Schwere Geschütze – ein Risiko für meinen Brustaufbau?

Medikamente

Mehr oder weniger auf der Zielgeraden der Transition fühlt es sich gerade an, als würde mich ein Güterzug rammen und meine Reise abrupt pausieren.

Ihr Lieben,

ich glaube, ich finde langsam meine Schreibstimme wieder. Das ist gut, denn das was innerlich tobt, muss raus. Egal, ob es meins ist oder nicht. Die Rede ist von meiner Depression (die seit gestern amtlich ist), Hochsensibilität und Schlafapnoe. Alle für sich alle betrachtet schon eine gewisse Herausforderung, doch im Augenblick fordern gleich alle drei meine Aufmerksamkeit. Keine Sorge, das hier soll kein Jammer-Beitrag werden, ich versuche lediglich auszudrücken, was gerade in mir los ist und was das alles möglicherweise für meine Transition und Leben insgesamt bedeuten könnte.

Wo fange ich an?! Vielleicht bei der Hochsensibilität. Von der habe ich in den vergangenen Tagen bereits berichtet. Dennoch möchte ich sie heute erneut aufgreifen, um euch zu umreißen, wie sich mein Alltag (schon mein Leben lang, aber 1.000-fach verstärkt seit der Korrektur-OP) anfühlt. Als Startpunkt verweise ich auf meine Texte (hier und hier), die ich bei der Rückfahrt von München verfasst habe, um all die auf mich einstürzenden Eindrücke ansatzweise verarbeiten zu können. Seither spüre ich wie durch ein Brennglas verstärkt Energien und Emotionen um mich herum. Von Menschen, Tieren, Pflanzen. Energien in Räumen, an Orten. Das konnte ich früher schon, aber alles war damals gedämpfter und war im Alltag weitgehend unbedeutend, jetzt trifft mich all das hingegen ungefiltert und mit voller Wucht.

Beispiel gefällig? Bitte sehr:

Beispiel 1: Da war dieser Mann, der in der Wohnung gegenüber des Parkhauses, in dem ich stand, wild in seine Kopfhörer diskutierte, dabei ruhelos gestikulierte und ganz offenbar unter Stress stand. Binnen Sekunden wurde sein Stress zu meinem. Obwohl es nicht meiner war. Ich musste meinen Blick abwenden, um mich von seinen unheilvollen Energien zu befreien.

Beispiel 2: Die 2 Minuten an der roten Ampel, kurz bevor ich meinen notwendigen Wocheneinkauf tätigte, bei dem dutzende Menschen mit ihren Energien auf engem Raum auf mich warteten. Autos brausten mir entgegen. Jedes einzelne traf mich wie ein greller Blitz, verursachte einen chaotischen Lärm in meinem Kopf, so dass ich sie nur anschrie und flehte, sie sollten weggehen. Schützend hielt ich mir die Hände vor die Augen, bis die Ampel grün wurde.

Beispiel 3: Ein Text, den ich nach einem ausgedehnten Waldspaziergang schrieb, beschreibt mein Erlebnis:

Ein Waldspaziergang

Gedanken rasen,
wie Bienen, aufgescheucht.
Alle Emotionen erdrückt,
vom inneren Schwarz.

Das junge Grün des Frühlings,
so unschuldig, rein und kraftvoll.
Es durchströmt den Körper,
kribbelt, streichelt und lädt auf.

Eine Eiche, rau und warm.
Sie pulsiert, lebt und fühlt das Schwarz.
Eine Buche, hart und kühl.
Wendet sich ab, macht ihr Ding.
Jene Tanne, atmet und kämpft.
Ihr geht es nicht gut, Schwestern im Geiste.

Menschen, von allen Seiten,
Sprühen gedankenlos ihre Energien.
Fliegen umher wie bunte toxische Pfeile,
Unmöglich, den Schutzschirm zu halten.

Schwarze, rote, gelbe, graue – Energie.
Sie durchströmt mich – ungefiltert.
Oh, Eiche, oh, Tanne. Schwestern im Geiste.
Ich wünschte, ihr wärt hier.

