Studien belegen, dass die Lebensqualität transidenter Personen durch eine medizinische und soziale Transition signifikant steigen kann. Subjektiv stimme ich dem unbesehen zu. Dennoch wollte ich wissen, ob das tatsächlich stimmt. Und zwar in Zahlen und Fakten.
„Auf einer Skala von 1 bis 10: wie geht es dir in deinem Leben?“
So oder so ähnlich begann meine strukturierte Selbstreflexion im Jahre 2008. Wie ich dazu kam, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Ich weiß nur noch, dass ich damals merke, dass in meinem Leben etwas nicht so lief, wie es gut und gesund für mich gewesen wäre. Ein Fragebogen half mir damals weiter und hielt mir den Spiegel vor: offenbar hatte ich mich in meinem Leben wirklich heftig verrannt. Im Mittel lag meine Punktzahl bei 4,75 – wobei 1 das schlechteste und 10 das beste ist. Ein ziemlich mieses Ergebnis!
Dieser Wert umfasste dabei folgende Kriterien:
- Gute Gesundheit, Wohlbefinden
- Ich verwirkliche mich entsprechend meinen Vorstellungen, ohne meinem Umfeld Schaden zuzufügen
- Freiheit (denken, leben)
- Zeit für mich haben; genug Zeit für Freizeitaktivitäten
- Visionen, die ich verfolge und für die ich lebe
- Das Gefühl, glücklich zu sein; allgemeine Zufriedenheit
- Entspannung; abschalten können
- Freunde zu haben, vor denen ich laut denken kann
- Geborgenheit; intakte Familie
- Ein soziales Netz, bzw. Freunde haben; Freundschaften pflegen
- Funktionierende emotionale, herzliche Liebe und gute Partnerschaft
- Freunde, auf die ich mich verlassen kann
- Mit anderen im Alltag lachen
- Zuneigung des Partners genießen (können)
- Eigen- bzw. Selbstbestimmung; geringe Fremdbestimmung im Beruf
- Gesichertes Einkommen; dadurch auch finanzielle Sicherheit und Voraussetzungen für Anschaffungen
- Angenehmes Betriebsklima im Team, in der Abteilung bzw. im Unternehmen
- Berufliche Freiräume
- Stressfrei arbeiten und Ziele erfolgreich bewältigen
- Einklang von Beruf und Privatleben
Besonders verheerend waren zurückblickend die Faktoren der Selbstverwirklichung und des Stresslevels – beruflich, wie privat. Aus heutiger Sicht wundert mich das kein bisschen.
Auch damals empfand ich das Ergebnis als alarmierend und es veranlasste mich dazu, Dinge langsam, aber sicher zu ändern. Dieser Prozess war allerdings deutlich schwieriger, als ich es angenommen hatte. Denn die meisten Faktoren hingen mit elementaren Säulen meines Lebens zusammen. Ich war unglücklich im Job, meine damalige Beziehung war toxisch und dennoch brauchte es weitere 14 Jahre für den Job und 8 Jahre für die Beziehung, bis ich den Mut und die Kraft fand, die Dinge für mich in die richtige Richtung zu lenken. Die damit verbundenen Entscheidungen machten mir eine höllische Angst, doch über die Jahre staute sich all das auf und meine körperliche Gesundheit nahm bereits Schaden. Kunststück. Ich durfte nicht sein, wer ich eigentlich war. Und ich traute mich nicht, für meine eigenen Bedürfnisse einzutreten.
Insofern verwundert es auch nicht, dass meine Werte, die ich zweimal im Jahr aufschrieb, im Laufe der Jahre zwar minimal besser wurden, im Schnitt aber nicht über eine 6 hinauskamen. Die Ursachen der schlechten Werte blieben dabei stets die gleichen, nur die Details veränderten sich.
Im Hinblick auf eine mögliche Verbesserung der Lebenssituation durch meine Transition ist hingegen eine deutliche Korrelation zu vermelden. Gegenüber meinen Werten aus 2019 (6,0) sprang meine Lebensqualität nach meinem inneren Coming Out 2021 auf 7,2. Selbstzweifel und wieder zunehmende Schwierigkeiten im alten Job sorgten dann jedoch wieder für eine temporäre Verschlechterung.
Und dann kam 2022!
Mit einem Durchschnittswert von 7,65 und keinem Kriterium unter 7 ging es mir im Vergleich zum ersten Wert 2008 nicht nur subjektiv, sondern auch mit Zahlen belegt, deutlich besser. Ich hatte mehr zu mir selbst gefunden, genau den richtigen Schritt im Job gemacht und die Transition lief unterm Strich super.
Themen, die diese Bewertung 2022 jedoch außen vorlässt, sind Beziehungen. Ich habe eben keinen Partner. Bis dato ging es mir damit auch total gut, da ich wirklich genug mit mir selbst zu tun hatte. Das hat sich in der jüngsten Vergangenheit jedoch ziemlich radikal geändert und ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich mir eine Partnerschaft nicht nur wieder vorstellen kann, sondern sie mir sogar von Herzen wünsche. Ich habe hier im Blog, gerade am Anfang der Transition, oft von dem Gefühl geschrieben, dass sich Dinge „richtig“ anfühlen. Ich folgte damals meinem Bauchgefühl und lag damit immer richtig. Genauso ist es im Augenblick in Bezug auf Partnerschaft.
Es fühlt sich richtig an!
Ich bin bereit für neue Abenteuer und freue mich auf alles, was da noch auf mich warten mag…