Ich bin so unglaublich müde! Körperlich. Dennoch schaffe ich es dieser Tage, mir irgendwie Gedanken um Lebensfreude und das Verlassen von Komfortzonen zu machen.
Meine Tage sind aktuell körperlich für mich sehr fordernd. Das frühe Aufstehen, um vor der Arbeit mit dem Bougieren fertig zu sein, torpediert mein Körper zunehmend mit trotzigem Überhören meiner mittlerweile 4 Wecker. Dank eines großen zeitlichen Puffers reicht die restliche Zeit zwar, aber ich merke, wie mich dieser Rhythmus langsam auslaugt. Die Wochenenden reichen zum Auffüllen meiner Akkus nicht aus und selbst jeder noch so tollkühne Versuch, deutlich vor Mitternacht ins Bett zu gehen, scheitert meist an Kleinigkeiten. Ich sehne den Tag herbei, an dem Dr. Taskov mir verkündet, ich könne das Bougieren auf 1x pro Tag reduzieren!
Nackte Haut
Aufgrund der Müdigkeit habe ich den heutigen Tag ein wenig wie eine Kinozuschauerin empfunden. Ich war zwar da, aber irgendwie auch nicht. Wach hielt mich aber immerhin ein routinemäßiger Checkup beim Hautarzt, denn der erforderte eine gewisse Überwindung.
Den Arzt, der vertretungsweise für die eigentlich von mir gewünschte Ärztin eingesprungen war, kannte ich bis dato noch nicht und konnte daher nicht einschätzen, auf was ich mich da einlassen würde. Immerhin würde er mich bei einem Checkup fast nackt sehen und in Anbetracht meines transitionierenden Körpers fand ich das gar nicht so witzig. Obwohl ich bei Ärzten recht gut in eine rein sachliche Denkweise schalten kann. Es war auch keine tiefe Scham, aber ganz wohl war mir dennoch nicht. Würde ich mich outen müssen? Würde ich gar meine Perücke absetzen oder Teile des MakeUps entfernen müssen? Wie würde der Arzt mit mir umgehen?
Nachdem ein Großteil meiner Klamotten auf den dafür vorgesehenen Möbeln lag, setzte ich mich für einige Minuten auf einen Stuhl (was mittlerweile dank fortschreitender Heilung fast schmerzfrei möglich ist). Obwohl das Behandlungszimmer recht klein und eng war, kam ich mir schutzlos vor und umschlang mich selbst mit meinen Armen.
Als mich der Arzt nach einer Weile freundlich begrüßte, war ich erst einmal erleichtert. Er spulte sein Standardprogramm zum Hautscreening ab, machte hier und da Bemerkungen dazu und betrachtete mich von allen Seiten. Als er im Genitalbereich ankam, wurde mir etwas warm ums Herz, denn es gab da nichts mehr, was ich hätte verstecken müssen. Das fühlte sich so gut und richtig an! Ich war geradezu stolz!
Unangenehm wurde es hingegen im Gesicht, als ich die Maske abnehmen sollte!
Natürlich hatte ich mich geschminkt, um meinen Bartschatten abzudecken und kassierte gleich einen freundlichen Hinweis, beim nächsten Mal doch bitte darauf zu verzichten, um die Haut besser beurteilen zu können. Plötzlich wurde ich nervös und sah mich in Erklärungsnot, stotterte etwas von “ich muss aber” und wedelte mit meinen Fingern vor meinem Bartschatten herum. Ich vermute, der Doc hatte aufgrund meiner leider weiterhin eher maskulinen Statur und der restlichen Körperbehaarung ohnehin schon gemerkt, wen er hier vor sich hatte, daher quittierte er meinen halbherzigen Erklärungsversuch ganz lässig. Ich brauchte mich nicht erklären und mein Stresslevel sank augenblicklich wieder.
Und so fiel bei diesem Termin auch nicht ein einziges Mal das Wort “trans”.
Leicht irritiert wirkte hingegen ein junger Mitarbeiter, mit dem ich im Anschluss noch sprach. Wieder angezogen, versteht sich. Doch sein unsicherer Habitus amüsierte mich eher, als dass er mich störte.
Wenn ich den heutigen Termin jetzt noch mal betrachte, bin ich schon ein wenig stolz auf mich. Noch vor wenigen Wochen hatte ich allein die Terminvereinbarung vor mir her geschoben, weil ich mich wegen der notwendigen “Offenbarung” nicht zu einem Hautarzt traute. Doch etwas in mir hat sich verändert, so dass dieser Schritt aus der Komfortzone heute ohne ernsthafte Nebenwirkungen möglich war. Und ich habe ihn ohne Zwischenfall überstanden. Das ist total toll, denn es ist, als hätte ich mir ein Stück meiner Freiheit zurück geholt, die mir in vielen Bereichen durch die Transition zunächst verloren gegangen war – vornehmlich aufgrund von Angst und Scham. Doch beide weichen langsam zurück.
