…und gehört zusammen. Ach, ich zitiere schon wieder einen Song der toten Hosen. Doch in diesem Beitrag soll es nicht um den Kreislauf des Lebens gehen, sondern um einen Wechsel des Blickwinkels auf die vergangenen Wochen.
Heute war ein besonderer Tag für mich. Viele Tage der vergangenen Wochen verbrachte ich aus Müdigkeit nach der Arbeit auf oder in meinem Bett, was mir zeigt, dass mein Körper mit der 2. Pubertät recht viel zu schaffen hat und das einfach wahnsinnig viel Energie kostet. Daher hatte ich auch Mal ums Mal den montäglichen OpenCircle abgesagt, das war mir einfach alles zu viel. Heute jedoch fühlte ich mich erstaunlich frisch und vergleichsweise energiegeladen und obgleich sich der Nachmittag dem Ende neigte und der Feierabend frohlockte, war ich noch fit genug, um mich in die vertraute Runde per Zoom einzufinden.
Anfangs zögerte ich noch und mir war nicht so ganz wohl bei dem Gedanken. Der Grund dafür war meine Haut im Gesicht, die von der vergangenen Bartepilation am Donnerstag noch sehr mit der Heilung zu kämpfen hat und mancherorts selbst heute noch etwas taub ist. Dieses Hautareal sollte ich also tunlichst nicht noch zusätzlich mit MakeUp belasten, ohne das ich mich jedoch in der Öffentlichkeit überhaupt nicht wohl fühle. Dennoch gab ich mir einen Ruck. Wenn nicht die Leute des OpenCircles, welche Menschen sonst auf diesem Planeten (neben meinen engsten Verwandten) sollten damit überhaupt kein Problem haben?! Vermutlich sind es sogar noch wesentlich mehr Menschen, die das nicht stören würde, sondern es ist eher meine Eitelkeit, die da spricht.
Unter der Vorankündigung, dass mich dieses Treffen etwas Überwindung koste, sagte ich aber dann doch zu. Und so erschien ich pünktlich im Zoom-Call. Kein MakeUp, keine Mütze, keine Perücke. Lediglich rasiert und mit meinem mittlerweile doch recht beachtlichen Pferdeschwanz. Natürlich war das kein Problem. Null. Hätte mich auch gewundert, aber dennoch war es ein befreiendes Gefühl für mich, in diesem Kreis auch rein optisch “echt” sein zu können, ohne blöd angeguckt oder angemacht zu werden, weil ich den typischen Normen einer Frau optisch (noch) nicht entspreche. Dort darf ich sein, wie ich bin, jeder Mensch darf dort sein, wie er ist und das wird förmlich zelebriert. Denn auf meine zaghafte Zusage, “ich käme heute ungeschminkt”, griff jemand das Thema direkt total wertschätzend auf und machte darauf die Challenge, dass heute alle ungeschminkt erscheinen könnten. Gut, für die männlichen Teilnehmer stellte das keine ernsthafte Herausforderung dar, aber dennoch. Der Umgang mit meiner Angst, nicht zu genügen, war dermaßen behutsam und fürsorglich, dass mir beinahe die Tränen kamen, als ich das las.
Warum kann der menschliche Umgang in unserer Gesellschaft nicht viel häufiger so sein?
Doch es wurde noch besonderer für mich. Nachdem ich ja nun einige Wochen nicht teilgenommen hatte und seitdem bei mir viel passiert war, ergab sich ein Circling, in dessen Mittelpunkt meine Themen standen. Circling heißt in dem Kontext, dass eine Person etwas über sich berichtet, was sie beschäftigt und bewegt und die anderen versuchen dazu in Resonanz zu gehen und den Kontakt zu halten. Geht der Kontakt mal verloren, dürfen sie Zwischenfragen stellen, das Gehörte mit eigenen Worten wiederholen und damit den Faden wieder aufgreifen. Letzten Endes geht es aber darum, der sprechenden Personen einen Raum zu öffnen, um die eigenen Gedanken auszudrücken und fließen zu lassen. Nicht selten ergeben sich daraus auch neue Erkenntnisse, die man vorher für sich alleine nicht sehen konnte.
Jedenfalls berichtete ich von einem Vorfall vom vergangenen Wochenende, der mich massiv geärgert hat, da jemand mir und meiner Transition gegenüber ausgesprochen respektlos und grenzüberschreitend auftrat. Weiter möchte ich darauf aber nicht eingehen, zumal das Thema nach einer klaren Ansage meinerseits für mich weitgehend abgehakt ist.
Während meiner Ausführung kristallisierte sich jedoch langsam heraus, worum es bei dem Thema eigentlich ging: “verstanden werden” und daran angekoppelt die Themen Selbstwert und Zugehörigkeitsgefühl.
