Wie es mir nach fast 4 Jahren Hormonersatztherapie geht

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Seit Oktober 2020 nehme ich mittlerweile Östrogen, etwas später folgte Progesteron. Nach meiner Genitalangleichung im Januar 2022 fiel zudem das Testosteron so gut wie vollständig weg. Diese einschneidenden Änderungen sind keinesfalls spurlos an mir vorübergegangen, sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne. Über die erwünschten positiven Effekte habe ich bereits in früheren Beiträgen hinlänglich berichtet, daher wird es hier und heute um die möglichen Schattenseiten der Behandlung gehen.

Ihr Lieben,

ich möchte vorwegschicken, dass folgende Symptome und Beobachtungen weitgehend subjektiver Natur sind und es keine ärztlich attestierten Rückschlüsse auf die HRT gibt. Manche der beschriebenen Probleme können auch auf gänzlich andere Ursachen oder schlicht den natürlichen Alterungsprozess zurückzuführen sein. Dennoch kenne ich meinen Körper und seine Macken sehr gut und beobachte mich selbst für gewöhnlich sensibel und aufmerksam. Nachfolgend berichte ich euch daher über die Dinge, die sich in meiner Wahrnehmung seit Beginn der HRT merklich negativ verändert haben und welche Ursachen ich laienhaft vermute.

Bitte nehmt meinen Artikel daher nicht als wissenschaftlich fundiertes Dokument, sondern als das, was es ist: einen subjektiven Erfahrungsbericht.

Die Anfänge – Stimmungsschwankungen

Schon recht zeitig nach Beginn der Hormontherapie kam es zu pubertären Stimmungsschwankungen, die nicht zuletzt auf einen über 24 Monate andauernden Einstell-Marathon zurückzuführen waren, weil meine Hormone sich einfach nicht einpendeln wollten. Ein Präparatwechsel wirbelte meinen ganzen Körper dann erneut durcheinander.

Für eine Weile beruhigten sich die Stimmungsschwankungen dann irgendwann und es kehrte etwas Normalität auf dem neu gewonnenen Emotionsspektrum ein. Ich gewöhnte mich dran und lernte, etwas besser damit umzugehen. Doch bis heute treten wiederholt Phasen spontaner Stimmungsschwankungen auf. Zwischen überschwänglicher Freude und tiefer Trauer oder rasender Wut können bisweilen nur wenige Augenblicke liegen.

Unterm Strich bin ich in allem deutlich sensibler und auch dünnhäutiger geworden. Das gilt für alle Themen, die in diesem Artikel noch folgen. Und ich bin davon überzeugt, dass dies massiv hormonell beeinflusst wird.

Ich will nicht lügen: manchmal ist das einfach nur unfassbar anstrengend und ich würde am liebsten irgendwo auf einer einsamen Insel leben, um zumindest das äußerliche Chaos halbwegs kontrollieren zu können. Das innere Chaos geht dann in der Regel wieder von selbst nach einer Weile.
Dennoch möchte ich diese Bandbreite an Emotionen nie wieder hergeben! Zur Zeit meiner Depression Anfang 2023 spürte ich sehr deutlich, wie die Antidepressiva diese Bandbreite wieder gewaltsam einengten und es fühlte sich wie ein Gefängnis an. Furchtbar! Denn diese Bandbreite per se empfinde ich als sehr bereichernd für mein Leben. Es macht mein ganzes Empfinden reicher und bunter.

Abschließend dazu möchte ich eine sehr liebe Kollegin von mir zitieren, die vor einiger Zeit zu mir sagte: „Hormone sind mein Endgegner“. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Unkontrollierte Gewichtszunahme & Fressattacken

Als eine meiner größten psychischen Belastungen im Laufe der HRT stellte sich der veränderte Metabolismus heraus: Mein Körper benötigt schlicht nicht mehr so viel Energie wie früher, vermittelt meinem Hungergefühl aber das genaue Gegenteil. Eine andere liebe Kollegin scherzte zu Anfang meiner HRT, ich solle auf die Fressattacken Acht geben, sie seien ganz schön hinterhältig. No shit, Sherlock! They got me!

Man sollte ja mit rationalem Kopf denken, dass es ganz einfach ist, sein Essverhalten und die Kalorienzahl irgendwie an die neuen Gegebenheiten anzupassen, aber weit gefehlt. Die aufkeimenden Gelüste machten mir regelmäßig einen dicken Strich durch die Rechnung, sodass selbst mir bis dato heilige Regeln wie „nach dem Zähneputzen esse ich nichts mehr“ wie morsches Holz zerbröselten. 39 Jahre lang konnte ich mich stets gut selbst damit überlisten, seit der HRT ist die Schmacht ungleich verheerender.