Lebensfreude
Zum Thema “zurückgewonnene Freiheit” gehört auch eine damit einhergehende, wachsende Lebensfreude. Ja, ich habe dann und wann noch meine Dysphorie-Tage, meist bedingt durch Bartwuchs und Stimm-Rückschritte, aber im Vergleich zu letztem Jahr sind sie geradezu lächerlich klein geworden. Stattdessen gewinnt die Tatkraft und die Lust am Leben wieder mehr Platz in mir. Ein Teil davon äußert sich in den RHEIN*BOWS, andere Teile in unserem Musikvideo-Projekt und noch ganz andere in guten Gesprächen mit Freunden und Kollegen oder wertvoller Zeit mit meiner Familie.
Und so verwundert es auch nicht, dass ich nach etlichen Jahren – ich habe aufgehört zu zählen – mal wieder Lust und einen Grund habe, meinen bald anstehenden Geburtstag zu feiern. Und zwar nicht nur mit der engsten Familie bei Kaffee und Kuchen, sondern im Open House Format, den ganzen Tag lang mit ganz großartigen Menschen aus allen Bereichen meines Lebens! Darauf freue ich mich riesig! Auf die Begegnungen, die Gespräche, das Lachen und auf den selbstkritischen Blick auf den vollgefutterten Bauch am Ende eines wundervollen Tages.
Ja, ich habe endlich mal wieder etwas zu feiern!
Nicht einfach nur wegen gedankenloser Traditionen, sondern weil mir wirklich danach ist, mein neues Leben mit meinen Lieblingsmenschen zu teilen und gemeinsam eine gute Zeit auf dieser Erdkugel zu verbringen!
FFM steht nicht für Frankfurt am Main
“Gute Zeit” ist übrigens ein gutes Stichwort. Von meinen zaghaften Gehversuchen in der Dating-Welt und meinen gleichsam enttäuschenden Erfahrungen berichtete ich ja schon. Nun, die Story geht natürlich weiter, jedoch ohne nennenswertes Highlight. Männer schreiben, meistens plump und einfach nur bäääh, manchmal mit Anstand, aber dennoch mit klaren Absichten, die ich aktuell einfach noch nicht mitgehen kann und möchte.
Eine Anfrage am gestrigen Abend machte mich jedoch nachdenklich und öffnete eine Gedankentür, die ich bislang übersehen hatte. Und zwar schrieb mich ein jüngeres Pärchen an und schickte auch gleich an sehr sympathisches Bild mit. Abgesehen von einer kurzen Antwort passierte in diesem Chat nichts weiter. Aber in mir passierte plötzlich ganz viel. Denn wann immer ein Mann ein Treffen vorschlug, blockte ich innerlich sofort ab. Die Diskrepanz zwischen der Foto-Julia und der Morgens-in-den-Spiegel-schauen-Julia sind mir einfach noch viel zu groß, als dass ich frohen Mutes in ein Date spazieren könnte. Da ist noch immer diese ganz tief sitzende Angst vor Ablehnung, wenn diese MakeUp- und Perückenmaske fort ist.
Doch bei diesem Pärchen hatte ich diese Angst nicht. Ich hatte zwar nicht die Absicht, mich mit den beiden zu treffen, aber der Gedanke daran, erste sexuelle Erfahrungen mit einem Mann an der Seite einer anderen Frau zu erfahren (FFM – Frau, Frau, Mann), beruhigte mich immens. Und dabei fällt mir wieder das Motto der “Einführung in die Frauenwelt” ein. Eine Art Initiierungsritual. Mir ist wohl bewusst, dass eine solche Erfahrung in der Praxis nicht ganz einfach umzusetzen sein dürfte und wäre vermutlich ein noch größerer Schritt als alleine mit einem Mann, aber ich habe akut das Bedürfnis, bei diesen Erfahrungen an die Hand genommen zu werden. Zwar schreibt hier eine starke Frau, doch beim Gedanken an all das spricht das junge, unerfahrene Mädchen aus mir.
Natürlich dürften die wenigsten Mädchen beim ersten Mal eine weibliche Begleitung haben, wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich jedoch: warum eigentlich nicht?! Ich meine, beim ersten Mal hat niemand einen Plan davon, was auf uns zukommt. Und für jede Kleinigkeit in unserer Gesellschaft gibt es Unterricht, Tutorials, Onboarding-Sessions und Erfahrungsaustausch. Warum eigentlich nicht beim Sex?! Sind wir wirklich so prüde?
Anyway…just some random thoughts. Will sagen: diese Themen treiben mich aktuell um, führen aber letzten Endes zu nichts. Und das Witzige dabei ist: das ist (meistens) völlig ok für mich. Vielleicht reicht aktuell auch einfach nur das Spielen mit der Materie, um damit überhaupt mal in Kontakt zu kommen. Ich merke aber auch, wie sehr mich diese Dating-Geschichten in meiner Rolle als Frau festigen. Denn in den einschlägigen Apps werde ich ohne Ausnahme als Frau gelesen und behandelt und das ist einfach einmalig und genau so, wie es zu sein hat.
Und by the way lassen sich dabei auch noch tonnenweise Komplimente abstauben. 😀
Das lustigste der letzten Tage war:
Du hast unnormal schöne Augen!
Well…meine Familiy hat mir schon damals als kleines Kind prophezeit, dass ich später einmal reihenweise Herzen mit meinen Augen brechen würde. The time has come, folks! The time has come! 😀