Meine Haartransplantation – ein Erfahrungsbericht

Foto - direkt nach der Haartransplantation

Ein weiterer Transitionsschritt ist getan. Medizinisch gesehen ein kleinerer als die GaOP im Januar, aber dennoch nicht minder wichtig für mich. Heute berichte ich euch ein wenig über meine Erfahrungen bei meiner Haartransplantation.

04:00 Uhr

Mein Wecker klingelt. Das war eine kurze Nacht! Ich strecke mich und merke, dass ich doch aufgeregter bin, als ich zunächst dachte. Mein Bauch kribbelt. Ich wusle mich aus meiner Kuscheldecke, mache Licht und beginne mich fertig zu machen.

Gut, dass ich gestern Abend noch einen Erinnerungszettel an meine Kaffeemaschine gehängt hatte, denn die allmorgendliche Routine des ersten Kaffees muss leider ausfallen. Das Koffein würde meinen Blutdruck steigern und damit zu unnötigen Blutungen beim Eingriff führen.

Für die nächsten Wochen setze ich das letzte Mal meine Perücke auf. Ein tolles, aber auch irgendwie komisches Gefühl. Es fühlt sich wie das Ende eines Kapitels und ein Neubeginn an.

Zwar frühstücke ich üblicherweise nicht, in diesem Fall mache ich aber eine Ausnahme. Etwas gezwungen futtere ich zwei Scheiben Graubrot und schmiere mir ein Käsebrot für den Tag. Man weiß ja nie… Ich muss kurz lachen. Das Schmieren von Butterbroten versetzt mich gedanklich in die Schulzeit zurück.

05:30 Uhr

Es ist noch immer dunkel. Och menno, das ist so überhaupt nicht meine Zeit!
Meine Freundin fährt vor. Sie wird mich heute begleiten und fahren – ich bin total dankbar dafür. Nicht zuletzt, weil die Reise damals nach Erding / München so ganz alleine schon etwas einsam war.

Auf dem Rücksitz des Autos wartet noch jemand anders auf mich: ein riesiger, flauschiger Teddy! Meine Freundin eröffnet mir grinsend: “Du musst ihm noch einen Namen geben.” Wieso das? “Na, der ist für dich!”, verkündet sie fröhlich. Mir stockt kurz der Atem…wie süß ist das denn bitte?!?

Und just als ich diese Zeilen schreibe, ploppt ihr Name in meinem Kopf auf! Mein süßer Teddy soll Emma heißen! Emma, ja, das gefällt mir. 🙂 “Emma! DU HEISST EMMA!“, rufe ich mit wackeliger Stimme ins Wohnzimmer! Ich muss ein bisschen weinen…

Zurück zu unserer kleinen Reise. Etwa 2 Stunden Fahrt nach Wiesbaden liegen vor uns. Im Vergleich zu den Touren nach München ist das ein Klacks. Für einen Brückentag sind die Straßen schon gut gefüllt, von Stau bleiben wir jedoch glücklicherweise verschont.

07:30 Uhr

Julia vor dem Medical Center WiesbadenFast eine Stunde vor der Zeit kommen wir ganz entspannt bei S-Thetic in Wiesbaden an. Das Medical Center liegt am Rande eines Industriegebiets, unmittelbar an der A66. Das Parken erweist sich etwas kompliziert, schlussendlich finden wir jedoch eine Parklücke gegenüber der “Schnitzel Queen”…ein Restaurant mit grandiosem Logo. 🙂

08:20 Uhr

Es wird ernst. 🙂 Wir verabschieden uns und ich betrete ein klein wenig eingeschüchtert die große und ziemlich kahle Eingangshalle des Medical Center. Ein Aufzug bringt mich in den 2. Stock und spuckt mich unmittelbar vor der Praxis von S-Thetic wieder aus. Angekommen!

Es ist noch früh, das kann ich merken. Das Personal kommt teilweise gerade erst an und ist noch mit Vorbereitungen für den Tag beschäftigt. Ich werde freundlich begrüßt, darf noch einen kurzen Covid-Test machen und werde dann vom behandelnden Arzt direkt zum Vorgespräch gebeten.

