Wie ich heute mehrere Dinge in meinem Leben neu bewertete

2 Freundinnen

Es ist später Abend. Oder schon früher Morgen. Eulenzeit. Eine Kerze flackert beruhigend auf der Fensterbank. Die Welt kommt zur Ruhe. Zeit für meinen Tagesrückblick. Spoileralarm: es ist viel passiert.

Eins vorweg: die vergangenen Tage waren relativ ätzend, die Schmerzen waren stärker und mein Kreislauf im Keller, so dass ich kaum aus dem Bett kam. Heute geht es mir deutlich besser, was aber sicherlich auch daran liegt, dass ich meine IBU-Dosis wieder auf 2 Einheiten pro Tag erhöht habe. Zwar hatte ich den tollkühnen Plan, meiner Leber etwas Luft zum Atmen zu geben, aber wir haben ja gesehen, wohin das führt. Mit den zwei Tabletten ist das alles deutlich besser auszuhalten. Auch das Bougieren fühlt sich nicht mehr so an, als würde es mich innerlich zerreißen. Aber zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass einige Cisfrauen, die meine Bougierstäbe gesehen haben, mit ziemlicher Ehrfurcht abwinkten und mich keineswegs darum beneideten.

Als mein Wecker heute Morgen klingelte, hätte ich ihn am liebsten an die Wand geworfen. Krankgeschrieben und dann noch geweckt werden…pure Folter für eine Eule wie mich! Aber es half ja nix, denn für den frühen Nachmittag war ich das erste Mal seit der OP wieder für die Logopädie verabredet. Also musste ich recht früh aufstehen, um mein Morgenprogramm ohne Hetze durch zu bekommen. Belohnt wurde ich dann mit strahlendem Sonnenschein (wobei mir selbst der in den ersten Minuten nach dem Wachwerden gestohlen bleiben kann).

Ich war mir nach all den Wochen unsicher, was mit meiner Stimme geworden war. Bei meinen täglichen Übungen hatte ich stets das Gefühl, dass meine Muskeln zum Anheben des Kehlkopfes an Kraft verloren haben. Dennoch klang das Ergebnis jetzt gar nicht so schrecklich, wie ich angenommen hatte.
Die Autofahrt zu Logopädie war eine kleine Tortur und ich fragte mich kurz, ob ich mich da nicht übernommen hatte. Doch mit Sitzring und gelegentlichem Umherlaufen ließ sich die Stunde einigermaßen bewältigen. Wir fingen insofern auch keine neuen Übungen an, sondern nutzten die Stunde eher zur Neuorientierung. Meine Logopädin hatte zahlreiche Stimmbeispiele herausgesucht, darunter Stimmen von Iris Berben, Kathi Karrenbauer, Heike Makatsch und Anke Engelke. Wir analysierten die Stimmen und schauten, welche Aspekte dabei für mich relevant sein könnten. Eines stand schnell fest: die Stimmhöhe ist definitiv nicht mein Problem! Und hört man sich mal Kathi Karrenbauer an, so wird schnell klar, dass die Tonhöhe ohnehin nicht ausschlaggebend ist. Und selbst das „Geräusch“ in der Stimme („Reibeisen“) zerstört nicht notwendigerweise den Eindruck einer femininen Stimme. Vielmehr landeten wir am Ende bei zwei Aspekten: Prosodie und Weichheit. Mein Vorbild aus den genannten Personen wurde Anke Engelke, wenn sie natürlich (nicht in einer Rolle) spricht. Sie hat eine angenehme Prosodie, die Stimme klingt weich und die Tonhöhe ist in etwa mit dem vergleichbar, was ich in der Lage bin zu sprechen.
Da die Prosodie meines Erachtens die größere Baustelle bei mir ist und auch den größten Effekt hat, befassen wir uns ab kommender Woche weiter damit.