Ich versuchte mich im Wald zu erden und mit manchen Bäumen zu verbinden. Die Eiche war beschützend. Die Buche stieß mich energetisch wortwörtlich von sich (krasses Gefühl!) und der Tanne ging es ähnlich wie mir. Ich fühlte mich verstanden. Und all die Menschen, die mit oder ohne Hund, joggend oder spazierend, schweigend oder fröhlich plaudernd an mir vorbei liefen, rempelten mich energetisch an. Nicht physisch, da hatten wir genug Abstand. Doch sie drangen mit ihren Energien, ihrer Aura ungehindert in meine ein und rempelten sie unbewusst, aber nicht weniger rüde bei Seite. Das fühlte sich gewaltsam an und nach dem Spaziergang ging es mir schlechter als zuvor. Der einzige Ort der Ruhe, des Friedens und der schönen Energien, Liebe gar, war der Waldfriedhof, auf den mich ein Bauchgefühl gelotst hatte. Eine Art Herzensort.

Es gibt noch so viele andere Beispiele dafür, wie ich die Welt um mich mittlerweile herum wahrnehme und warum es mich so unermesslich viel Kraft kostet, das zu ertragen. Zumal ich den Verdacht habe, dass all diese negativen Energien, das “innere Schwarz”, gar nicht meine sind. Das sind “ihre” und ich fungiere lediglich als Medium, um sie auszudrücken, auch wenn ich das Wort “Medium” überhaupt nicht mag. Aber so fühlt es sich an.
Meine Schwester machte mir gestern mit einer Energiearbeit ihrerseits ein riesiges Geschenk, das es mir vielleicht heute ermöglichte, wieder vorsichtig unter Menschen zu gehen und mein Lieblingsnagelstudio aufzusuchen. Sie schuf mir eine Art energetischen Schild, der spannender Weise in allen Regenbogenfarben schillerte und von 12(!) geistigen Führern (heißen die so???) getragen wurde. The Council Of Light. Auch ein Einhorn spielte dabei eine Rolle, aber da die Meinungen zu derlei spirituellen Erfahrungen in meiner Leserschaft sicherlich weit auseinander gehen, mag ich das gar nicht weiter ausbreiten. Der Punkt ist, ich fühlte mich dadurch heute beschützt und nicht allein, auf geistiger Ebene. Meinen energetischen Schutzschild aufrecht zu erhalten, war nicht ganz einfach für mich, aber er hielt. Und so konnte ich mit meiner Freundin M. sogar noch ein wenig Emotional Shopping in einer ruhigen Buchhandlung und einem Kramladen betreiben. Mit beinahe ausgelassener Begeisterung könnte ich euch nun von meinen neu erworbenen dicken, warmen Lesesocken mit Bommeln, Postkarten mit Motivationssprüchen und zauberhaften Schals berichten, aber das würde dann vielleicht doch etwas zu weit gehen. Anschließend drehten wir eine große Runde an der Sonne, was mir unglaublich gut tat.

In der Luft lag eine positive Energie, die ich lange nicht gespürt habe. Sie war erfüllt von Leben, frühlingshafter Leichtigkeit und so etwas wie Lebensfreude der Menschen um mich herum. Straßenmusiker spielten, Kinder lachten, die Shops hatten ihre Ware in der warmen Sonne ausgestellt und freuten sich über Kundschaft. Im Kramladen glitten meine Finger über eine herzförmige Schiefertafel und die raue Oberfläche verschaffte mir kurze Empfindungen des Glücks. In der Bäckerei sprachen zwei Angestellte über mich als “die Dame”, was ich mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nahm. Und das ohne Perücke oder sonstige Kopfbedeckung! Meine Tante schrieb mir kürzlich mit Verweis auf meinen Markennamen “Becoming Julia” (Julia werden), was ich schon einige Male gedacht, aber nie aktiv formuliert habe:

Mein Gefühl sagt mir, dass jetzt das Thema „Transition“ an einen Punkt kommt, wo du nicht Julia „wirst“, sondern Julia BIST!

Ja, das fühle ich auch zunehmend. Und womöglich wird sich dieser Markenname und auch die inneren Empfindungen dazu in absehbarer Zeit ändern. Aber die Geburtswehen für dieses Baby lassen noch ein wenig auf sich warten.

