Haus in Irland

Ich schrieb bereits, dass es mir derzeit nicht gut geht. An diesem Umstand hat sich auch wenig verändert, doch bot sich mir heute die Gelegenheit, einen verloren geglaubten Faden wieder aufzugreifen, der mich möglicherweise aus dem Dunkel führt.

“Aber du gehst unter Leute, das ist super!”, sagte mir heute ein Bekannter. Ich schrieb ja zuvor: “Aber ich will mich nicht klein kriegen lassen und beiße mich da jetzt irgendwie durch…” Jeder Tag kostet mich immense Energie, so auch ein Treffen mit Freundinnen und Bekannten heute in meinem örtlichen Lieblingsrestaurant. Erstaunlicherweise ging es mir währenddessen vergleichsweise gut und ich bekam sogar einen spannenden Bericht über eine gesichtsfeminisierende Operation beim Facial Team in Spanien. Das Ergebnis fasziniert mich, doch im Vergleich dazu erschien mir die GaOP wie der reinste Spaziergang. Allein 13 Stunden dauerte die OP und kostete rund 50.000€, selbst zu zahlen. Von den Horrortagen direkt nach der OP ganz zu schweigen. All das machte diesen Eingriff für mich keineswegs attraktiver. Naja, das Ergebnis schon.

Aber ich schweife ab. Sobald ich heim kam, fiel ich erneut in das alt bekannte dunkle Loch. Egal, wie schön der Abend auch gewesen war. Wieder waren 1 Million Eindrücke auf mich eingeprasselt. Nicht mehr so schlimm, wie bei meiner Rückreise aus München, aber dennoch. Beim dumpfen Surfen im Netz ploppte dann plötzlich ein alter Gedanke auf, ein altes Thema, mit dem ich mich schon vor Jahren befasst, es aber nie so recht zu einem Ende gebracht hatte: Hochsensibilität.

Hochsensibilität

Den Verdacht, dass ich hochsensibel sein könnte, hatte ich wie gesagt schon vor einigen Jahren. Doch meine Lebensumstände engten mich derart ein, dass kein Raum für meine Sensibilität vorhanden war. Ich hatte zu funktionieren und mit dem Leistungsdruck in allen Bereichen des Lebens klar zu kommen. Die Quittung erhielt ich in Form heftiger Panikattacken und so begann ich nach einer Reha mein Leben auf Links zu drehen. Die maßgeblichste Veränderung damals war wohl meine Scheidung.

Doch das reichte nicht, wie mir heute durch ein Video klar wurde (siehe unten, absolut empfehlenswert). Emilie spricht mir darin aus der Seele, sie beschreibt quasi mein Leben. Sie beschreibt Menschen, die häufig als “Scanner” bezeichnet werden. Menschen, die vielseitig interessiert sind. Menschen wie mich, die gerne Neues erforschen, sich dazu schnell viel Wissen aneignen und dann das Interesse daran verlieren.

Bis heute dachte ich, etwas würde deswegen mit mir nicht stimmen, denn diese Art an Vielseitigkeit wird in unserer Gesellschaft nicht wertgeschätzt. Berufliche Karrieren sind geradlinig, eine gewisse Konstanz ist gefragt. Heute wurde mir aber klar: die kann ich nicht gewährleisten. Konnte ich nie. Ich habe versucht, mich anzupassen. So zu sein, wie andere mich haben wollten. Ein Schelm, wer das wiederkehrende Muster mit der früheren Unterdrückung meiner Transidentität erkennt. Und auch hier geht es irgendwie um Identität, aber um andere Aspekte. Meine Charaktereigenschaft “Scanner” hat nichts mit meinem Geschlecht zu tun, doch es belastet mich nicht minder. Denn seit ich in diese Depression gerutscht bin, spüre ich sehr deutlich, dass etwas an meiner gegenwärtigen Lebenssituation falsch ist. Es zieht mich in die Welt hinaus. Ich will reisen und an ruhigen Orten meine Eindrücke in Worte gießen, um sie der Welt zu schenken. Doch davon bezahlen sich keine Rechnungen. Und schwups, befinde ich mich in einer Angstspirale. Ich glaube, ich weiß ziemlich genau, was ich aktuell brauchen würde, um seelisch zu heilen. Doch das scheint alles unerreichbar.

Coming Outs!