Ich berichtete schon früher, dass ich mich Zeit meines Lebens wie ein Alien fühlte, da ich nirgendwo wirklich dazu gehörte, mich niemand wirklich verstand. Daraus resultierten fast automatisch die Fragen, was mit mir selbst falsch sei und was ich denn nur tun müsste, um endlich verstanden und von anderen akzeptiert zu werden. Damit begann ein Teufelskreis, der bis heute seine Wirkung zeigt: nach jeder sozialen Interaktion kroch mein innerer Kritiker hervor und bewertete meine Performance und analysierte, was ich gut oder schlecht gemacht hatte, um gut anzukommen. “Das hört sich ja wahnsinnig anstrengend an”, äußerte eine Teilnehmerin. Oh ja, unvorstellbar anstrengend.
Genauso verhielt es sich dann auch mit der männlichen Rolle, die es zu leben galt und selbst heute noch ertappe ich mich manchmal dabei, wie der innere Kritiker seinen Senf zu meiner “Performance” abgibt. Das hat mit Echt-Sein nicht mehr viel zu tun, nehme ich an. Das ist Performen zum Zwecke des Selbstschutzes, in Kindertagen mehr oder minder überlebenswichtig.
Doch damit nicht genug. Ich nahm auch Bezug auf meine Krise vor einigen Wochen, in der hohe Leistungsansprüche an mich selbst eine große Rolle spielten. Und die Angst, niemals die Frau sein zu können, die ich mir so von Herzen wünsche. Versagensängste? Vielleicht. Perfektionistische Ansprüche an mich als Frau: auf jeden Fall!
Überhöhte Leistungsansprüche, Perfektionismus, Versagensängste…ich führte das unmittelbar nach meiner Krise schon näher aus: alles Anzeichen von geringem Selbstwertgefühl. “Performen zum Zwecke des Selbstschutzes”. Mal wieder. Die Jahre vergingen, die Äußerlichkeiten veränderten sich, die Muster blieben die gleichen.
Und an diesem Punkt, aus der Vogelperspektive, wurde mir erneut klar, wie all das zusammen hängt. Die Transition, die Probleme, die sich daraus ergeben, die aktuellen Konflikte, frühere Beziehungskonflikte, Kindheits- und Jugenderfahrungen und gar Auseinandersetzungen mit einem bestimmten Kollegen in der Vergangenheit. Alles zahlt auf dieses Konto ein. Gerade jetzt, wo ich mich mitten in der Transition tageweise sehr verwundbar fühle, sind diese früher Muster verständlicherweise alles andere als hilfreich. Am wenigsten für mich selbst.
In meiner Krise schrieb ich, mir seien die Werkzeuge ausgegangen, um mit diesem akuten Problem klarzukommen. Nichts funktionierte mehr. Erst der Rat und die Einsicht, mal 3 Meter von dem eigentlichen Thema zurückzutreten und es aus einer anderen Perspektive zu betrachten, brachten Linderung für den Schmerz und Entspannung.
Entspannung. Das Gegenteil von Performen, oder? Wobei selbst dieses Wort vor dem Hintergrund des Kapitalismus mittlerweile den Beigeschmack von “Performen” bekommen hat, da Entspannung die Produktivität erhält. Gefährlich, aber ein anderes Thema. Worauf ich hinaus möchte ist: womöglich hat mir mein Therapeut – wissentlich oder unwissentlich – mit dem Rat, “3 Meter zurück zu treten”, den Schlüssel dafür in die Hand gelegt, den unbändigen Drang nach Performance und Perfektionismus zu lindern.
Zugegeben: das klingt alles ein wenig abstrakt und ich bin mir nicht sicher, ob meine Gedankengänge ohne die damit verbundenen Erfahrungen und Emotionen nachvollziehbar sind, für mich ergeben sie jedenfalls einen Sinn.
Ich denke – was zu beweisen wäre – allein der Gedanke an das Gespräch mit meinem Therapeuten, dieser eine Satz in diesem einen Moment, könnte künftig ausreichen, um Performance und Entspannung wieder in die Waage zu bringen, ohne genau sagen zu können, warum genau mir das jetzt hilft. Das löscht nicht die niederschmetternden Erlebnisse des Einsamseins, des Nichtdazugehörens, des Alienseins aus. All das hat sich in meine Seele eingebrannt und ist ein Teil von mir. Aber möglicherweise hilft es, dauerhaft 3 Meter Abstand zu diesen Erfahrungen zu gewinnen und die positiven näher an mich heran zu lassen.
Dann kann mir am Ende auch kein grenzüberschreitender Idiot mehr den Tag vermiesen, für den meine Transition nichts weiter als “persönlichen Spaß”, eine Art nettes Hobby, darstellt.