Es ist der letzte Tag des Jahres. Ein Tag mitten in den Rauhnächten, die ich dieses Jahr das erste Mal gemeinsam mit meinen Kindern begehe. Es ist Zeit, ein Resümee für 2024 zu ziehen – eine Aufgabe, die dieses Jahr mit vielen Tränen, aber auch manch dankbarem Lächeln verbunden ist. Ich lade euch ein, mich auf meinem ganz persönlichen Weg durch die vergangenen zwölf Monate zu begleiten.
Ihr Lieben,
der Moment, in dem meine Kinder und ich in der Abenddämmerung stehen und gemeinsam in einem symbolischen Akt einen Wunsch an das Universum übergeben, hat etwas Magisches. Es sind lediglich Sekunden, aber für einen Moment kehrt Ruhe ein – und so etwas wie Verbindung. Und auch der tiefe Wunsch, vom Universum gehalten und beschützt zu werden. Denn 2024 war in vielerlei Hinsicht erschütternd. Die weltpolitische Lage möchte ich hier im Augenblick (bis auf eine Ausnahme) thematisieren, die kennt ihr selbst zur Genüge. Nein, 2024 hat etwas in mir zerschmettert, was ich noch nicht genau benennen kann, dessen Konsequenzen ich aber sehr deutlich als Angst wahrnehme.
Daher ist, neben Gesundheit, einer meiner größten Wünsche für 2025: Sicherheit und Stabilität.
Hm, ich muss ein wenig schmunzeln bei der Aussage. Denn ich, in meiner Rolle als Agile Coachin und mit meinen Erfahrungen in der Transition, bin doch eigentlich der Inbegriff der Offenheit für Veränderung. Oder zumindest war das bisher mein Selbstbild. Dieses Jahr hat etwas verändert.
Januar
Das Jahr startete vielversprechend für mich, wenn auch mit einigen Fragestellungen, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten konnte. Allen voran die Frage nach der Fortführung meines Jobs in der aktuell gegebenen Form. Diese Entscheidung würde noch bis zur Jahresmitte Zeit benötigen.
Doch als der erste Schnee des Jahres fiel und ich mit kalter Nase durch die weiße Landschaft stapfte, erfüllte mich innerer Frieden, den ich im Laufe des Jahres noch herbeisehnen würde. Ich hatte mich schon im Jahr zuvor mit meiner Hochsensibilität befasst, 2024 würde sie jedoch auf eine neue Ebene heben und mich herausfordern, gut für mich zu sorgen. In diesem schneegedämpften Moment, irgendwo in den Urdenbacher Kämpen, spielte all das jedoch keine Rolle. Die Welt um mich herum war ruhig und friedlich. Ich blühte auf – für den Moment.
Und dieser Moment gab mir Kraft, um für meine Überzeugungen einzutreten und auf die Straße zu gehen. Es war jene Zeit, als Hunderttausende gegen Rechts demonstrierten. Es war eine Zeit der Hoffnung, dass wir in einer wehrhaften Demokratie leben, die Hass keinen Raum lässt und offen ist für Gemeinschaft und Vielfalt. „We are making history“, dachte ich damals.
Aus heutiger Perspektive bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Während wir am 27. Januar mit tausenden anderen Menschen durch Düsseldorf zogen, überkam mich so etwas wie Stolz und dieser riesige Zusammenhalt bestätigte mein Weltbild, dass wir Großes erreichen können, wenn wir zusammenhalten. Nicht das Trennende, nicht die Gewalt und nicht die Ablehnung ist die Lösung unserer Probleme. Nein. Gemeinsam sind wir stark. Mit Rückblick auf meine Transition ist das übrigens eines der stärkten Merkmale, das mich – im Durchschnitt betrachtet – am meisten am Frausein bewegt und begeistert. Das Gemeinsame und die gegenseitige Unterstützung. That’s my thing!
