ersehne den Tag, an dem Du vollständig aufhörst zu existieren.

KAPITEL 12

Jetzt, da Du endgültig zu zerfallen begonnen hattest und immer nutzloser wurdest, begann ich, das spezielle Gel auf meine Hände aufzutragen.
Das Gel machte mich immer sichtbarer und stärker und erlaubte es mir, Deine Geschichte und Deine Existenz ein wenig besser zu ertragen.
Jeden Tag traf ich die Entscheidung, ein wenig stärker zu werden, und jeden Tag wurde ich stärker.
Du verschwandest immer mehr. Je mehr ich mich sah, desto stärker wurde ich.

KAPITEL 13

Ich habe meinen Kerkermeister getötet und jetzt kann ich sein, was ich will und darf sein.
Für Dich und nur für Dich. Und das ist viel.
Die Vielfalt unseres Selbst können jederzeit unendlich sein.

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