Di-da-depression

Wie dem auch sei, da war so viel Gutes heute! Und ich sog es auf wie ein Schwamm. Und dennoch geschah heute Mittag etwas, wogegen ich mich mein Leben lang mit Händen und Füßen gewehrt habe: ich habe auf Anraten meiner Ärztin begonnen, ein Antidepressivum (Venlafaxin) zu nehmen. Ein ziemlich heftiges Zeug mit potenziell vielen Nebenwirkungen, wie ich heute bei Recherchen lernen durfte. Punkt um, wir sind beim Thema Depression, das nun aber doch möglicherweise Auswirkungen auf meine Transition haben könnte.

Warum?

Ich verrate es euch: mein Gynäkologe ließ zuletzt verlauten, dass er die Erstellung der notwendigen Unterlagen für die Beantragung des Brustaufbaus (Verlaufsbericht der Hormontherapie) vorläufig verschieben würde, bis die Depression im Griff ist. Eine Aussage, die mich beinahe in eine mittelschwere Krise gestürzt hätte, zumal mir ansonsten alle nötigen Unterlagen vorliegen und mein Antrag fertig formuliert ist.

Sollte diese verdammte Depression mir nun also einen Strich durch die Rechnung machen?! Und vor allem…sollte die “Testphase” des Venlafaxin der Bezeichnung “Kurzzeitbehandlung” entwachsen, welche Auswirkungen hätte das auf meine OP? Denn allen Verlautbarungen nach sollte man das Medikament langsam ausschleichen, da sonst heftige Nebenwirkungen drohen. Da stellt sich mir die Frage: will ich das alles?! Ja, die Medikamente sind ein Versuch und sollten sie mir helfen, wieder auf die Beine zu kommen – fein. Denn mir ist bewusst, dass ich irgendwann wieder zurück in den Job muss. Zurück unter Menschen. Und bis dahin wäre es hilfreich, auch einen Weg gefunden zu haben, meinen regenbogenfarbenen Schutzschild gezielt einzusetzen und meinen Antrieb wiedergefunden zu haben.

Jedoch stehen hierzu noch so viele Fragen im Raum, vor allem die der Ursachen. Ich persönlich baue ja große Hoffnungen auf die kommenden Untersuchungen, die mir im Idealfall einen anderen Lösungsweg weisen, als weiter Venlafaxin schlucken zu müssen. Ich habe einen ziemlichen Respekt vor dem Zeug, das muss ich gestehen. Und irgendwie habe ich Angst, mich dadurch ein Stück selbst zu verlieren. Aber ich weiß eben auch, dass es so nicht weitergehen kann und ich mit der aktuellen Befindlichkeit sogar mein aktuell oberstes Ziel – den Brustaufbau – gefährde.

Oh mein Gott, ihr Lieben. Wenn ich den bisherigen Artikel gedanklich noch einmal durchgehe, klingt es eher wie eine Krankenakte, als ein irgendwie informativer und unterstützender Blogartikel über Transidentität. Aber mir scheint, das gehört zum Thema, so leid es mir tut! Denn die liebe Lena schrieb mir gestern ein ganz liebes Kompliment auf Instagram und verknüpfte die Themen dabei sehr elegant. Sie schrieb:

Also ist eine erfolgreiche Transition mit einem sehr attraktiven Ergebnis auch kein Garant, dass die Depri ☹️ wegbleibt?

Nein, das ist sie leider nicht. Und lieben Dank für das Kompliment! Obgleich ich hier ganz klar herausstellen möchte, dass die Transition selbst nicht der Auslöser der Depression ist (abgesehen von den Hormonen – möglicherweise). In diesem Teil meines Lebens bin ich überglücklich, er wird nun eben durch anderen Mist überschattet. Und irgendwie ist dann doch wieder alles eins. Ach, es ist so verwirrend, ihr Lieben!

Schlafapn…zzzzzz

Jedenfalls, um dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, wabert da ja seit Urzeiten das Thema Schlafapnoe umher. Ich erwähnte es hier im Blog bereits dann und wann und tatsächlich hat es eine Relevanz für meine Transition. Denn weder meine damals geplante Stimm-OP, noch eine Gesichtsfeminisierung (FFS) kommen für mich in Frage, so lange die Apnoe nicht geheilt ist. Sofern das überhaupt geht. Okay, von der Stimm-OP bin ich mittlerweile ohnehin weitgehend abgerückt und die FFS erscheint mir auch immer unnötiger, dennoch verbaut mir die Schlafapnoe diese Optionen, ob ich sie nun wahrnehme oder nicht. Medizinisch würde sicherlich nichts gegen die OP’s sprechen, aber allein die Angst, nachts nach der Stimm-OP von der Apnoe geweckt zu werden und aus Schreck die Stimme zu nutzen und damit die Stimmbänder womöglich irreversibel zu schädigen, wäre der absolute Albtraum!