Offene Fragen habe ich nicht mehr, die hatten wir vorher telefonisch schon geklärt. Eine leichte Sedierung lehne ich aufgrund der Schlafapnoe ab. Sie ist nicht notwendig, kann aber die lange Wartezeit etwas verkürzen, wenn man vor sich hin döst. Ich ziehe das Ganze ohne durch!

Ich werde in den Behandlungsraum geführt. Er ist funktionell eingerichtet, aber dennoch hell, einladend und angenehm temperiert. Ein einer separaten Umkleide mit Schrank, Spiegel und ausreichend Ablagefächern darf ich mir dann eine bequeme OP-Hose anziehen, die sogar zufällig zu meinem Nagellack passt. 🙂 Eines der klassischen OP-Hemdchen muss auch sein.

Den künftigen Haaransatz hatte mit der Arzt kurz zuvor schon angezeichnet, mit meiner Bitte, die Haarlinie so weit es geht nach vorne zu ziehen. Die Grenze hierfür liegt etwa am Ende der Stirnmuskulatur. Wenn man die Stirn in Krausen legt, kann man diese Grenze ganz gut erkennen.

Bevor es los geht, schieße ich noch diesen letzten Selfie. Die langen Haare am Hinterkopf werden für die nächsten Monate leider erst einmal Geschichte sein.

Neben dem Arzt warten noch drei Frauen auf mich, die den Eingriff durchführen werden. Alle sind freundlich zu mir und erkundigen sich über den Tag verteilt immer wieder nach meinem Wohlergehen. Ich fühle mich sehr wohl hier!

08:45 Uhr

Für die nächsten gut 3 Stunden muss ich auf einer Liege auf dem Bauch liegen, damit mir die rund 1.800 Grafts (entspricht ca. 3.500 Haaren) am Hinterkopf entnommen werden können. Zu diesem Zweck muss allerdings zunächst ein rund 8-10 Zentimeter breiter Streifen rasiert werden. Das kitzelt. Die behandelnde Dame und ich wehklagen zusammen mit einem lachenden und einem weinenden Auge über den Verlust der lange gezüchteten Haare.

Schritt 1 ist erledigt: die Grafts wurden am Hinterkopf entnommen und die Wunde verbunden.

Anschließend erfolgt eine örtliche Betäubung des Hinterkopfes. Die Spritzen in den Kopf fühlen sich etwas unangenehm an, binnen kurzer Zeit ist jedoch alles taub und ich spüre keine Schmerzen mehr. Eher fühlt sich mein Kopf nun an, als hätte ich einen Helm auf. Komisches Gefühl. Auch wird mir neben einer Salzlösung zur Unterpolsterung der Haut (zwecks Straffung für die einfachere Entnahme) Adrenalin gespritzt. Das verengt die Blutgefäße und reduziert die Blutungen. Binnen weniger Sekunden fängt mein Herz an zu pochen und ich werde etwas zittrig wie nach dem Genuss von zu viel Kaffee. Ein super unangenehmes Gefühl, aber ganz normal für diese Art der Eingriffe. Ein wenig habe ich damit jedoch zu kämpfen, weil mich das Herzrasen an frühere Erfahrungen mit Panikattacken erinnert. Der Arzt nimmt sich diese Rückmeldung glücklicherweise zu Herzen – würde es schlimmer werden, solle ich Bescheid sagen, dann würde er etwas dagegen machen. Am Ende beruhigt sich mein Kreislauf aber wieder und alles ist okay. Eine Panikattacke bleibt aus.

Soweit ich den dann folgenden Prozess mitverfolgen kann und wie es mir erklärt wird, wird die Haut an den Entnahmestellen zunächst angebohrt. Anschließend werden die Haarwurzeln ganz vorsichtig aus der Kopfhaut entfernt und in einer Nährstofflösung für die Verpflanzung aufbereitet.

Der Eingriff an sich verläuft schmerzfrei und wann immer an einer Stelle die Betäubung nicht optimal ist, wird nachbetäubt. Das Personal ist wirklich sehr darum bemüht, mich schmerzfrei zu halten. Für meinen Geschmack schon fast etwas zu viel, denn durch die Bartepilation bin ich da ganz andere Schmerzen gewohnt. Alles halb so wild. 🙂
Was jedoch nach etwa 2 Stunden sehr unangenehm wird, ist der ständige Druck auf die Stirn. Auch mein Rücken schmerzt mehr und mehr. Nach einer kurzen Pause und einigen kleinen Dehnübungen bin ich jedoch für den Rest gerüstet und gegen 12 Uhr ist der schlimmste Teil überstanden.

