Was ist eigentlich gut daran, eine Frau zu sein?

charming woman with freckles in room

Ich wurde kürzlich gefragt, welche positiven Aspekte ich daran finde, eine Frau zu sein. Diese Frage finde ich tatsächlich schwer zu beantworten, daher versuche ich mich in diesem Artikel einer Antwort zu nähern. Doch starten möchte ich mit einem kurzen Life Update.

Ihr Lieben,

bevor ich zum eigentlichen Thema dieses Artikels komme, möchte ich noch ein paar Worte in eigener Sache loswerden, die mir kürzlich vermehrt durch den Sinn schwirrten:

Die Abstände, in denen hier Artikel erscheinen, werden merklich größer. Etwas in mir drängt mich dazu, mich dafür zu entschuldigen, aber nein … warum eigentlich?! In den vergangenen Wochen gab es schlicht nichts, was ich hier hätte diskutieren oder teilen wollen. Im Vorfeld dieses Artikels kam mir dazu der Gedanke, dass in puncto Transition für mich eigentlich alles gesagt ist. Da ist im Augenblick nichts mehr, was an die Oberfläche und gesagt werden möchte. So schade das für diesen Blog ist, so wunderbar ist es für mich. Denn es bestätigt mich in dem Gefühl, angekommen zu sein.

In gleichem Maße merke ich auch, wie ich mich mehr und mehr aus all den kleinen und großen Trans-Initiativen zurückziehe und das Feld „den Neuen“ überlasse. Ich bin damit durch und habe gar keine Lust mehr, mich weiterhin so intensiv mit dem Thema zu befassen. Ein wenig wundert mich diese Entwicklung schon, da ich doch so sehr für unsere Rechte und Belange gekämpft habe. Aber ich denke, ich verstehe nun all die Geschichten, die ich über Menschen gehört habe, die nach dem Ende ihrer Transition nichts mehr mit dem Thema zu tun haben wollten und nur noch ihr Leben leben wollten. Mir geht es genauso. Spannend.

Wiederholt stelle ich mir daher die Frage: Was bedeutet das für diesen Blog (und mein geplantes Buch)?
Die Motivation, mein Buch fertigzustellen, hat zuletzt extrem nachgelassen, denn ich habe das Gefühl, alles bereits Gesagte nur in anderem Gewand wiederzukäuen. Und das fühlt sich falsch an, weil damit für mich keine weitere Verarbeitung stattfindet, sondern nur ein Aufwärmen alter Geschichten. Wer weiß? Vielleicht kriege ich den Dreh ja noch, aber für den Moment ruht das Projekt. Und für diesen Blog habe ich noch kein neues Thema gefunden.
Seit Kurzem bin ich neben meinem Reitunterricht zusätzlich für die Teilzeitpflege eines Pferdes eingebunden, die ich zu meiner Freude übernehmen durfte. Dabei tauchen oft neue Themen auf, mit denen ich mich auseinandersetzen möchte und über die es sich vielleicht auch zu schreiben lohnen würde. Aber möchte ich aus Julia’s Journey einen Pferde-Blog machen? Ich denke nicht. Das schreit schon eher nach einem eigenen Projekt.

Ihr seht … mein Kopf ist voll mit Ideen und Gedanken, aber nichts davon ist aktuell wirklich konkret. Nennen wir es weiterhin die Findungsphase nach dem Ende der Transition. Nun aber genug davon. Kommen wir endlich zum Thema des Artikels.

Was ist eigentlich gut daran, eine Frau zu sein?

Wie ich oben ja bereits angerissen habe, wurde ich kürzlich mit genau dieser Frage aus meinem Familienkreis konfrontiert. Die genauen Hintergründe spielen dabei keine wirkliche Rolle. Um Euch aber etwas Kontext zu geben sei gesagt, dass die betreffende Person selbst viele negative Erfahrungen mit dem Frausein in ihrem Leben gemacht hat. Sie stellte sich daher die Frage, was ich als transidente Person daran Positives finden kann, beispielsweise die soziale Rolle in diese Richtung zu verändern und damit mögliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Oder um sie selbst kurz zu Wort kommen zu lassen:

Ich wüsste sehr gerne, was für positive Aspekte es für Dich gibt, eine Frau zu sein. (…) Mir ist klargeworden, dass ich nicht im Mindesten nachvollziehen kann, wie jemand freiwillig eine Frau sein will.

