Online Dating als trans Person: ein Hauch von “Brücken bauen”

Blonde Frau springt auf einer Brücke in die Luft

Ich dachte ja, ich hätte bei Tinder, Bumble, Finya und Co schon alles gesehen, aber das Leben belehrte mich mal wieder eines Besseren. Es bot mir dieser Tage die Chance, aus einem mehr als rüpelhaften Gesprächsbeginn noch eine Brücke über eine tiefe gesellschaftliche Schlucht zu schlagen. 

Ihr Lieben,

ich muss ja gestehen, dass ich von Online Dating nicht mehr viel erwarte (und doch versuche ich es immer mal wieder). Die süßen Typen suchen sich einfach eine andere Prinzessin, haben schwer einen an der Klatsche oder wollen einfach nur “ihren Horizont erweitern”, indem sie “Sex mit einer trans Frau” in ihr Kerbholz ritzen. Bisweilen möchte ich im Strahl kotzen (verzeiht mir diese Wortwahl, aber irgendwie passt das zum heutigen Artikel) und verliere jedweden Glauben an die Männerwelt. Es ist wirklich traurig! Insofern verdrehte ich zum 1.001 Mal die Augen, als mich gestern folgende Nachricht erreichte…

Mein Finger war bereits auf dem Weg zum “Melden & Blockieren”-Knopf, aber irgend etwas hielt mich zurück. Heute glaube ich, dass es gut war, diesem ungehobelten Kerl eine Chance zu geben. Aber lest selbst:

Mr. Ungehobelt:
Also… Moment mal.. Nur damit Ich`s richtig raffe. Du warst `n Mann , bist jetzt ne Frau…willst dich nicht von deinen inneren Organen trennen, hast dich aber dann vermutlich von deinen äußeren männlichen Organen getrennt und Dir, sagen wir’s mal salopp mit Monthy Phython , `ne “Mumu bauen lassen”, wobei die, in “Das Leben des Brian” darunter eher die Gebärmutter verstehen, aber Du weiß was Ich meine. Ist das ungefähr so richtig dargestellt? Hab ich´s richtig verstanden? Beste Grüße… :o)


Julia:
Hi, das ist zwar in der Tat sehr salopp und politisch inkorrekt ausgedrückt, aber das Grundprinzip ist richtig. 😉 Eine Gebärmutter zu transplantieren ist übrigens nicht so easy und extrem riskant…ist ja nicht so, als hätte ich darüber noch nicht nachgedacht. 😅 Aber ich habe zwei gesunde und tolle Kinder, das muss reichen. ❤️


Mr. Ungehobelt:
Scheiss die Wand an! Ne “Mumu-Transplantation”??? I break together! Das gibt’s tatsächlich??? Heilige Mutter!!! Aber…o.k.! Jede Jeck is anners. Also mit “politisch korrekt” hab` ich es eh nich` so. Aber….man trifft im täglichen Leben jetzt nicht wirklich oft auf Leute, die so gestrickt sind wie Du. Und da Ich prinzipiell vielseitig interessiert bin, dachte Ich: Ich frag mal nach…
Also Ich vermute, Du warst, oder bist vielleicht sogar noch mit der/einer Frau verheiratet, mit der Du die beiden Kinder bekommen hast. O.k.

Aber, wenn Ich fragen darf, oder geh` Ich Dir auf den Sender??? Dann sag!
J**** ..übrigens!


Julia:
Hallo lieber J*****, zwar darf ich dir schon verraten, dass aus uns beiden Hübschen hier nix wird, aber wenn ich deinen Horizont erweitern kann, beantworte ich dir gerne ein paar Fragen. ☺️ Besagte „Mumu-Transplantation“ schimpft sich offiziell „genitalangleichende Operation“, bei der aus den bestehenden männlichen Genitalien eine weibliche Vulva gebildet wird, die optisch kaum zu unterscheiden ist. Das ist auch kein Eingriff, den man zum Spaß macht. Dahinter steht ein lebenslanger Leidensweg, sich falsch im eigenen Körper und der zugewiesenen Geschlechterrolle zu fühlen. Nichts, was ich anderen Menschen unbedingt wünschen würde.