Neubewertung

Zwischen den Youtube-Videos mit den Stimmbeispielen drängte sich mir zusätzlich ein Gedanke auf: warum um alles in der Welt ich mich so sehr für meine aktuelle Stimme verurteile. Ich meine, wenn ich mich – stimmlich – in die Reihen dieser wunderbaren Frauen einreihe, liege ich irgendwo mitten drin. Kathi Karrenbauer hat eine sehr dunkle, raue Stimme. Heike Makatsch spricht mit recht viel Twang und ausgeprägter Prosodie. Iris Berben spricht sehr bedacht, sanft und beinahe gesäuselt, aber ebenfalls relativ tief. Anke Engelke ist irgendwo dazwischen. Und so auch ich.
Da fragte ich mich doch allen Ernstes, ob es nicht an der Zeit sei, meine eigene Einschätzung zu meiner Stimme neu zu bewerten. Ich meine, in den 15 Monaten hat sich wahnsinnig viel getan, das bescheinigte mir auch meine Logopädin heute, als wir uns meinen Stimmvergleich hier im Blog anhörten.
Ein wenig überrascht war ich von mir selbst, als mich meine Logopädin fragte, wie ich meine Stimme gegenüber der von Kathi Karrenbauer einordnen würde, ob ich meine weiblicher finden würde. „Nein„, antwortete ich nach kurzem Überlegen. Bei Kathi schließe ich die Augen und höre eine Frau. Tue ich das selbe bei mir, weiß ich nicht, was ich da höre. Ich höre „etwas“. Aber hier spielt ganz sicher die subjektive Einschätzung eine Rolle, weil es eben meine Stimme ist. Die nimmt man ohnehin immer etwas anders wahr. Was es bräuchte, wäre quasi ein objektiver Vergleich. Eine Art Test von neutralen Personen, die ohne Hintergrundwissen einfach nur die Stimmen einsortieren sollen.
Meine innere Kritikerin gibt es nicht gerne zu, aber mutmaßlich würde meine Stimme in vielen Fällen schon als weiblich durchgehen. Auch wenn ich das anders wahrnehme.

Und genau das ist das Thema der Neubewertung. Vielleicht muss ich langsam anerkennen, dass es doch gar nicht so schlecht ist, was ich da in über einem Jahr geleistet habe. Und anerkennen, dass fremde Leute schlicht nicht mehr irritiert gucken, wenn ich kurz mit ihnen spreche. So auch die unfassbar nette Lieferantin, die mir heute mein Abendessen brachte, nachdem mir nach dieser Tour heute die Kraft zum Kochen fehlte. Es war…wie soll ich das sagen…eine…Begegnung auf Augenhöhe. Nicht im wahrsten Sinne, denn die Gute war viel kleiner als ich. Aber im Sinne von „Frau zu Frau“. Das war ein anderer Vibe, den ich bisher noch nicht so oft gespürt habe. Ich fühlte mich als Frau gesehen und akzeptiert. Ohne Zweifel. Auch mit meiner Stimme. Diesen Vibe kenne ich von früher nicht. Frauen verhalten sich gegenüber Männern anders, das ist mir heute bewusst geworden. Und das heute war eine Frau-zu-Frau-Verbindung. Ein erstaunliches Erlebnis.

Nun bin ich jedenfalls gespannt auf die Prosodieübungen nächste Woche. Wenn ich die noch richtig in den Griff bekomme, ist das ein riesiger Schritt nach vorne!

Hörbuch und Mädelskram

In diesem Kontext fallen mir noch zwei Themen ein: „Hörbuch“ und „Mädelskram“. Fangen wir mal mit dem Hörbuch an:

In den vergangenen Tagen brachte mich eine liebe Followerin auf die Idee, diesen Blog als Hörbuch anzubieten. Oder vielmehr fragte sie, warum es ihn nicht als Hörbuch geben würde. Gute Frage! Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Bisher stehen eher zwei Buchprojekte auf meiner Ideenliste: ein autobiografisches Sachbuch über meine Transition und ein ebenfalls themenverwandtes Buch im Format eines Romans. Aber ein Hörbuch? Warum nicht?! Dagegen spricht zwar wieder meine liebe innere Kritikerin, nennen wir sie der Handhabbarkeit halber „Pia“. Pia ist total dagegen, denn Pia ist mit meiner Stimme überhaupt nicht zufrieden. Sie schämt sich, damit eine Tonaufnahme zu machen und noch mehr, diese abzuhören. Aber Pia ist nicht gleich Julia. Und Julia hat heute neue Dinge über sich und ihre Stimme gelernt. Siehe oben. Also vielleicht lässt sich Pia doch noch überzeugen.