In der Nachbetrachtung empfinde ich diese Worte als ziemlich traurig, hart dem Frausein gegenüber und ein Stück weit verbittert. Denn mein persönliches Erleben und Empfinden als Frau ist so viel positiver als alles, was ich vor der Transition je hatte. Aber genau das ist auch der Punkt, der es mir so schwer macht, eine klare Antwort auf diese Frage zu geben. Denn letzten Endes war die Transition für mich alternativlos und die größte Befreiung, die ich mir je hätte vorstellen können. Allein dieser Akt, endlich der Mensch sein zu können, der ich innerlich schon immer war, wiegt so vieles auf. Denn ich habe die Transition nicht durchlaufen, weil ich Mann- und Frausein gegeneinander abgewogen hätte, um dann festzustellen, dass das Frausein einen Punktsieg erringt. Nein.
Womöglich hatte die betreffende Person durchaus recht mit ihrer Aussage, da Männer in dieser Gesellschaft einfach viele Vorteile genießen, die zulasten von uns Frauen gehen. Aber das ist nicht der Punkt!
Ich habe die Transition durchlaufen, weil ich schon immer innerlich eine Frau war. Die Frage war also nie, was konkret daran so toll ist, sondern schlicht und ergreifend der Umstand, dass ich – salopp ausgedrückt – im falschen Körper steckte und teilweise Höllenqualen litt. Ist da die Reise hin zum wahren Ich nicht positiv und Grund genug?

Lasst mich dennoch versuchen, Euch ein paar Argumente zu liefern, die ich am Frausein heute sehr schätze und um nichts in der Welt wieder hergeben möchte.

Soziale Verbindung

Bitte seht es mir nach, wenn ich zur Erklärung dieses Punktes ein wenig in die binäre Stereotypenkiste greife. Es geht wie immer nur um Tendenzen, nicht um schwarz-weiße Wahrheiten.

In meinem Erleben, unterscheiden sich (die meisten) Männer und Frauen massiv darin, wie sie sozial interagieren. Bis heute nehme ich bei vielen Männern ein hohes Maß an Konkurrenzdenken wahr, besonders im beruflichen Umfeld. Es wird eher gegeneinander und für den eigenen Vorteil gearbeitet. Bei den meisten Frauen hingegen habe ich zeit meines Lebens eine hohe soziale Kompetenz erlebt, die zu engen sozialen Bindungen führte. Es herrschte eher ein Miteinander, das Finden von gemeinsamen Lösungen in der Gruppe und ein gegenseitiges Unterstützen und Wertschätzen. Das erlebe ich auch bis heute so in meinem Job und ich schätze diese Art der sozialen Interaktion sehr. Weil es auch einfach meinem Wesen entspricht. Ich habe noch nie einen Sinn in Rangkämpfen gesehen, wie sie beispielsweise schon in der Schule bei den Bundesjugendspielen veranstaltet werden. Erschließt sich mir einfach nicht.

Verbindung zum Leben

Ein wesentlicher Aspekt des Frauseins ist für mich die Verbindung zum Leben selbst oder gar die Fähigkeit, Leben selbst zu erschaffen. Wie wunderbar ist das denn bitte? Nun schieße ich mir mit diesem Punkt möglicherweise selbst ins Knie, da mir speziell dieser Punkt leider verwehrt geblieben ist. Aber dennoch finde ich mich darin wieder. Denn seit der Transition habe ich ein anderes Bewusstsein für mich selbst und das Leben im Allgemeinen entwickelt. Meine Perspektive hat sich verändert und deckt sich ein wenig mit dem obigen Punkt der Verbindung. Mein Körper ist für mich keine Maschine mehr, die zu funktionieren hat. Ebenso wenig die Natur und das Leben selbst. Es ist alles irgendwie … „heiliger“ geworden. Ein besseres Wort fällt mir dafür nicht ein. Es ist keineswegs religiös gemeint, aber ich hoffe, Ihr versteht, was ich damit sagen möchte.

Frauen sind machtvoll

Frauen sind machtvoll. Ja, das meine ich ernst!
In Anbetracht der seit Jahrzehnten anhaltenden (und berechtigten) Diskussionen um Feminismus und Gleichstellung mag das ein wenig seltsam anmuten, aber ich für meinen Teil bin zu der Erkenntnis gelangt, dass Frauen eigentlich sehr machtvoll sind. Nicht im Sinne von Gewalt und Unterdrückung, sondern eher in Bezug auf die Verbindung zum Leben (siehe oben) und damit auch durchaus gegenüber Männern.
Vor einiger Zeit las ich das Buch Female Choice (Affiliate-Link), das ich an dieser Stelle sehr empfehlen möchte. Es geht, grob gesagt, darum, dass evolutionsgeschichtlich bei Menschen und Tieren in der Regel die weiblichen Individuen die Entscheidung darüber treffen, mit wem sie sich paart und damit, welches Genmaterial weitergegeben wird. Daraus entwickelte dann beispielsweise das aggressivere Verhalten der männlichen Artgenossen, um die Weitergabe der eigenen Gene sicherzustellen. Das Buch umfasst noch viele weitere Aspekte, aber dieser wesentliche Aspekt ist bei mir hängen geblieben, denn damit verleiht die Natur auf einer Metaebene uns Frauen im Grunde die Macht über das Leben und den Fortbestand der Spezies.