Nun ist es aber natürlich nicht so, dass ich den ganzen Tag futternd vor dem Kühlschrank sitze. Eher das Gegenteil ist der Fall. Seit Beginn der HRT verzichte ich bis auf einen Tag die Woche auf Fleisch, koche gesünder, trinke seit meiner Depression keinen Alkohol mehr und so weiter. Insgesamt hat sich meine Ernährung also zum Besseren entwickelt.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Corona mit den Homeoffice-Regelungen zwar für mich während der Transition ein Segen war, aber gleichsam mein Bewegungspensum merklich reduzierte. Das hat sich in den letzten 12 Monaten zwar wieder verbessert, beim alten Niveau bin ich jedoch weiterhin nicht und tatsächlich strengt mich körperliche Bewegung viel mehr an als vor Corona und vor meinen OPs. Daraus jetzt eine klare Ursache zu extrahieren, grenzt vermutlich an Kaffeesatzlesen, aber ich vermute mal, all diese Faktoren respektive Hormone und der damit verbundene Muskelabbau spielen eine gewisse Rolle bei dieser körperlichen Degeneration.

Selbst das Wiederaufbauen meiner Jogging-Kondition grenzt an einen Kampf gegen Windmühlen. Nachdem ich nun mehrere Anläufe unternommen habe, die jedes Mal wieder durch Krankheiten unterbrochen wurden, scheint mir mein Vor-Corona-Ziel vom Halbmarathon immer weiter zu entgleiten. Mittlerweile gebe ich mich mit einem 8-Minuten Pace und einer Laufdistanz von 3 bis 5 Kilometern zufrieden.

Das ist lächerlich im Vergleich zu früher, mehr scheint momentan aber einfach nicht zu gehen. Haben die Hormone damit zu tun? Ich weiß es nicht, aber ich halte sie nicht für gänzlich unschuldig. Einen großen Anteil hat sicherlich auch mein innerer Schweinehund, der sich weniger gut überlisten lässt, als damals noch. Das gilt nicht nur für das Essen nach dem Zähneputzen, sondern auch für die Konsequenz beim Sport. Außer beim Reiten … da bin ich dann doch sehr konsequent. 😉

Und das bringt mich unmittelbar zum nächsten Thema – Depression.

Depression

Das, was sich seit über 2 Jahren in dauerhaft wenig Energie äußert, manifestierte sich bekanntermaßen 2023 in einer handfesten Depression. Es gab keine offenkundigen Gründe dafür, warum sie sich damals entwickelte. Sicherlich war nicht alles eitel Sonnenschein in meinem Leben (wann ist es das schon?), aber für eine Depression hätte ich eigentlich etwas mehr erwartet. Dafür habe ich schon zu viel erlebt.

Was in diesem Kontext aber nicht zu vernachlässigen ist, ist die GaOP Anfang 2022, nach der sich durch den abrupten Testosteronabfall mein gesamtes Hormonsystem wieder durch den Mixer drehte. Und da ein Mangel an Testosteron nicht selten zu Depressionen führen kann, wundert mich eigentlich nichts mehr.

Zwar setzte ich Ende 2023 meine Antidepressiva wieder ab und bin weit davon entfernt, wieder damit anzufangen, aber dennoch spüre ich einen dauerhaft leeren Akku. Mental und körperlich. Zeit mit vielen Menschen verbringen konnte ich noch nie sonderlich gut, aber seither ist mein Sozial-Akku binnen kürzester Zeit leer. Es gibt nur sehr wenige Menschen auf diesem Planeten, die mir meinen Akku nicht oder kaum merklich leeren. Mein Partner ist einer davon.

Es ist aber dennoch permanent so, dass ich im Vergleich zu früher – also der Zeit vor der HRT und vor allem vor der GaOP – gefühlt nur 50 % leistungsfähig bin. Schnell ereilt mich Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, körperliche Erschöpfung. All das ernüchtert mich sehr und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das nicht auch ein wenig beunruhigt. Liest man sich einmal quer durchs Internet zum Thema Hormontherapie, wird man aber schnell erkennen, dass all dies keine seltenen Folgen sind. So bitter das auch ist.

Höhere Sensibilität

Eine höhere Empfindlichkeit auf vielen Ebenen sprach ich oben schon an. Diese reicht von positiven Aspekten wie höherer emotionaler Sensibilität und Empathie über eher unschöne Faktoren wie die oben genannten schnell geleerten Sozialakku und erstreckt sich weiter zu einer massiven Stressempfindlichkeit und entsprechenden körperlichen Reaktionen.