12:00 Uhr

Ich darf mir von der erstaunlich großzügigen Speisekarte ein Mittagessen aussuchen und entscheide mich für ein vegetarisches Thai Curry, was etwas später heiß serviert wird.

In der Zwischenzeit darf ich mich auf den Rücken legen, der Arzt betäubt die Stirnpartie und bereitet die Stellen vor, an die später die Grafts eingepflanzt werden sollen. Dem Gefühl nach geschieht das mit einem Skalpell, das Dutzende oder sogar Hunderte (?) Schnitte in die Kopfhaut setzt. Ich fühle mich wie ein Käse, der in kleine Stück geschnitzt wird. Schmerzhaft ist das nicht, aber es fühlt sich komisch an und macht manchmal seltsame Geräusche, die ich gar nicht näher definieren kann.

Als dieser Schritt geschafft ist, gibt es das tolle Thai Curry. Ich habe richtig Hunger! Auf Getränke verzichte ich bis auf kleine Mengen weitgehend, um während des Eingriffs nicht ständig auf’s WC zu müssen.

13:00 Uhr

Nach einer kurzen Mittagspause von etwa 15 Minuten geht es dann mit dem angenehmeren Teil des Tages weiter. Ich darf auf dem Rücken liegen und habe eine kleine Rolle im Nacken, um die wunde Stelle am Hinterkopf zu entlasten. Über die Dauer von 4 Stunden wird der Nacken dann aber doch bisweilen taub von der konstanten Belastung. Mir werden daher zwischendurch andere Nackenkissen angeboten, mit denen ich dann über die Runden komme.

Die Zeit verfliegt schnell. Ich schwatze mit den drei Mädels über alles Mögliche. Job, Agilität, Kinder, Transitionsthemen, Dating und so weiter. Das war richtig schön. Auf den Kauf von EarPods hätte ich im Vorfeld wirklich verzichten können. Die hatte ich eigentlich besorgt, um während des Eingriffs ein Hörbuch zu hören. Das war aber gar nicht nötig.
Traurige Nachricht am Rande: heute finde ich meine EarPods nicht mehr und ich befürchte, sie in der Praxis vergessen zu haben. 🙁 Naja…es waren nur 20€…aber trotzdem doof.

16:00 Uhr

Es ist geschafft! Zwar habe ich nun das perfekte Halloween-Outfit und meine Stirn zieht wirklich gruselig aus. Aber obgleich noch keine Haare zu sehen sind, macht mich die neue Haarlinie beim Blick in den Spiegel total glücklich. Ich finde, es sieht direkt viel weiblicher aus!

Auch der Arzt ist mit dem Ergebnis zufrieden und erklärt mir noch die Nachsorge für die nächsten 2-3 Wochen. Gerade die erste Woche ist immens wichtig und kritisch, da die Haarwurzeln erst anwachsen müssen. Zwar hält das geronnene Blut die Haare vorerst an ihrer Stelle, ein Kratzen oder Stoßen des Kopfes wäre aber fatal. Nach 2 Wochen sollten die Haare dann aber komplett fest sein.

Dennoch bleibt die Stelle unverbunden, nur falls ich vor die Tür gehen sollte, soll ich eine spezielle Kopfbedeckung anziehen, um den Bereich von Sonne und Schmutz zu schützen.

Lediglich der Hinterkopf ist noch verbunden. Aber heute Abend darf ich auch diesen Verband entfernen.

16:15 Uhr

Nahaufnahme – sieht schlimmer aus, als es ist. 🙂

Mir geht es gut, ich verabschiede mich und verlasse glücklich das Medical Center. Meine Freundin wartet schon vor der Tür. Sie hat den Tag sinnvoll mit Shoppen verbracht. 😉
Vorsichtig steige ich ins Auto, um mir nicht den Kopf zu stoßen. Wir fahren heim und nach kurzer Zeit merke ich, wie die Betäubung nachlässt. Jede Bodenwelle hämmert in meinem Kopf. Wahnsinnige Kopfschmerzen und ein Brennen auf der Stirn überkommen mich. Zwar hatte mir der Arzt ein paar IBU 600 mitgegeben, ich wollte es aber zunächst ohne Medikamente versuchen.
Nach einer Weile gebe ich es aber dran. Die Schmerzen werden immer schlimmer. Leider bringt die IBU nicht die beabsichtigte Wirkung. Es wird langsam dunkel und die Lichter der Autos verstärken die Kopfschmerzen nur noch mehr. Ich schließe meine Augen und nicke zeitweise ein. Den Kopf dabei nicht richtig anlehnen zu können, ist schon etwas doof.