Ich war bis vor 7 Jahren tatsächlich verheiratet, das ist richtig. Und aus dieser Ehe sind zwei Kids entstanden. 😍

Ach so, ich heiße übrigens Julia


Mr. Ungehobelt:
Hi Julia! Nee…aus uns wird ganz bestimmt nix. :*0) Da bin Ich ganz bei Dir. :0)

Ja…genau… Horizont erweitern. Darum geht’s. Wann hast Du zum ersten mal gespürt…dass Du im “falschen Körper” lebst?


Julia:
Wunderbar, da sind wir uns ja einig. 😉
Das erste Mal gemerkt habe ich das schon als Kind, mit 5 Jahren etwa. Ich bin aber in einer Familie aufgewachsen, wo nie offen über solche Themen gesprochen wurde und so hielt ich mich einfach immer für falsch, weil ich nicht wusste, dass es noch andere Menschen wie mich gibt und das völlig in Ordnung ist. Das Gefühl des Falschseins (im Körper und der Gesellschaft) zog sich im Grunde durch mein ganzes Leben, bis ich vor 3 Jahren endlich wirklich verstanden habe, was mit mir los ist. Ab da ging alles dann recht flott. Hormone, Personenstandsänderung, OP, etc. Gegen Ende des Jahres werde ich wohl mit allem soweit durch sein, aber neben den körperlichen Angleichungen spielen die psychischen Veränderungen eine mindestens genauso große Rolle. Das würde jetzt hier aber den Rahmen sprengen. ☺️


Mr. Ungehobelt:
Mit 5 Jahren!!!??? Is’ ja ‘n Hammer!

Aber erst vor drei Jahren ist Dir klar geworden , was genau los ist. Wie / durch was bist Du zu dieser Erkenntnis gelangt? Kann man das kurz sagen?


Julia:
Das hat sich die Monate vorher irgendwie angebahnt, der Groschen fiel dann aber erst, als ich einen Artikel im Internet über Transidentität las und ich mich fragte, ob das etwas mit mir zu tun haben könnte. Nach ein paar weiteren Recherchen war dann klar, was los ist.


Mr. Ungehobelt:
Aber das muss ja zunächst mal auch ein “Schock” vermutlich für Frau und Kinder gewesen sein. Oder? Ich versuche mir gerade vorzustellen, ich hätte meiner Ex und den Kindern irgendwann gesagt: “So Leute! Ich will und werde jetzt zukünftig eine Frau sein!” Wobei….. sie waren schon so einiges von mir gewöhnt…da wärs darauf auch nicht mehr angekommen. :*0) Nee…ganz im Ernst. War bestimmt ne heftige Offenbarung.

Du musst aber dein Leben lang jetzt irgendwelche Präparate/Hormone nehmen um die männlichen sekundären Geschlechtsmerkmale zu unterdrücken resp. die Weiblichen zu befördern…richtig???


Julia:
Ja, das war schon ein ziemlicher Hammer für die Kids. Von meiner Exfrau hatte ich mich schon Jahre zuvor getrennt, das hatte aber andere Hintergründe. Nichtsdestotrotz hatte sie damit zu kämpfen, weil sich dann ja ganz andere Fragen stellen. Sowas wie: “War ich jetzt 9 Jahre lang eigentlich mit einer Frau verheiratet? Und wenn ja, was sagt das über mich selbst?” Und und und. Mittlerweile können meine Kinder damit gut umgehen, da sie gemerkt haben, dass sie mich als Menschen nicht verlieren, auch wenn ich mich äußerlich und auch durchaus charakterlich verändere. Aber mittlerweile haben wir mit dem Reiten sogar das gleiche Hobby, das ist natürlich toll.

Richtig, ich muss mein Leben lang Hormone substituieren (Östrogen, Progesteron), da die Hauptquelle für die Testosteronproduktion ja weg ist. Das ist der Preis. 🙂 Die verändern natürlich auch viel im Körper. Die offensichtlichsten Sachen sind Brustwachstum, aber auch generell Verweiblichung der Körperformen, weichere Haut, Abbau von Muskelgewebe, deutlich weniger Körperbehaarung, Stoppen des männlichen Haarausfalls auf dem Kopf, Veränderung des Körpergeruchs und vor allem ändert sich auch das Denken und emotionale Empfinden. Das emotionale Spektrum wird viel breiter, Interessen ändern sich mit der Zeit sehr stark und so weiter. Der Bartwuchs verändert sich leider nicht nennenswert und die Stimme auch nicht. Für den Bart gibt es aber eine sogenannte Nadelepilation, bei der jedes einzelne Haarfollikel verödet wird. Ziemlich langwierig und schmerzhaft bei rund 50.000 Haaren im Gesicht. Bei der Stimme hilft Logopädie mal mehr, mal weniger. Es gibt auch OP’s dafür, die sind aber recht riskant, insofern ist das für mich persönlich nichts.


