Liebes Tagebuch, Tag 13 vor der GaOP war ein schmerzhafter. Vor allem physisch. Und ein Tag weiterer Versuche, mit dem zunehmenden inneren Druck umzugehen. Es ging mir schon besser.
Ich sagte ja bereits: die Anspannung wächst von Tag zu Tag und mir graut etwas vor den letzten Tagen vor der OP. Bereits jetzt beginnt meine Konzentration zu schwinden, mein Körper fühlt sich an, als wäre er dauerhaft an eine Steckdose angeschlossen und gleichzeitig versuche ich mich mit diversen Mitteln über Wasser zu halten.
Heutige Versuchskandidaten:
- Laut Musik hören. Besonders im Auto mit fettem Bass.
- Reden.
- Schreiben.
- Weinen.
- Ein Glas Rotwein trinken.
- Später: Yoga
Bisheriger Erfolg: na…so…mittel.
Was tatsächlich ein wenig gegen dieses wuselige Grummelgefühl im Bauch half, war die heutige Logopädiestunde. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es eher einer Gesprächstherapie glich, in Anbetracht der Situation fand ich das aber auch absolut angemessen. Wir fingen so kurz vor meiner OP nun keine neuen Themen mehr an, vielmehr werde ich meine täglichen Tagebuchsprechübungen beibehalten, sofern realisierbar auch in der Klinik. Den Rest der Zeit verbrachten meine Logopädin und ich damit, meine aktuelle Situation zu reflektieren, Alltagssituationen für mein Stimmtraining auszumachen und den Fortschritt der letzten Wochen zu analysieren.
Musik
Vor der Stunde war ich mit eben genanntem wuseligen Grummelgefühl im Bauch zur Logopädie gefahren und selbst die tiefen Bässe und bewegenden Texte von Bosse-Songs á la „Alles ist jetzt“ oder „Der letzte Tanz“ vermochten dieses Gegrummel nicht zu lindern. Zwischenzeitlich wurde mir sogar schlecht. Eindeutige Stresssymptome, die ich schon von früher kenne. Solange die OP nicht erledigt ist, hilft gegen dieses Gefühl nicht allzu viel, wie ich leider feststellen muss. Oder eben nur zeitweise, denn nach der Logopädiestunde stand ich auf und resümierte: „Cool, ich habe fast keine Bauchschmerzen mehr!“
Die habe ich jetzt auch nicht mehr, dafür sind sie einem dauerhaften Gefühl von wirrem Gewusel und vereinzelter Übelkeit gewichen. Vorteil für meine Figur: ich habe keinen Hunger mehr. Vor einigen Monaten hätte ich das ja auf meine Periode geschoben, das Progesteron hat aber ganze Arbeit geleistet und mich ziemlich zuverlässig eingepegelt. Emotional wie körperlich. Eine Periode ist seitdem nicht mehr wahrnehmbar.
Nun denn. Musik hören ist also irgendwie auch raus. Zumindest als effektives Hilfsmittel gegen Magenverstimmungen. Reden hat immerhin kurzfristig geholfen, solange es anhielt.
Schreiben
Das Schreiben half ein wenig. Dieser Artikel hier interessanterweise gar nicht, aber der vorhergehende über „I’m a safe person to come out to“. Bei der Gestaltung der betreffenden Seite ging ich ganz im Thema auf und war beseelt von der Idee, für andere queere Menschen eine Anlaufstelle zu sein, wenn sie jemanden zum Reden oder sogar zum Outen brauchen, weil sie sonst (noch) niemanden haben. Ich merke, wie sehr mich dieses Thema mit Sinn erfüllt und das half (zeitweise) auch gegen meine innere Unruhe.
Weinen
Auch nur kurze Linderung verschaffte mir völlig unkontrolliertes Weinen, als ich im Auto super laut besagte Bosse-Songs hörte und irgendwo zwischen Brust- und Kopfstimme hin und her kippte. Und ehrlicherweise sind nasse Augen beim Autofahren auch echt keine allzu gute Idee. Aber alles gut, nix passiert.
Worüber ich noch immer jedes Mal staune ist die Willkürlichkeit des Auftretens von Tränen. Früher habe ich fast nie geweint. Seit der Hormontherapie passiert das ständig. Und meist aus vollkommen marginalen Gründen. Vielleicht weil ich das süße Babyfoto sehe, das eine Kollegin nach der Geburt schickte. Oder weil eine Hummel völlig mit Pollen überladen auf dem Rücken gelandet und vor Erschöpfung gestorben ist. Oder weil in den Nachrichten berichtet wird, dass ein ausgesetztes Ferkel ein liebevolles Zuhause gefunden hat. Oder eben, weil „Der letzte Tanz“ mich ganz besonders vor der OP daran erinnert, jeden Moment nochmal bewusst zu erleben, weil es möglicherweise der letzte sein könnte.
