In der Rubrik „Leser*innen fragen“ greife ich (anonym) Fragen und Sorgen aus der Leserschaft auf und stelle sie für die Community bereit – denn Sharing is Caring. In diesem Beitrag befasse ich mich mit vielen allgemeinen Fragen zur Transition, die ich von einer cis Person gestellt bekommen habe.
Ihr Lieben,
exemplarisch für viele andere Gespräche der vergangenen Jahre möchte ich in diesem Beitrag auf einige Fragen eingehen, die ich als Reaktion auf mein Transition-Timeline-Video von meinem Youtube-Zuschauer N. erhalten habe. Da meine Geschichte nur eine unter vielen ist, bilden meine Antworten meiner Erfahrung nach auch grob die Geschichte vieler anderer trans Personen ab.
Seit wann fühltest du dich als Mädchen/Frau/weiblich?
Im Grunde schon seit ich denken kann. In meiner ersten konkreten Erinnerung war ich vielleicht 5 oder so. Ich wollte immer ein Mädchen sein, konnte das aber nie so richtig formulieren, weil ich auch nicht wusste, dass es so etwas wie „trans“ überhaupt gibt. Ich fühlte mich einfach immer nur falsch und anders als alle anderen. Am Ende hat es dann 39 Jahre gedauert, bis ich endlich verstanden habe, was ich mein Leben lang gefühlt habe.
Wie bist du im Laufe deines Lebens damit umgegangen?
Das war schwierig. Ich habe das mein Leben lang versteckt, weil ich mich eben falsch fühlte und dachte, ich sei ein Freak. Darum habe ich niemandem davon erzählt. Wann immer ich meine weibliche Seite auslebte, tat ich das heimlich. Meistens beschränkte sich das auf weibliche Kleidung, aber ich schämte mich immer fürchterlich dafür. Ich hatte große Angst, dass ich auffliegen würde. Gleichzeitig wünschte sich ein kleiner Teil in mir, dass genau das geschehen und mich befreien würde. Erst etwa 2019 drängte die weibliche Seite so sehr an die Oberfläche, dass ich den Deckel nicht mehr draufhalten konnte. Es musste etwas geschehen! Für einen Moment lebte ich meine Weiblichkeit in meinen 4 Wänden aus, hielt mich zu diesem Zeitpunkt mangels besseren Wissens aber noch für einen Crossdresser. Erst Mitte 2020 fiel dann der Groschen. Es überflutete mich emotional, war aber gleichsam eine unendlich große Befreiung, die mir rückblickend sehr viel in meinem Leben erklärte und endlich einen Sinn ergab.
Wurdest du im Laufe deines Lebens bereits einmal darauf angesprochen?
Nicht direkt, aber es gab immer mal wieder Andeutungen. In der Schule wurde ich gemobbt, da ich nie ein „typischer“ Junge war (wenn es sowas überhaupt gibt). Ich war immer „zu zart“ und wurde bisweilen auch einfach als Mädchen „beschimpft“ und verlacht. Damals traf mich das sehr, weil ich irgendwie dazu gehören wollte. 2016 war ich dann in einer Reha. Eine Frau aus meiner Gruppe sagte mir damals während des Mittagessens, sie würde bei mir starke weibliche Energie wahrnehmen. Das freute mich total, ohne genau zu wissen, warum. Damals schob ich es darauf, dass in meinem direkten Umfeld vergleichsweise viele Frauen waren.
Solche Situationen gab es im Laufe meines Lebens immer mal wieder, waren aber stets irgendwie verpackt und undeutlich.
Hast du diese Seite ständig unterdrückt, oder im Geheimen versucht teilweise auszuleben?
Ja, definitiv. Siehe oben. Ich habe mich zutiefst dafür geschämt, erst recht, wenn ich versuchte, es auszuleben. Als würde ich ein Verbrechen begehen. Es gab aber auch Zeiten, da verdrängte der Alltag dieses Bedürfnis komplett, zum Beispiel als meine Kinder geboren wurden und ich parallel studierte. Da war schlicht kein Platz mehr. Dafür kam es umso heftiger zurück, als ich wieder etwas Luft hatte. Letztlich wuchs mein Wunsch, auch körperlich eine Frau zu sein und so zu leben, zu einem riesigen schwarzen Berg an, dem Mount Everest gleich. Am Ende drohte dieses Geheimnis mich zu erdrücken und zu ersticken.
Wie reagierten Familie, Freunde und Umfeld auf dich und vor allem dein „Outing“?
Zum Glück insgesamt positiv. Es gab durchaus überraschte Gesichter, aber insgesamt waren alle nach dem ersten „Schock“ auf meiner Seite. Mein Vater tat sich lange schwer damit, war aber nie gegen mich. Er brauchte lediglich seine Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Auch meine Älteste tat sich eine Weile sehr schwer, aber auch wir haben mittlerweile wieder ein vertrauensvolles und enges Verhältnis. Am positivsten waren eigentlich meine Erfahrungen im Job. Ich arbeite in einem internationalen Konzern und dort wird Vielfalt und Diversität täglich gelebt. Insbesondere die Kolleginnen waren super gespannt, mehr von mir zu erfahren. Die Männer waren typischerweise eher zurückhaltend, aber keineswegs ablehnend.
Insgesamt hatte ich mit dem Coming-out sehr viel Glück und bin dafür echt dankbar!
Was war für dich der endgültige Knackpunkt, dich für das „Frau sein“ zu entscheiden?
Das war eine Krankschreibung Mitte 2020. Ich hatte heftige Burnout-Symptome und ließ mich für einige Zeit krankschreiben. In dieser Zeit hatte ich mein inneres Coming-out. Und nachdem klar war, was ich da mein ganzes Leben lang gefühlt hatte, gab es kein Zurück mehr. Es war eher eine Frage des Wie und Wann, aber ab diesem Zeitpunkt war mir klar, was ich wollte.
Falls Ihr auch Fragen konkrete oder allgemeine zum Thema Transition habt, schreibt mir gerne eine E-Mail.
Alles Liebe,
Eure Julia