Mr. Ungehobelt:
Gott der Gerechte…. Was für ein Wahnsinnsprojekt…wenn Ich so sagen darf. Aber…… wenn Du es für das Beste hältst …dies alles auf dich nimmst…und v.a. ,zufrieden, idealerweise glücklich damit bist… Bist Du zufrieden, gar glücklich damit? :0)


Julia:
Ja, das ist ein Wahnsinnsprojekt, mit dem ich auch nie gerechnet hätte. Aber ja…ich bin glücklich und das war der beste Schritt meines Lebens. Ich bereue nichts, auch wenn es zeitweise heftig war. 🙂


Mr. Ungehobelt:
Gut! Das hört sich prima an. :0) Ich verrate Dir sicher kein Geheimnis , wenn Ich sage , das ich politisch definitiv nicht links stehe, obgleich ich das lange Jahre war. Ich bezeichne mich selbst als rechtsliberal-konservativ und ich bin Christ. Was die Meisten dabei übersehen ist das Wort “liberal”!!! Ich hab einiges an der LGBTQ-Community, oder sagen wir besser an deren Interessenvertretern auszusetzen. Aber…. ich denke das Wesentliche ist, wenn es das ist, was dich wirklich glücklich macht und Du damit niemand anderem schadest… Dann leb’ dein Leben wie immer Du magst. Ich tue es auch und das gefällt auch manchem nicht. Ich sch… drauf. :*0) Vielen Dank für das offene “Gespräch”, die Infos und neuen Erkenntnisse die ich dadurch gewonnen habe. Viel Erfolg Dir hier und alles Gute.. J***** :0)


Julia:
Ich habe auch zu danken, dass du dir meine Geschichte angehört und nachgefragt hast. In der Tat bewege ich mich selbst naturgemäß eher in tendenziell linken Bubbles, so dass wir uns im alltäglichen Leben vermutlich nie über den Weg gelaufen wären. Ich denke, wo wir übereinstimmen ist, dass wir alle unsere Leben so leben sollten, wie es uns glücklich macht und so, dass es niemandem schadet. Und das ist doch eigentlich das Wichtigste, oder? Und das finde ich einen wunderbaren Konsens. 🙂 Alles Liebe dir, Julia

Nun mag man von dem Gespräch halten was man mag, doch bin ich am Ende doch positiv überrascht worden. Mr. Ungehobelt zeigte trotz seiner anfänglich politisch völlig inkorrekten Art ein ernsthaftes Interesse an dem Thema, selbst wenn er sich selbst als “rechtsliberal-konservativ” bezeichnet und trans Personen üblicherweise in seinem Weltbild nicht vorkommen dürften. Erstaunlicherweise fühlte ich mich dennoch ernst genommen und daher freut mich insbesondere der Abschluss des Gesprächs, bei dem wir trotz völlig unterschiedlicher Lebensrealitäten und Weltanschauungen einen gemeinsamen Nenner finden konnten.

Und das, ihr Lieben, hätte ich anfangs nun wirklich nicht für möglich gehalten. Und wisst ihr was? Auch wegen solcher Gespräche mache ich das hier alles. Bin sichtbar, gehe so offen mit dem Thema Transidentität um. Um aufzuklären und auch Menschen wie J***** zu zeigen, dass es uns gibt und wir ebenfalls Teil dieser Gesellschaft sind, ohne dass man sich irgendwie davor fürchten müsste oder so.

Daher seht diesen Artikel bitte auch gerne als Aufruf meinerseits, niemals aufzugeben, Brücken zu bauen. Selbst, wenn es noch so aussichtslos erscheint.

Alles Liebe,
Eure Julia

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