Ich erzähle hier wahrscheinlich nichts Neues, wenn ich erwähne, dass mir Schreiben auf dem Weg der Transition sehr hilft. Heute gab es wieder einmal Gelegenheit, diese wunderbare Form des Ausdrucks an die Frau zu bringen.
Es ist früher Abend. Sommerliche Temperaturen heißen die Straßenschluchten auf und verscheuchen mich in den Schatten oder die kühlschrankähnlichen Räumlichkeiten der hiesigen Einkaufspassagen. Hinter mir liegen 90 Minuten Nadelepilation an Unterlippe und Kinn (speziell Ersteres ist sehr aua und führt zu fiesen Schwellungen). Hinter mir liegen auch weitere 60 Minuten Einzeltherapie.
Vor mir liegen noch knapp 2 Stunden Wartezeit, bis zur Gruppentherapie. Ja, alles an einem Tag. Und ja, an arbeiten war heute nur bedingt zu denken. Dass die Transition für mich aber aller oberste Priorität hat, hatte ich hier ja schon früher mal erwähnt. Nun, ich nutze die Zeit also, um ein bisschen durch die Stadt zu bummeln, meine Nase im Bücher zu stecken, die im überdimensionalen Buchladen auf 4 Etagen präsentiert werden. Zu meiner Überraschung und Freude finde ich eine LGBTQ-Ecke mit queerer Literatur – und kaufe direkt zwei Romane. “Im Park der prächtigen Schwestern” und “Meine Mutter, sein Exmann und ich”. Ich bin gespannt. Bereits beim Warten auf die Gemüsepfanne in den dank Corona weitgehend verlassenen Räumlichkeiten eines personell doch eher international geprägten Asiaten lese ich ersten Seiten der prächtigen Schwestern. Bedrückendes Szenario. Prostituierte Transfrauen in Südamerika. Viel Elend, Drogen, Alkohol. Und natürlich Sex. Belang- und hemmungslos. Wirkt auf mich eher verstörend. Ich bin dankbar, meinen Job nach dem Coming Out behalten zu haben und nicht in eine soziale Abwärtsspirale geraten zu sein, wie es leider viel zu vielen Transpersonen auf dieser Welt passiert.
Es wird Zeit. Ich stelle Teller und Glas in die mit typischem Beamtendeutsch bezeichnete “Geschirrrückgabe”, laufe zurück zur Praxis und lese dort noch ein wenig weiter. Dabei fällt mein Blick auf mein rechtes Handgelenk: ein Herr hatte mich vorhin in sein Beauty Salon gequatscht, wissend um seine Absicht und fest entschlossen, kein Geld hier zu lassen, ließ ich die Belegschaft mal machen. Da ich zu meiner Freude korrekt gegendert wurde, gab ich ihnen eine Chance. Eine Kollegin rieb mir das Handgelenk mit einem Peeling ein, dabei mit einer Mischung aus Deutsch und Englisch die Vorzüge des angewendeten Produkts erklärend. Ein Peeling aus hübschen Döschen, ohne Preisangabe versteht sich. Es folgte eine Tagescreme und meine Haut fühlte sich seltsam glitschig an. Ich bedankte mich, wünschte einen schönen Tag und verließ den Laden. Danke, aber nein danke. Meine Haut fühlte sich später an wie zuvor. Vermutlich gehört auch eine Menge Glaube an das Produkt selbst, damit es Wirkung zeigt.
Szenenwechsel. Halsbandsittiche rauschen schreiend am Fenster vorbei, die Klimaanlage, der Ventilator und der Luftfilter dröhnen und lassen mich frösteln. Der Raum füllt sich langsam mit weitgehend durchgeimpften Mitpatientinnen. 50% ohne Maske. Mein Therapeut sieht uns seit mehreren Monaten das erste Mal wieder ohne Maske und bemerkt Veränderungen in unseren Gesichtern. Bei mir leider weniger als bei anderen, aber immerhin. Diese kleinen Veränderungen bleiben uns beim täglichen Blick in den Spiegel bekanntlich verborgen.