Ich habe heute aufgrund meines Verdachts auf Hochsensibilität erneut ein paar Tests gemacht und sie alle bestätigen meinen Verdacht, woraus sich ein spannendes Bild zu formen beginnt. Meine Damen und Herren, alle dazwischen und außerhalb (das habe ich mir von Jan Böhmermann geklaut, ich liebe das!), ich habe heute in Summe 4 (in Worten “vier”) Coming Outs zu verkünden:

  1. Ich bin eine Frau. Aber das wusstet ihr ja schon.
  2. Ich bin hochsensibel. Und ich will endlich mein Leben passend gestalten.
  3. Ich bin eine Scannerin. Die Welt ist viel zu bunt, um sie in einer Lebenszeit zu erkunden und ganz zu erfassen!
  4. Ich bin Synästhetin – das Thema hatten wir auch schon.

Und irgendwie hängt das alles zusammen. Okay, das war jetzt vielleicht nicht so spektakulär, sorry! Aber wenn ich das so lese, wirkt das schon irgendwie ziemlich bunt. Und eigentlich sieht das nach einem Menschen aus, der in seinem Leben mehr tun sollte, als jeden Tag im Büro zu hocken und dafür zu sorgen, dass alles noch effizienter läuft – unter dem Deckmantel, dass es den Mitarbeitenden dabei besser geht.

Hege ich gerade generelle Zweifel an dem, was ich lange Zeit als meine professionelle Überzeugung propagiert habe? Ja, das tue ich. Laufe ich damit Gefahr, meine finanzielle Existenz anzusägen? Ja, auch das tue ich. Doch heute ist endlich der Groschen gefallen, dass ich noch immer entgegen meiner Bedürfnisse lebe und sowohl meiner Hochsensibilität, als auch meiner Scanner-Persönlichkeit zu wenig Raum schenke. Und das macht mich auf Dauer krank, das zeigt mir die gegenwärtige Situation sehr deutlich.
Und der Groschen ist gefallen, dass an meiner Scanner-Persönlichkeit keinesfalls etwas falsch ist! Die Gesellschaft ist falsch, weil sie dieses Talent nicht zu würdigen weiß. All die Jahre habe ich gesagt: “Ich begeistere mich oft für neue Dinge, bevor andere sie überhaupt auf dem Schirm haben. Doch sobald sie einen gewissen Reifegrad erreicht haben, verspüre ich den Drang weiter zu ziehen und diese Dinge an andere Menschen zu übergeben. Leider habe ich für diese Handlungsweise noch nicht den richtigen Beruf gefunden…” Und genau das beschreibt Emilie, um sie nochmals empfehlend zu erwähnen, in ihrem TED Talk.

Irgendwie wiederholt sich alles

Ich fühlte mich mein Leben lang falsch, weil ich mich als Mädchen fühlte und dachte, ich sei allein. Irgendwann erkannte ich, dass ich das nicht bin und beschritt den Weg der Transition.

Ich fühlte mich mein Leben lang falsch, weil ich vielseitige Interessen habe, aber nie dauerhaft bei einer Sache verharren möchte und dachte, ich sei allein. Heute erkannte ich, dass ich das nicht bin.

Ich fühlte mich mein Leben lang falsch, weil ich “zu sensibel” war, “zu dünnhäutig”, “zu viel Zeit für mich allein brauchte”, zu, zu, zu. Für mein Umfeld war ich zu oft “zu”. Eine Zu-Mutung. Und ich dachte, ich sei allein. Heute erkannte ich, dass ich das nicht bin und dass meine Hochsensibilität und meine Scanner-Persönlichkeit auch viele positive Seiten haben, so lange ich gut auf mich Acht gebe und mich im richtigen Umfeld bewege.

Gerade muss ich an die Precogs denken, die Prä-Kognitiven aus dem Science Fiction Film Minority Report. Auch sie vereinen zahlreiche Aspekte von Hochsensibilität in sich und werden von äußeren Eindrücken überflutet, gar gequält.
Doch am Ende kommen sie zur Ruhe, fern ab der Zivilisation in einer gemütlichen Hütte am See.

All das fühlt sich nach einem Schritt vorwärts an, aber löst auch akut große Ängste in mir aus. Denn der Preis, mein Leben so zu verändern, dass es all dem oben beschriebenen gerecht wird, wäre hoch. Ja, das schien er vor meinem Coming Out Mitte 2020 auch. Und fürwahr, diesen Akt der Befreiung gab es keineswegs umsonst!
All das hier fühlt sich nun auf eine andere Weise fundamental an, weil – wie damals – etwas an die Oberfläche blubbert, was nicht länger unbeachtet bleiben möchte. Schicht für Schicht.

Doch dieses Mal hängt daran die wirtschaftliche Existenz. Maslow lässt grüßen.

Ich habe Angst…

 

Abschließend hier noch der TED Talk von Emilie Wapnick – “Why some of us don’t have one true calling” (deutscher Untertitel verfügbar):

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