Die Frage wäre eher: in welcher Form sollte dieses Hörbuch entstehen? Als Ganzes? Als ein Werk? Quasi als gesprochene Autobiografie der Transition? Oder doch eher im Podcastformat, bei dem die einzelnen Blogartikel in Audioform dargereicht werden? Oder ganz anders: themenspezifisch und entsprechend ausgearbeitet. Weniger ein Tagebuch. Dafür mehr wie mein Youtube-Kanal, der auch wegen Pia aktuell auf Eis liegt. Und ja, es wird wieder Videos geben. Ich habe schon einige Rückfragen dazu bekommen. Wait for it. Vielleicht möchte Pia mal ein Video machen und sich erklären. Mich erklären. Wir erklären uns gemeinsam. Titel: „Warum es auf diesem Kanal in letzter Zeit so still ist.“ Gute Idee eigentlich. Ich finde, meine Follower haben das Recht, das zu erfahren. Immerhin ist es ein direkter Teil meiner Transition.

Doch kommen wir zu dem Mädelskram. Der passt thematisch weniger zum Hörbuch, sondern eher zu der Frau-zu-Frau-Verbindung, die ich eben beschrieben habe. Und zum Umgang von Frauen untereinander. Und gegenüber Männern.
Ich habe heute wieder einmal erstaunt feststellen dürfen, wie sich die Beziehung zu meinen Mitmenschen langsam aber sicher ändert. So telefonierte ich heute mit meiner besten Freundin (Sagt man das heute noch so? Da fällt mir auf, das „beste Freundin“ habe ich ihr noch nie gesagt…mache ich sofort nach diesem Artikel!). Wir kennen uns seit Jahren, ursprünglich vom Job her. Aber wir hatten schon immer einen guten Draht zueinander. Früher war das gefühlt alles etwas holprig, weil das äußerlich betrachtet so ein Frau-Mann-Ding war und seit „Harry und Sally“ wissen wir ja, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können. Ich hatte jedenfalls immer das Gefühl, dass das irgendwie zwischen uns stand, obwohl wir darüber gesprochen hatten. Seit meiner Transition ist das aber weniger geworden und seit der OP scheint dieser ominöse Zwischenraum so gut wie verschwunden zu sein. Was für eine Erleichterung! Und seither haben sich auch unsere Themen etwas geändert, sind intimer geworden. Themen, über die wahrscheinlich kaum eine Frau mit einem Mann sprechen würde.
Aus Vertraulichkeitsgründen, überlasse ich es eurer Fantasie, was für Themen das vielleicht sein könnten. Der Punkt ist aber, dass es sich sooo richtig angefühlt hat. Sooo toll, endlich die gleiche Sprache zu sprechen, mich mit einer Cisfrau über Frauenthemen austauschen zu können, ohne dass es irgendwie cringe wird, sondern einfach…normal. Selbst bei der Äußerung, ich könnte irgendwann mal einen männlichen Partner haben, zuckte sie nicht mal mit der Wimper, sondern es war einfach vollkommen normal für sie. So geht bedingungslose Akzeptanz. Hier fühle ich mich wirklich zu 100% als Frau gesehen (woanders auch, ist nur ein Beispiel). Und das ist sooo wunderschön.

Diese Veränderung bestaune ich jedenfalls. Und bin von Herzen dankbar dafür!
Wow, so ist das also, wenn man eine beste Freundin hat und mit ihr über Mädelskram sprechen kann…

Es ist…der Hammer! 

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