Ein Beitrag in der Gruppe dreht sich um den transidenten Lebenslauf, der in der Transition ein unumgängliches Pflichtdokument ist, da er bei so ziemlich jedem Antrag beizulegen ist. Eine Mitstreiterin tut sich schwer damit. So ganz verstehe ich ihren Punkt nicht, dank Maske, leiser Stimme und unklarer Aussagen. Doch es scheint, als sei die Angst vor dem was da in ihr schlummert so groß, dass sie Schwierigkeiten hat, es durch das Niederschreiben quasi real werden zu lassen, zuzulassen. An anderer Stelle berichte ich von meinen Erfahrungen mit dem Schreiben. Hier im Blog. Als Ventil für meine Emotionen und Gedanken. Als Ausdrucksform, ohne die ich irgendwann innerlich platzen würde.
Doch auch der transidente Lebenslauf war und ist für mich Ausdruck einer Reise. Werkzeug der Reflexion, Reise in die Vergangenheit und ein Stück Zeitgeschichte mit autobiografischem Bezug. Erst durch ihn wurden mir damals Zusammenhänge klar, vergessen geglaubte Erinnerungen kamen an die Oberfläche und alles zusammen ergab plötzlich einen Sinn für mich. All die Um- und Leidenswege, kleine Augenblicke der Selbstwahrnehmung und der eigenen Ablehnung, des Mobbings. Alles passte zusammen wie ein Puzzle.
Das Schreiben hatte mir geholfen, vieles aus meiner Historie in ein anderes Licht zu rücken und neu bewerten zu können. Ich wünsche unserer noch sehr verschlossenen Mitpatientin, dass ihr das Schreiben des Lebenslaufs auch weiterhelfen wird.
3 Stunden zuvor.
Die Praxistür öffnet sich, mein Therapeut begrüßt mich. Ich trete ein und strecke ihm einen Blumenstrauß entgegen. Für ihn. Als kleines Dankeschön für alles, was er bisher für mich getan hat und anlässlich unseres einjährigen Therapiejubiläums im Juli. Das war einfach nötig. Denn lese ich Geschichten von anderen Transpersonen bei Reddit, Facebook, Insta oder sonst wo…viele von uns sind verloren. In den Mühlen der deutschen Bürokratie und hätte ich meinen Therapeuten nicht, wäre es mir ebenso ergangen. Die bürokratischen Hürden sind ohne fremde Expertise im Grunde kaum zu meistern. Oder nur mit vielen Rückschlägen. Dass hier viele aufgeben, kann ich bestens nachvollziehen. Doch das ist sooo traurig. Diese Menschen werden aktiv eines Lebens im Einklang mit sich selbst beraubt. Das grenzt an vorsätzliche Körperverletzung und seelische Grausamkeit.
Ich lasse mich in den weichen Ledersessel sinken und klappe mein Notizbuch auf. Neuigkeiten gibt es einige. Die zusätzliche Progesterongabe. Das unzureichend formulierte Gutachten seitens meines Therapeuten für die GaOP. Mein allgemein wieder hergestellter Gemütszustand. Ob nun durch Progesteron oder weiß Wunder was. Was ich jedoch vereinzelt in den letzten Tagen wahrnahm, war ein Gefühl von innerer Ruhe. Üblicherweise tobt ein Sturm in mir auf allen Ebenen. Doch in diesen Momenten: Frieden, so unendlich wohltuend. Leider währt diese Freude nur wenige Augenblicke, aber es ist ein Anfang. Und ich wünsche mir sehr, liebe Perseiden, dass das Progesteron maßgeblich dazu beigetragen hat. Beweise dafür habe ich aber nicht. Dennoch ist der zeitlich unmittelbare Zusammenhang doch recht auffällig.
Wir kommen auf meine Kinder zu sprechen. Ob sie mich noch Papa nennen. “Ja”, antworte ich. So richtig gefällt mir das nicht, aber ich baue auf eine Art Selbstheilungskraft, denn vereinzelt rutscht ihnen ein “Mama” oder ähnliches raus. “Mama” würde mir gefallen. Denn genau betrachtet steckte schon immer eine Mama in mir, die ich dank meiner Chromosomen aber nie leiblich werden, sondern lediglich den initialen Funken dafür spenden durfte. Nicht minder wichtig, aber ich traure manchmal ein wenig dem Umstand nach, niemals die Chance gehabt zu haben, Leben aus mir heraus erschaffen zu dürfen.