Der Uhrzeit angemessen geraten wir natürlich in einen dicken Feierabendstau. Den größten Teil bekomme ich nicht mit, denn sobald ich wach werde, hämmern die Kopfschmerzen und ich schließe meine Augen wieder. Ich bin nochmal doppelt so dankbar, dass mich meine Freundin fährt. In diesem Zustand hätte ich kein Auto fahren können…

19:00 Uhr

Die Option auf einen Kurzbesuch bei einer Halloweenparty einer Freundin schlagen wir spontan in den Wind und sagen ab. Ich würde nur da sitzen und leiden. Nein, viel lieber möchte ich ins Bett und schlafen.
Extra für’s Schlafen habe ich mir ein spezielles Nackenhörnchen gekauft, damit zum Einen mein Hinterkopf nicht direkt auf der Unterlage liegt und ich zum Anderen nicht Gefahr laufe, mich auf die Seite zu drehen und mit der Stirn ans Kopfkissen oder die Decke zu kommen.
Zunächst hatte ich mir diese Art zu schlafen sehr unbequem vorgestellt, aber trotz einiger kleiner Wachphasen in der Nacht verlief es doch angenehmer, als ich gedacht hatte. Für die nächsten 2-3 Nächte werde ich so schlafen müssen.

Heute

Wie gesagt, habe ich erstaunlich gut geschlafen. Die wunden Stellen schmerzen zwar noch minimal, da durch die eingespritzte Flüssigkeit noch etwas Spannung auf der Kopfhaut ist. Aber das ist kaum der Rede wert.
Es erfordert jedoch erstaunlich viel Konzentration, auf den Kopf Acht zu geben und nirgends anzustoßen oder mich zu kratzen. Alldieweil ich überall in der Wohnung eine Dachschräge habe.

Zwar jucken die Stellen noch nicht nennenswert, einmal habe ich dann aber doch aus Reflex an eine Stelle gegriffen und ein wenig gekratzt – bis ich plötzlich bemerkte, was ich da tue. Glücklicherweise scheint dabei nichts kaputt gegangen zu sein. Alles gut!

Die nächsten Tage werden sicherlich weiterhin etwas herausfordernd, um das tolle Ergebnis nicht zu gefährden, aber ich denke, das klappt schon. 🙂

Ein Fazit kann ich bisher natürlich nur teilweise ziehen:
Der Eingriff und alles drumherum war super und es gab keine Komplikationen. Nun bin ich natürlich mehr als gespannt auf das Endergebnis. Aber das kann tatsächlich bis zu 1 Jahr dauern, bis es in voller Pracht zu bewundern sein wird…

NEWSLETTER

Abonniere und erhalte alle neuen Blogeinträge bequem per eMail in dein Postfach. So verpasst du kein Update mehr.

Ich sende dir keinen Spam! Versprochen. :-)

One Thought to “Meine Haartransplantation – ein Erfahrungsbericht”

  1. […] Aber dennoch bemerke ich zunehmend eine Veränderung. In Bezug auf mein Bedürfnis, hier über Dinge zu berichten und darauf, was ich überhaupt noch für relevant halte. Anfangs war natürlich alles neu. Jedes Gefühl, jedes noch so kleine Erlebnis hielt ich hier fest. Und das war auch gut so, weil es damals so wahnsinnig bedeutsam für mich war. Heute sind das die meisten kleinen Erlebnisse nicht mehr. Ich werde im Alltag als Frau behandelt – so sollte es sein und es ist eben genau jener Alltag für mich geworden. Bis auf wenige Ausnahmen. Daher hat es für mich an Bedeutung verloren, darüber zu berichten. Dafür stehen andere Dinge im Vordergrund, wie zum Beispiel der kürzliche Erfahrungsbericht über meine Haartransplantation. […]

Kommentar verfassen