Und genau diese Macht erkenne ich wieder und wieder im Verhalten von Männern und kenne es auch aus meiner eigenen Erfahrung in meinem „früheren Leben“. Viele Männer sind bedacht darauf, einer Frau auf die eine oder andere Weise habhaft zu werden (Ehe, Machtmissbrauch, etc.), um die Versorgung mit Sex sicherzustellen und damit den menschlichen Urinstinkten zu folgen. Und viel zu oft nehmen sie sich einfach, was sie eigentlich nicht haben können – Stichwort #metoo. Die Stilblüten, die diese Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben, sind mitunter grauenhaft und abscheulich! Aber: ich habe daraus gelernt, dass eigentlich wir Frauen in diesem Punkt „die Hosen anhaben“ und Männer in puncto Sex / Fortpflanzung von uns abhängig sind.

Und auch wenn das herrschende Patriarchat dieses Machtgefüge über lange Zeit erfolgreich ins Gegenteil verkehrt hat, ist die Kernaussage aber eigentlich doch eine positive: Frauen sind machtvoll! Und wir dürfen uns dessen wieder bewusst werden!

Kleinigkeiten im Alltag

Doch kommen wir zu etwas erfreulicheren Aspekten des Frauseins, die ich im Alltag durchaus genieße.
Es sind die gesellschaftlichen Kleinigkeiten, die mir bisweilen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Ein Herr lässt mich an der Supermarktkasse vor oder hält mir elegant die Tür auf. Solche Dinge geschehen Männern deutlich weniger und mit einem anderen Subtext. Ich spreche da aus Erfahrung. 😉 Als Frau werde ich im Alltag eher „hofiert“ und das finde ich schon ganz schön nett. Frauen untereinander machen das eher weniger. Und Männer untereinander noch weniger. Eigentlich schade, denn diese kleinen Gesten können manchmal den Ausschlag geben, den Tag fröhlich und beschwingt zu beschließen.

Will sagen: lasst uns doch alle ein wenig aufmerksamer und freundlicher zueinander sein. 🙂

Emotionalität

Ein Punkt, den ich ebenfalls sehr schätze, ist das Thema Emotionalität. Nicht nur, dass ich hormonell bedingt rein körperlich wesentlich emotionaler bin als früher, sondern auch, dass es Frauen eher zugestanden wird, emotional zu reagieren. Auch hier: schade eigentlich! Kein Mensch sollte seine Emotionen verstecken müssen, nur um irgendwelchen Rollencliches zu entsprechen. Aber nun ist es aktuell eben gesellschaftlicher Konsens.
Ich für meinen Teil genieße es jedenfalls, dass ich auch mal schwach sein darf. Ich darf weinen, wenn mir danach ist (auch, wenn das Make-up darunter leidet). Ich darf mich anlehnen und werde beschützt. Ich muss nicht mehr hart sein – das war nie meins und hat mich erhebliche Mengen meiner Energie gekostet.

Ja, als Frau bin ich weicher. Und ich bin offener und vertrauter mit meinen Mitmenschen. Es gibt viel weniger Tabus als früher. Wobei ich letzteres weniger dem Frausein zuschreiben würde, sondern eher dem Prozess der Transition, in dem Tabus hinderlich waren. Es gibt schon Tage, da schüttele ich den Kopf über mich selbst, weil ich in einer bestimmten Situation für meine Begriffe zu emotional reagiert habe. Aber letztlich kann ich darüber nur schmunzeln, denn daran haben die Hormone einen echt großen Anteil und ich traue mich dadurch, echter zu sein. Meine liebe Freundin M. wird sich an meinen dezenten Nervenzusammenbruch vor meiner Korrektur-OP in München erinnern. 🙂 Heute schäme ich mich ein wenig dafür, aber in dieser Situation damals – es war kein Zimmer für mich in der Klinik frei und ich sollte die Nacht vor der OP in einem Hotel übernachten – ging für mich die Welt unter, weil ich schon die OP ausfallen sah.

Uff. Ja, die Emotionen sind manchmal auch anstrengend, aber ich mag sie nicht mehr hergeben. Sie sind nun ein Teil von mir als Frau und das macht mich glücklich.

Die Nachteile des Frauseins & ein Fazit

Oh yes, es gibt vor allem im gesellschaftlichen Kontext allerhand Nachteile für uns Frauen. Sei es Medizin, die überwiegend für Männer entwickelt wird, Unterdrückung in manchen Ländern, Gender Pay Gap, Gewalt gegen Frauen, etc. Die Liste ist lang und wir als Gesellschaft haben da noch einiges zu korrigieren. Aber dennoch möchte ich diese Nachteile an dieser Stelle gar nicht weiter breittreten, weil für mich die positiven Seiten eindeutig überwiegen.
Und ich kann mich nur wiederholen: die Frage nach den positiven Aspekten allumfassend zu beantworten, ist gar nicht so leicht. Alles, was ich oben aufgeführt habe, sind kleine Auszüge aus meiner Wahrnehmung.

Um dennoch zu einem Fazit zu kommen, möchte ich die Antwort auf die Frage “Was ist eigentlich gut daran, eine Frau zu sein?” in einem einzigen Satz zusammenfassen:

Ich weiß, dass es für mich richtig ist!

Alles Liebe,
Eure Julia

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