Was unterm Strich von dieser riesigen Bewegung am Jahresanfang bleibt, nachdem die politische Lage sich derart gewandelt hat, bleibt abzuwarten. Nur bitte tut mir einen Gefallen: Selbst wenn ihr mit der gescheiterten Ampelregierung nicht zufrieden wart, bitte wählt nicht aus falsch verstandenem Protest die AfD oder andere rechte Gruppierungen! Das hatten wir schon mal und es war richtig, richtig schlimm! Lasst uns bitte aus der Vergangenheit lernen.
Februar
Der Februar wurde mein Vorfreude- und Star Trek-Monat, ganz fernab von Wetterlagen oder Demonstrationszügen. Ich hatte meinem Freund Tickets für die FedCon im Mai in Bonn geschenkt und probierte mich zwecks „Verkleidung“ als Make-up-Artist an mir selbst und malte mir Trill Spots auf. Denn die Trill, ein Volk in Star Trek, das teilweise in Symbiose lebt und dadurch durch tiefe Transitionsprozesse geht, gingen seit jeher in Resonanz mit mir und meinem eigenen Wesen.
Und so wurde der Februar neben der Vorfreude auf die FedCon auch ein Moment des Ausprobierens für mich selbst. Früher mochte ich mich nie verkleiden, doch das hat sich durch die Transition grundlegend geändert. Verkleiden macht mir heute für besondere Ereignisse großen Spaß.
Spannend, oder?
März
All die Vorfreude und der Spaß an der Selbstbemalung traten im März schnell in den Hintergrund, denn meine Schwester wurde mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs diagnostiziert. Meine Eltern und ich reisten recht kurzfristig nach England, wo sie mit Mann und Kindern lebte.
Sie war schon zu diesem Zeitpunkt angeschlagen und versuchte sich mit gesunder Ernährung und anderen Dingen über Wasser zu halten. Das Familienfoto entstand auf einem der letzten Spaziergänge, die wir als Kernfamilie gemeinsam unternehmen würden. Eine Runde um den Block. So heißt das bei uns bis heute.
Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und auch mit Trauer, dieses Bild zu sehen. Damals bestand noch Hoffnung. Und es war ein Moment des Zusammenseins. Alle Familiendramen der letzten Dekaden wurden für einen Moment unwichtig und ich erinnerte mich daran, wie es früher einmal gewesen war. Bevor alles anders wurde.
März 2024. Ein Abschied auf Raten.
April
Mein Geburtsmonat war folglich geprägt von Sorgen um meine Schwester. Und ich begann langsam nervös zu werden, wie es mit meinem Job weitergehen würde. Vieles nagte an mir, vor allem Selbstzweifel, denen ich in dieser Situation nur wenig entgegenzusetzen hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes zurück aufs Pferd setzte mich meine Reitlehrerin, der ich reiterlich wie menschlich einiges zu verdanken habe. Sie schrieb mir eine sehr liebe WhatsApp-Nachricht, die ich mir bis heute immer wieder gerne anschaue:
Obgleich es mir immer wieder schwerfällt, so versuche ich, ihre Bestärkung jeden Tag aufs Neue umzusetzen. Egal, in welcher Lebenssituation.
Mai
Der Frühling neigt sich langsam bereits dem Ende und der Sommer kündigt sich zaghaft an. Es ist Mai und mit ihm kündigen sich zwei Events an, privat und beruflich, die mich in ihrer Intensität für einen Moment meine Sorgen vergessen machen.
Obgleich ich große Menschenmengen lediglich in homöopathischen Mengen vertrage, wagten sich mein Freund und ich Mitte Mai nach Bonn auf die FedCon, um im Star Trek Feeling zu baden. Schauspieler wie Robert Picardo, Anson Mount oder Mark Jackson mal live auf der Bühne zu erleben, fand ich sehr spannend. Vor allem Robert Picardo hielt eine großartige Session und brachte uns oft zum Lachen und Nachdenken.
