Ende der Transition. Und was jetzt?

woman holder her hair outdoors

Mit dem Ende der Transition hat nun ein neuer Lebensabschnitt für mich begonnen. Doch wie geht es weiter, wenn man den größten Traum seines Lebens erfüllt hat?

Ihr Lieben,

dieses Thema liegt mir schon eine ganze Weile auf der Seele, doch bisher fand ich trotz wertvollen Gesprächen mit meinen Lieben keine zufriedenstellende Antworten auf all die Fragen, die sich auf dem Weg ergaben. Schon während der Transition fragte ich mich, was wohl danach kommen würde. Ihr mögt Euch an frühere Artikel erinnern. In den vergangenen 3 1/2 Jahren habe ich mehr erreicht, als ich mir jemals hätte träumen lassen. Meine kühnsten Träume von Anfang der Transition sind in Erfüllung gegangen und darüber bin ich sehr glücklich!

Doch eine Frage blieb unbeantwortet: was kommt danach?

Das Leben„, möchte man vielleicht einfach ausrufen. Doch ist das wirklich so einfach?
Das Leben genießen lernen„, schrieb mein Schatz mir eben. Klingt nach einer echten Herausforderung. Nach einer lohnenden, zweifelsfrei.

Tatsächlich ist es so, dass ich spätestens seit der Brust-OP sinnbildlich haltlos, wie ein Raumschiff ohne Steuerdüsen, durch den Raum treibe und die wilde Rotation nicht stoppen kann. Objektiv betrachtet ist alles gut, von alltäglichen Herausforderungen mal abgesehen, die jeder Mensch hat. Doch was fehlt, ist die Perspektive. Der Traum, die Vision, für die ich wieder brennen kann. Ideen gibt es reichlich, keine davon fesselt mich. Allerdings treten sie als Nachfolger der Transition auch in sehr, sehr große Fußstapfen!

Manchmal nehme ich mir vor, einfach in den Alltag hinein zu leben und darin aufzugehen. Einfach leben halt. Doch das ist manchmal echt ganz schön schwierig. Das Leben fühlt sich an wie ein Luftballon, der Zeit seines Lebens voll aufgepustet war und nun verschrumpelt herabhängt, weil die Füllung fehlt. Ja, es fehlt etwas. „Hier, Liebes„, flüstert mir das Leben ins Ohr. „Ich habe dir deinen sehnlichsten Wunsch erfüllt. Nun gebe ich dir noch einen kleinen Schubs, damit du auf eigenen Beinen stehen kannst.“ Joa. Da stehe ich nun. Und jetzt?

Benennen kann ich dieses Loch nicht so recht. „Loch“ beschreibt meine aktuelle Gemütslage wohl am besten. Die ansonsten naheliegendste Analogie entlehne ich dem Herrn der Ringe:
Der Ring der Macht wurde zerstört, die Welt vor dem Bösen gerettet, die große Reise ist beendet. Kurz darauf sieht man Frodo, wie er sich dazu entschließt, mit den Elben Mittelerde zu verlassen, da er dort niemals vollständige Heilung finden wird. Ich glaube, so ähnlich fühlt es sich das Ende meiner Transition für mich an.

Ich frage mich, ob es auch anderen Menschen nach der Transition so ergeht. Ehrlicherweise kenne ich allerdings niemanden, der jemals davon berichtete.
Vielmehr scheint diese Post-Transitionsphase eine Zeit zu sein, in der irgendwie alles möglich, aber nicht klar greifbar ist.

