“Sagt man da Glückwunsch oder endlich?” schrieb mir vorhin ein Freund auf meinen aktuellen WhatsApp-Status. Gute Frage. Das weiß ich selbst nicht so genau.
28. Januar 2021. Eine junge Frau, Ende 30, marschiert durch einen dunklen Hausflur und meldet sich an der Rezeption der Arztpraxis an. Cut. Nach einer guten Stunde tritt sie wieder an die feuchte Abendluft und hüpft gekonnt über die Pfützen des regnerischen Tages in Richtung ihres Autos, das sie seit einigen Woche mit großem Stolz fährt und den Komfort jede Sekunde lang genießt. Zufrieden lenkt sie ihr Fahrzeug nach Hause.
Zeitsprung. 95 Tage später. 2.280 Stunden.
136.800 Mal tickte seither der Sekundenzeiger in ihrer Armbanduhr. Kein teures Stück, aber schlicht, elegant und zuverlässig. In zartem rosé-gold.
Konzentriert lauscht die junge Frau ihren Kollegen, die sich digital in einer fachlichen Diskussion zum von ihr geleiteten Projekt befinden. Ihr Handy klingelt. “Anonym”. Derartige Anrufe nimmt sie nicht entgegen. Zu oft waren das Werbeanrufe. Dennoch beschleicht sie ein seltsames Gefühl, den Anruf nicht verpassen zu dürfen. Vorbei. Das Telefon schweigt wieder.
Es klingelt erneut. Jemand ruft ihre Dienstnummer an. Eine örtliche Nummer. Doch sie kann das Meeting jetzt nicht verlassen. Sie wird nervös, hat einen Verdacht. Googlet die Telefonnummer. Frau Doktor. “Shit”, flucht sie leise in sich hinein. Wäre sie mal drangegangen. Seit Anfang des Jahres wartet sie nun schon auf die fachärztliche Stellungnahme dieser Ärztin, die die Beantragung ihrer Bartepilation seit Wochen verzögert. Da ruft sie endlich an und dann das. Sowas Blödes!
Das Handy gibt ein markantes “PLING” von sich. Eine eMail. Frau Doktor. Mit Bitte um Rückruf. Die Nervosität der jungen Frau steigt. Das Meeting ist ohnehin in drei Minuten zu Ende. Sie tippt eine kurze Abschiedsnachricht in den Chat, um das Gespräch nicht zu unterbrechen und legt auf. Hastig tippt sie die Nummer der Ärztin. Es klingelt. “Sie rufen außerhalb unserer Sprechstunde an”, tönt es ihr entgegen. Sie verzieht den Mund genervt und legt wieder auf. “Echt jetzt?!”, schimpft sie.
“Unsere Sprechstunden sind von…”, liest man im Internet. Erst in 2 Stunden wird ein Anruf wieder erfolgversprechend sein. Puh, also gut.
Weitere 7.200 Sekunden später greift die mittlerweile müde gewordene Frau ihr Handy, wählt erneut die Nummer und hält das kalte Gerät ans Ohr. Es berührt ihre Wange. Sie ist wund vom Rasieren und dem täglichen Einsatz von MakeUp, um den Bartschatten abzudecken. Heute jedoch hat sie sich entschlossen, ihre Haut etwas zu schonen und ungeschminkt zu bleiben, fühlt sich jedoch derart unwohl, dass sie das Haus nicht verlassen mag.
“Alle unsere Mitarbeiter sind aktuell im Gespräch, bitte warten Sie einen Augenblick oder rufen Sie später noch einmal an.” Sie tut beides. Kein Erfolg. Niemand hebt ab.
Wieder. Und wieder. Und noch einmal. Nichts.
Gerade, als sie sich an den Laptop setzt, um der Ärztin per eMail mitzuteilen, dass sie es morgen noch einmal versuchen werde, klingelt es. “Anonym”. Hastig nimmt sie den Anruf an. Es ist die Ärztin! Endlich!
“Sie können die Stellungnahme am Mittwoch abholen. Ich mache auch einen Dringlichkeitsvermerk für die Genehmigung.”
Sie legt auf. Ist das gerade wirklich passiert?
Sollte die monatelange Odyssee in 48 Stunden endlich ein Ende haben?
Eine Mischung aus Erleichterung und genervter Trotzigkeit durchströmt die mittlerweile 40-jährige. “ENDLICH!”, stößt sie zusammen mit reichlich Atem aus und lässt sich auf’s Bett fallen…
[…] Ich berichtete. Montag verkündete mir meine Ärztin nach einigem Hin und Her, heute – am Mittwoch – ihre fertige Stellungnahme endlich abholen zu können. Nochmal zum Mitgruseln: nach mehr also 3 Monaten! Aber dafür immerhin pünktlich zu meinem 7-monatigen Hormontherapiegeburtstag. Happy Birthday, Juli! (ja, im ersten Jahr HRT feiere ich das noch jeden Monat :-)) […]