Doch ein Besuch im Schlaflabor diese Woche zeigte mir neue Optionen auf. Keine schönen, aber möglicherweise machbare. Doch nur eine kommt, wenn auch zähneknirschend, für mich in Frage. Und das ist eine heftige OP mit anschließend 9-monatiger Heilungsphase. Ein wenig vergleichbar mit der GaOP, nur eben im Gesicht. Ziemlich krasse Nummer. Die beiden anderen Optionen haben mit technischen Geräten innerhalb oder außerhalb meines Körpers zu tun, was ich aus verschiedenen Gründen strikt ablehne. Doch ob ich mich einem solchen Eingriff (voraussichtlich in Münster) unterziehen möchte und werde, ist noch lange nicht entschieden. Mein Brustaufbau hat weiterhin absolute Priorität für mich. Oder anders gesagt: das Abschließen des Kapitels “Becoming Julia” und das Aufschlagen des neuen Kapitels “Being Julia”.

Und genau das bringt mich zum letzten Punkt, mit dem ich mich nur bedingt wohl fühle: Als kurzfristige Intervention verschrieb mir der Schlafarzt (nennt man die so? :-D) Lunivia, ein Schlafmittel. Warum und wozu genau, ist nicht weiter von Belang an dieser Stelle. Der Punkt ist: es ist ein Schlafmittel. Ähnlich wie Antidepressiva lehnte ich derlei Medikamente bisher (unter anderem aus Angst vor Abhängigkeit) ab. Doch offen gesagt gehen mir in diesen Bereichen die Optionen aus. Und ein gesunder Schlaf ist nun einmal essenziell für innere Ausgeglichenheit und damit ein Baustein für mich, um die Depression in den Griff zu bekommen und genug Kraft zu haben, um meinen Regenbogenschirm so zu nutzen, dass ich zwar weiter die Welt in ihren spannenden Details erleben kann, jedoch ohne fremde Energien und Emotionen zu meinen werden zu lassen.

Ihr seht, ihr Lieben, das hängt am Ende alles irgendwie zusammen. Und wie mein Therapeut neulich so treffend sagte:

Sie schwingen in Ihrem Transitionsprozess vom einen Extrem (der “Männlichkeit”) ins andere (die Weiblichkeit) und erfahren dabei alles, was diese zu bieten hat – z.B. Emotionen mit vervielfachten hohen Amplituden. Irgendwann wird sich das auf ein gesundes Maß einpendeln.

Ich hoffe, er behält Recht (Spoileralarm: hat er bisher immer).

Fazit

Um diesen halben Roman nun aber doch zu einem Ende zu führen und den Bogen zurück zur Einleitung zu spannen: all diese – nennen wir sie “Baustellen” – treten wie gesagt aktuell gebündelt auf und haben mich wie besagter Güterzug heftig gerammt. Ich fühle mich mit zahlreichen symbolischen Beulen, Platzwunden und Knochenbrüchen konfrontiert, die es mitunter etwas schwierig machen, einen Anfang zu finden, weil alles irgendwie gleichsam schmerzt und immobilisiert.

Vielleicht sind die Medikamente, die ich mit großer Skepsis betrachte, eine Tür, durch die zu gehen sich lohnen könnte. Ein temporärer Wegweiser, denn generell bin ich ein Mensch, der Medikamente nur nimmt, wenn es wirklich sein muss. Das hier ist wohl so ein Fall.

Was bleibt ist die Hoffnung. Und das Wissen, dass ich nicht alleine bin, mit all dem.

In Liebe,
Eure Julia

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One Thought to “Schwere Geschütze – ein Risiko für meinen Brustaufbau?”

  1. […] Und so erwischte es mich ja auch vor bald einem Jahr sehr heftig und ich rutschte in eine heftige Depression. Seither verschreibt mir meine Hausärztin regelmäßig hoch dosiertes Vitamin D3. Doch von dieser […]

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