Ratlos stehe ich nun da. Zucke mit den Schultern. Ich bin ein anderer Mensch geworden, in vielerlei Hinsicht. Besonders fällt mir das wiederholt im beruflichen Umfeld auf. Von der Software-Entwicklung über Projektmanagement bis hin zur Unternehmenstransformation. Von der IT zur Personalabteilung. All das waren oder sind spannende Kapitel und ich möchte sie alle nicht missen. Doch wann immer ich in letzter Zeit Karriereberater lese oder Welcher-Beruf-passt-zu-mir-Tests mache, sind die Ergebnisse völlig anders als früher. Ich erinnere mich noch an einen Test im Arbeitsamt, den wir damals mit der Schule gemacht haben. „Entwickler für AV-Medien“ oder so ähnlich war die damalige Empfehlung. Naja, mit der Software-Entwicklung lag ich ja nicht ganz daneben. Witzigerweise ist mein Interesse für Videos und Podcasts bis heute mehr oder minder erhalten geblieben.
Heutige Empfehlungen ähnlicher Analysen sind allerdings Jobs im sozialen Bereich. Arbeit mit Menschen in verschiedenen Bereichen. Oder Arbeit mit Tieren. Das hat mit meiner bisherigen Berufserfahrung nicht sonderlich viel zu tun. Ein klassischer Moment für eine berufliche Umorientierung? Ein ziemlich beängstigender Gedanke.
Andererseits…ich erinnere mich an einige Kolleginnen, die im Laufe der Jahre das Unternehmen verlassen haben und sich beruflich neu erfunden haben. Viele sind ins Coaching gegangen. Und wenn ich drüber nachdenke, waren sie in einem ähnlichen Alter wie ich heute. Nachtigall, ick hör dir trapsen. Witzig.

Also ist all das vielleicht doch keine unmittelbare Nachwirkung der Transition, sondern eher so etwas wie eine Midlife Crisis?
Diese Frage lasse ich mal unkommentiert. Außerdem ist es total egal, was es ist. Es ist, was es ist.

Ich war schon immer eine Suchende. Mit der Transition hatte ich endlich gefunden. Mich gefunden. Und das ist gut so.
Die Erkenntnis, wieder an einer Weggabelung zu stehen, ist befreiend und belastend zugleich.
Was für ein Geschenk, so viele Freiheiten zu haben.
Und was für eine Herausforderung, den (für mich) richtigen Weg zu finden.

Mich würde sehr interessieren, ob es noch anderen Menschen ergeht. Und in welchem Zusammenhang.

Tja, Ihr Lieben, der heilige Gral ist die eine Antwort auf die Frage:
Wie findet man nach einer solch einschneidenden Änderung einen neuen Kurs im Leben?

Ich freue mich über Eure Gedanken zu dem Thema.

Alles Liebe,
Eure Julia

PS: Mein Freund hatte eben im Gespräch zu diesem Thema die spannende Idee, in Anbetracht der aktuellen politischen Situation einen Anti-Rechts-Blog zu starten. Im Sinne von „eine sinnvolle Aufgabe haben“. Spannende Idee, oder?

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2 Thoughts to “Ende der Transition. Und was jetzt?”

  1. Jana

    Also ich glaube die Transition ist nie wirklich vorbei. Die Hormone arbeitet an dir und auch du veränderst dich täglich. Du wirst nie mehr der Mensch sein der du früher mal warst. Dein Umfeld prägt dich. Wir werden Älter und hoffentlich auch weißer. Ich empfinde es als aufblühen. Es ist eine komplette neue Welt. Aber ich bin seit drei Jahren Fau aber immer noch nicht da wo ich sein möchte. Aber das sein Möchte kann ich dir auch nicht beschreiben. Ich glaube es ist ein sich ständig wachsender Prozess. Eine Entwicklung und ich bin so neugierig was auf mich zukommt.

  2. […] vor einer Weile berichtete ich über das große Loch, das sich nach dem Ende meiner Transition vor mir auftat, weil plötzlich das große Lebensziel erreicht war. Es brauchte einige Zeit, viele Gedanken und Gespräche, um wieder etwas Boden unter den Füßen spüren zu können und etwas zu finden, das dieses große Loch potenziell füllen konnte. Ich streckte meine Finger in viele Richtungen aus: soziales Engagement für trans Personen, Intensivierung meines Reitunterrichts, mehr Zeit für mein Buch und meine Lieben oder ein Masterstudium in Psychologie oder ähnlichem. Doch DIE Antwort war bisher nicht dabei. Stattdessen passierte, was immer dann passiert, wenn man einen dicken Stein aus einem vollen Glas Wasser nimmt: Es strömt Wasser nach und füllt die Lücke. […]

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