Koffein vertrage ich viel schlechter als früher und seit Kurzem vermute ich neu hinzugekommene Lebensmittelunverträglichkeiten. Wobei Letztgenanntes noch als spekulativ zu betrachten ist, da meine aktuelle gesundheitliche Lage einen hochgradig stressbehafteten Ursprung zu haben scheint. Das würde an dieser Stelle aber zu weit führen. Vielleicht nur so viel: im Augenblick geht es mir weder körperlich noch psychisch sonderlich gut, was mit ein Grund dafür war, diesen Artikel zu verfassen.

Sicherlich lässt sich nicht alles davon auf die HRT zurückführen, aber ich denke, es bestehen hier definitiv Zusammenhänge. Oder um es anders und drastischer zu formulieren: hätte ich die Transition nicht gemacht, würde es mir körperlich und in Teilen auch psychisch sicher besser gehen. Klar ist aber auch, dass es mir aus wiederum anderen Gründen (Genderdysphorie, you name it) tausendmal schlechter gehen würde.

Versteht mich nicht falsch: ich bereue weiterhin keine Sekunde meiner Transition, aber ich mache mir eben doch Gedanken (und manchmal Sorgen) um die medizinischen Folgen und meine Gesundheit, da ich mir unumstößlich sicher bin, dass all diese Maßnahmen ziemlich krasse Spuren hinterlassen haben. Nicht nur und vor allem nicht äußerlich.

Hormone? Oder werde ich einfach nur alt?

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Beobachtungen schildern, die mir aufgefallen sind, die aber möglicherweise einfach altersbedingt sind. Vielleicht wurden sie hormonell aber auch beschleunigt oder hängen schlicht mit dieser ganzen Corona-Homeoffice-OP-wenig-Bewegungs-Depressions-und-Hormon-Sache zusammen.

Sichtverschlechterung

Man sagt ja, dass Menschen ab 40 beginnen, Dinge zum Lesen weiter von sich wegzuhalten. Nun, tadaaa! Ich mache jetzt auch mit. Vermutlich schlicht meinem zarten Alter geschuldet, geht mir diese Veränderung doch gehörig auf die Nerven. Sie kam relativ schnell und eben genau in der Zeit der HRT. Zusammenhang? Wahrscheinlich nicht. Gänzlich ausschließen würde ich es aber auch nicht, nachdem ich erleben durfte, was für mächtige kleine Dinger diese Hormone sind.

Körperliche Schmerzen

Hier zwickt es, da schmerzt es. Keine 10 Minuten auf der Couch, möchten sich meine Muskeln erst einmal wieder warmlaufen. Klassische Erscheinung des Älterwerdens, ich weiß. Aber mit 43? Sicherlich spielen da die letzten Jahre mit weniger Bewegung eine Rolle, genauso sicher bin ich mir aber auch, dass der hormonell bedingte Muskelabbau dem nicht gerade entgegengewirkt haben dürfte. Doofe Kombi.

Hautveränderungen

Ja, durch die HRT verändert sich unsere Haut. Sie wird weicher, es wachsen weniger Haare und der Rest wird häufig hell. All das sind erwünschte Ergebnisse des Östrogens. Hab ich alles, ist super. Was ich aber auch habe, sind mehr und mehr Muttermale am ganzen Körper. Nun war ich dafür schon immer eine gute Kandidatin, gerade wenn ich aber an das Thema Brustkrebsrisko denke, das bei Menschen mit HRT auf das einer cis Frau steigt.

Wer sagt denn aber, dass sich bei allen Veränderungen im Körper – in diesem Fall der Haut – nicht auch noch mehr Muttermale bilden? Ich habe dafür keinerlei Belege in Form von Studien oder so, wie gesagt … nur meine Beobachtungen. Und wie immer müssen auch hier Kausalität und Korrelation berücksichtigt werden. Dennoch lässt mich diese Entwicklung aufhorchen und mich zumindest die Frage stellen:

Wäre all das ohne HRT auch so geschehen?

Lasst mich diesen Artikel aber nicht so negativ beenden. Wie ich oben bereits schrieb, bereue ich all dies nicht und mir war von Anfang an klar, dass eine HRT und auch eine GaOP Folgen wie diese haben könnten und würden. Dann plötzlich aber mitten drin zu stecken, ist doch noch einmal … realer.

Würde ich es trotz allem noch einmal genauso machen? Auf jeden Fall!

Trotz aller Herausforderungen habe ich durch die Transition ein authentischeres und erfüllteres Leben gefunden. Die Reise mag nicht immer einfach gewesen sein, aber sie ist es wert!

Alles Liebe,
Eure Julia

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