Bei einem Maskenbildner ließ ich es mir außerdem nicht nehmen, mir professionelle Trill Spots aufmalen zu lassen, um angemessen die Eventlocation zu bereisen. Unterm Strich war es ein anstrengender Tag, mit vielen Menschen, aber dennoch für mich ein tolles Erlebnis, unter Gleichgesinnten zu sein.
Der Monatsausklang wurde nicht minder aufregend. Eine Kollegin und ich organisierten das 1. Agile BarCamp bei uns im Unternehmen und hofften auf rege Teilnahme. Der Anfang war hochgradig kribbelig, da wir nicht wussten, ob die Organisation für ein derart offenes Format bereit war, die rund 50 Teilnehmenden und das ausnehmend positive Feedback nahmen uns diese Sorge jedoch schnell.
Ein geglückter Pilot mit viel Austausch und guter Laune, den wir im kommenden Jahr gerne wiederholen möchten.
Juni
All die Unsicherheit über meine berufliche Zukunft löste sich im Juni zu meiner großen Erleichterung in Wohlgefallen auf. Ich bekam die Chance, ins Global Learning Team zu wechseln und wechselte mit einem lachenden und einem weinenden Auge in das neue Team, in dem ebenso wundervolle Menschen arbeiten, wie in meinem alten Team.
Ab und zu würden sich unsere beruflichen Wege noch kreuzen, dennoch würde mir das eingeschworene Team, in dem ich zwei Jahre lange die agile Transformation vorantreiben durfte, immer mal wieder fehlen.
Dennoch brachte mich dieser Wechsel beruflich auch ein Stückchen weiter und neben der agilen Transformation darf ich mir nun auch die Themen Coaching, Change Management und Kommunikation auf die Fahnen schreiben und fühle mich damit sehr wohl.
Definitiv eines meiner Highlights in 2024, für die ich sehr dankbar bin.
Juli
Sommer. Sonne. Ferien.
Dieses Jahr war alles ein bisschen anders. Meine Große fuhr zum ersten Mal alleine in den Urlaub und so rätselten meine Jüngste und ich uns an einem Tag durch ein spannendes Cityrätsel, hüpften in Pools und besuchten „meine“ Pferde.
Oberflächlich betrachtet durchlebten wir einen entspannten Sommer, der jedoch in meiner letzten Urlaubswoche abrupt durch eine Nachricht meiner Mutter beendet wurde, die sich zu diesem Zeitpunkt zur Unterstützung bei meiner Schwester befand:
„Ich denke, es wäre gut, wenn du herkommst.“
Es folgten die drei härtesten Wochen meines Lebens. Hoffen. Bangen. Weinen. Reden. Notarzt. Eine Nacht in einem britischen Krankenhaus. Erneutes Hoffen, aber irgendwie schon bei der Diagnose: innere Resignation und sowas wie innerer Abschied. Der reale Abschied an ihrem Bett nach diesen intensiven Wochen war der schwerste meines Lebens. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass ich meine Schwester lebend nicht mehr sehen würde, dafür ging es ihr einfach zu schlecht. Aber wir gingen in Frieden, denn wir hatten diese Zeit für offene Gespräche genutzt. Ich trauere noch immer um sie, aber ich bin sehr dankbar, dass wir noch diese gemeinsame Zeit hatten. Sie lehrte mich, was eigentlich das Wichtigste im Leben ist …
August
Ende August, etwa zwei Wochen nach meiner Rückkehr nach Deutschland, trat das eigentlich undenkbare ein. Wir mussten meine Schwester gehen lassen.
Mir kommen die Tränen, wenn ich diese Zeilen schreibe, daher belasse ich es für den August dabei.
I miss you, sis!