In der Öffentlichkeit bitte ich die Kids zunehmend oft, mich nicht Papa zu nennen und damit zwangszuouten. Das funktioniert soweit auch meistens. Aber der Funke, das letzte Verständnis ist noch nicht übergesprungen, dass die Kinder von sich aus sagen: “Ja, klar! Das ist doch kein Papa! Das ist ganz klar eine Mama.” Und warum auch nicht? Warum sollten Kinder nicht auch zwei Mamas haben?! Deswegen ist die Rolle der biologischen Mutter ja nicht herabgesetzt. Und ziehe ich die kürzliche Aussage meiner Mutter zu Rate, wenn sie mich im Umgang mit den Kindern beobachte, meine Gestik und die ganze Herangehensweise, dann sähe sie ganz klar eine Mama. Ja, dann ist das doch erst recht stimmig.
Allein die Frage steht im Raum, wie kann ich es den Kindern einfacher machen, dieses klare Verständnis zu erlangen, ohne sie dabei zu etwas zu zwingen, das dann ohnehin nur aus Pflichtbewusstsein erfüllt würde? In diesem Kontext kamen wir darauf zu sprechen, ob mich meine Kinder denn bisweilen noch nackt sehen würden. Klar, das kommt schon nach dem Duschen mal vor und sie haben realisiert, dass diese dort sichtbaren männlichen Genitalen nicht mehr lange unter uns weilen werden. Aus Sicht des Prozessverständnisses finde ich das auch gut.
Doch mein Therapeut brachte einen validen Punkt auf und untermauerte damit seine These, dass es der falsche Ansatz sei, sie meinen Intimbereich überhaupt noch sehen zu lassen: ich würde ihnen damit indirekt vermitteln, dass Frauen nur dann Frauen sein können, wenn sie eine Vagina haben, Transfrauen also eine OP hatten. Und das ist natürlich vollkommener Blödsinn. Es gibt genug Transpersonen, die sich aus Gründen nicht operieren lassen. Sind sie deswegen weniger Mann oder Frau? Nein! Unser Gender-Verständnis ist einfach nur zu starr, um das zu akzeptieren. Und ich muss gestehen, ich bin in diese Falle getappt, da mir persönlich die OP wahnsinnig wichtig ist. Und ohne sie fühle ich mich tatsächlich nicht “vollständig”…ganz einfach weil es sich falsch anfühlt. Es sollte nicht so sein, wie es jetzt ist. Und dieser Fehler muss korrigiert werden. So wie einige andere auch, soweit eben möglich.
Dennoch möchte ich meinen Kindern natürlich eben nicht vermitteln, dass nur eine der beiden Varianten legitim ist. Daher eben der Vorschlag meines Therapeuten, derlei Situationen zu umgehen – und es den Kindern damit vielleicht auch noch etwas einfacher zu machen, mich auch körperlich als Frau wahrzunehmen. Es ist schwer, das sehe ich ein. Ohne zahlreiche Hilfsmittel kosmetischer Natur sehe auch ich beim Blick in den Spiegel in 99% der Fälle noch einen Mann. Hinter den dann traurigen Augen blicke ich aber auf eine Frau. Eine Gefangene, die befreit werden möchte. Physisch. Nicht nur psychisch.
Dieser Tage gab es glücklicherweise immer mal wieder Augenblicke, in denen ich im Spiegel tatsächlich die Frau in mir sah. Selbst ohne Make-Up. Einfach so. Das war schon ziemlich großartig, muss ich gestehen. Gerne mehr davon.
Leider blieb mir dank wolkenverhangenem Himmel heute Abend ein Blick auf die Perseiden versperrt, daher konnte ich mir nichts von der Sternschnuppe wünschen. So tue ich es aber jetzt einfach ohne Sternschnuppe. Ich wünsche mir von Herzen, dass ich eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages zufrieden mit mir selbst in den Spiegel schauen oder Fotos betrachten kann, eine Frau darin sehe und mich einfach sauwohl in meinem Körper und in meinem Leben fühle. Ohne Angst, in der Öffentlichkeit falsch angesprochen oder angepöbelt zu werden für das, was ich bin. Sondern selbstbewusst als das aufzutreten, was ich bin und innerlich schon immer wahr: eine Frau.
Bitte sehr, Universum, hier ist mein Wunsch. Ich tue meinen Teil dafür, den Rest überlasse ich jetzt dir…