Siehst du, Tagebuch? Und schon wieder kommen mir ohne erkennbaren Grund die Tränen. Ein bisschen bekloppt ist das ja schon. Zumal das in den seltensten Fällen Tränen der Trauer sind. Früher war das so. Weinen geschah bestenfalls bei Trauer. Heute? Weil etwas sooo schön ist. Weil etwas sooo überwältigend ist. Weil etwas sooo tief berührend ist. Auch weil etwas traurig ist. Oder aus purer Dankbarkeit. Die Gründe sind vollkommen unterschiedlich.
Aber weißt du was, Tagebuch? Ich liebe es! Heute sage ich: ich habe in meinem Leben viel zu wenig geweint. Oder besser: ich habe meinen Emotionen in meinem Leben viel zu wenig Ausdruck verliehen. Die Transition hat mir den Schlüssel in die Hand gedrückt, um diesen Kanal zu öffnen. Ich wiederhole mich: ich liebe es!
Und so weine ich manchmal auch einfach nur, weil ich so dankbar dafür bin, weinen zu können und es sogar ein wenig zu genießen. Klingt absurd? Mag sein. Ist aber so.
Rotwein & Yoga
Gut. Dennoch ist Weinen nun auch keine Dauerlösung bis zum 18. Januar, da es nur im gegenwärtigen Augenblick Linderung und Erleichterung verschafft.
Also? Nächste Option: heute darf es mal ein Glas Rotwein sein. Nein, auch das ist definitiv keine Dauerlösung, aber für einen Abend sei es mir gestattet. Die Wirkung hält sich allerdings auch in Grenzen. Es lockert eher meine Schreibmuse, weniger meinen Grummelwuselbauch.
Fazit (kind of)
Bleibt als letzte Option noch das Yoga zu späterer Stunde. Das hilft tatsächlich etwas länger, selbst nach dem Ende der Session. Da sich zuletzt bei der „Haltung des Kindes“ aber meine Füße übel verkrampften, hält sich meine Begeisterung heute etwas in Grenzen und stattdessen dudelt derweil Coldplay im Hintergrund. Weniger Tränenpotential als bei Bosse.
Tja nun. Kann ich bereits ein Fazit des heutigen Tages ziehen?
Zu allererst, wie schon angesprochen, die steigende innere Unruhe. Aber gleichzeitig auch die steigende Vorfreude. Beides hält sich die Waage, macht mich aber dennoch total wuschig im Kopf. Weißt du, wovor ich echt Respekt habe, liebes Tagebuch? Vor den 4 Tagen vor der OP. Ab dem 14. Januar muss ich meine Hormone absetzen und darf erst einige Tage nach der OP wieder damit anfangen. Ich habe keine Ahnung, wie mein Körper mit diesem spontanen Hormonentzug umgehen wird. Zumal es direkt nach der OP zusätzlich noch Testosteronblocker gibt, um das blöde Zeug aus dem Körper zu bekommen. Für einige Tage wird es also praktisch keine oder nur wenige Sexualhormone in meinem Organismus geben. Das kann ja heiter werden, wenn es mir jetzt mit Hormonen schon so geht, als hätte ich 10 Kannen Kaffe geext.
Weiteres Fazit nach dem Gespräch mit meiner Logopädin: sie ist zufrieden mit meinem Fortschritt und hat mir zudem Mut gemacht, dass bei der OP schon alles klappen wird. Sie fiebert mit mir, wie sicherlich viele andere Menschen auch. Das heutige Gespräch legte am Ende auch nochmal meinen inneren Fokus auf die Vorstellung, wie ich der Welt nach der OP berichte, dass es geschafft ist. Meine Logopädin wird daher extra Ausschau nach meinem WhatsApp-Status halten.
Liebe
Weißt du, liebes Tagebuch…da ist so dermaßen viel Liebe um mich herum. In verschiedensten Formen. Selbst das eher professionell geprägte Mitfiebern meiner Logopädin zeugt von einer bestimmten Form der Liebe. Von allen anderen lieben Menschen um mich herum mal ganz abgesehen. Da schau her, da kommen mir schon wieder Tränchen. Ich sag ja, unkalkulierbar. Ich scheue zwar ein wenig den erneuten Vergleich mit Lili Elbe, da mir ihr Ende (Tod) nicht passt und ich mich damit um Himmels Willen nicht gleichsetzen möchte. Aber etwas ist mir im Gedächtnis geblieben. Kurz vor Ende des Films haucht sie leise: „Ich weiß nicht, womit ich soviel Liebe verdient habe.“ Und dabei gehe ich voll mit. Liebe Lili, ich weiß auch nicht, womit ich soviel Liebe verdient habe! Es ist ein Wunder und ich bin dankbar dafür.
Aber weißt du was, Tagebuch?
Der Gedanke daran und die daraus resultierenden guten Tränen haben meinen Grummelwuselkürmelbauch beruhigt. Er ist jetzt ganz friedlich. Der perfekte Moment, um diesen Artikel zu beenden.
Bis morgen!