September
Seit der Nachricht des Todes meiner Schwester, war nichts mehr wie zuvor. Zwar lebten wir alle weiter, aber mich überkam die Survivor Guilt. Ich funktionierte im Alltag, fühlte mich aber wie betäubt. Viele liebe Menschen waren für mich da und legten mir sogar nahe, mir eine Auszeit zu nehmen. Doch ich lehnte ab, denn die Arbeit gab mir Halt und Struktur. Ohne sie wäre ich womöglich zusammengebrochen.
Halt gab mir – neben vielen anderen – vor allem auch mein Freund. Hier auf einer zauberhaften Wanderung in der Eifel. Natur, Ruhe und körperliche Nähe tun mir ohnehin immer gut, in dieser Zeit aber ganz besonders.
Lange Wanderungen lenkten mich von den düsteren Gedanken ab und brachten ein wenig Ruhe in eine Phase des Jahres, die zunehmend von Stress geprägt wurde. Im November sollte eine Feier zu Ehren meiner Schwester stattfinden und die Organisation raubte mir zeitweise den letzten Nerv.
Und zwischendrin immer wieder Trauer.
Oktober
So zogen die Tage ins Land. Ich stürzte mich auf die Arbeit, versuchte beim Reitunterricht mal an etwas anderes zu denken und gab in diesem Zuge die Pflege für meinen Pferdefreund Flo auf. Ich trug zu fiel und musste Ballast abwerfen, denn die Schwere dieser Zeit zog unablässig an mir.
Einen zauberhaften Tag im Oktober durfte ich dann aber mit meiner Großen verbringen und wir nahmen an einem Torten-Workshop teil, bei dem zwei wundervolle (und kalorienhaltige) Buttercremetorten entstanden. Ein großes Highlight für meine Tochter und eine große Freude für mich, sie in ihrem Element zu erleben.
November
Ausgerechnet an Allerheiligen fand die Feier für meine Schwester statt. Nach Wochen der intensiven Planung kamen an diesem denkwürdigen Tag viele Menschen zusammen, die sie auf ihrem Lebensweg ein Stück hatten begleiten dürfen. Manche davon hatte ich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen und auch manch neue Gesichter kamen dazu.
Es war ein würdevoller Abschied. Keine klassische Trauerfeier, sondern eine Feier des Lebens. Bunt, voller liebevoller Erinnerungen und Nähe. Und gleichzeitig nochmal ein Zeitpunkt, meine Schwester ziehen zu lassen. Tränenreich.
Dezember
Nun ist schon Dezember. Ein schweres und oft düsteres Jahr steckt mir in den Knochen und die nächsten dunklen Wolken sind bereits greifbar am Himmel aufgezogen. 2025 verspricht nicht einfacher zu werden. Genau aus diesem Grund gönnte ich mir zusammen mit meiner Mama und einer Freundin aber auch spontan den Besuch von Guildo Horns Weihnachtskonzert, bei dem für zwei Stunden einfach mal die Freude im Vordergrund stand. Keine Politik, keine seelischen und keine weltlichen Sorgen.
Gezielter Eskapismus.
Danke für die gemeinsame Zeit, lieber Guildo!
(auch wenn deine Musik sonst so gar nicht meins ist)
Beenden möchte ich diesen sehr persönlichen Jahresrückblick mit einem wundervollen Geschenk, das ich von meiner Mama an Weihnachten bekam: ein Friedenslicht aus Bethelem.
In diesen für mich und für viele von uns etwas angedunkelten Zeiten mag ich die Idee des Friedenslichts. Eine Flamme, die von Bethelem in die ganze Welt getragen wurde. Cool irgendwie.
Nun brennt das Licht des Friedens schon bald eine Woche bei mir und wird auf jeden Fall ins neue Jahr getragen.
Als die Flamme der Hoffnung, die ich in mir dieses Jahr zeitweise verloren habe.
Fühlt euch alle umarmt!
Bleibt gesund, ihr Lieben. Und kommt gut ins neue Jahr.
Alles Liebe,
eure Julia