Beschämtes Mädchen

Wow. Ich betrachte mich gerade selbst von einigen Metern Entfernung und denk mir: Mädchen, du hast echt nicht mehr alle Nadeln an der Tanne! Komm mal wieder klar! Toller Abend. Nicht.

Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Artikel hier hin gehört. Ihr werdet daraus vermutlich nichts lernen. Ja, er hat mit der Transition zu tun. Aber mindestens genauso viel mit meinen eigenen Dämonen. Aber was soll’s, jetzt sind wir alle schon mal hier, oder?! Carpe diem, ladies and gentlemen!

Bis vor einer Stunde oder so lief der Tag eigentlich echt gut. Ein netter Kerl schrieb mich an, wir plauderten total locker und kamen schnell überein, dass wir aufgrund von anderen Lebensentwürfen zwar nicht für eine Beziehung passen würden, aber wir einfach mal schauen wollen, wohin uns das führt. Denn sympathisch waren wir uns witziger Weise auf Anhieb. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Ich hatte allen Mut zusammengenommen und war dem Rat meines Therapeuten gefolgt. Und es ging mir gut dabei. Cool, oder?!

Später bimmelte mein Handy erneut. Ich hatte einen neuen Match. Ein alter Match war verfallen, da der Typ sich nicht gemeldet hatte. Doch nun bot sich noch eine Chance. Noch ganz in meiner Selbstüberzeugung und der Schmetterlingswolke gefangen, schrieb ich etwas vermeintlich Humorvolles mit Bezug auf das Profil der betreffenden Person. Doch ein ebenso zwangloser Plausch wie zuvor war nicht das, was sich daraus ergab. Wenig später schaute ich nach und der Match war weg. Ich wurde nachträglich “weggewischt”. Das ist nun für sich betrachtet echt kein Grund zur Melodramatik, solche Dinge passieren eben. Sagt mein Kopf.

Doch, palimm palimm. Wer betrat in diesem Augenblick mit stolzem Gang und strengem Blick die Bühne?! Na?! Genau! Pia, die doofe Kuh! Meine innere Kritikerin. Und dann ging die Schimpftirade los. Ich solle mich schämen! So toll, wie ich gerade noch gedacht hatte, sei ich gar nicht! Ich hätte die vergangenen Tage an totaler Selbstüberschätzung gelitten. Arrogant sei ich geworden. Überheblich. Dieses ganze Social-Media-Blog-Trans-Ding täte mir nicht gut, würde nur mein Ego und meinen Narzissmus befeuern. Der Shitstorm flog mir nur so um die Ohren, so dass ich mir selbige am liebsten zugehalten hätte.

Innerlich zusammengekauert versuchte ich mich zu wehren, zu rechtfertigen. Die ganzen lieben Worte, die ich von meinen Mitmenschen in den vergangenen Wochen und Monaten erhalten hatte, kamen doch irgendwo her. Sie mussten doch einen Grund haben. Und dann noch das, was ein Freund (Transmann) mir zum Weltfrauentag schickte:

We rise by lifting

Auf Deutsch bedeutet es so viel wie:
“Julia, ich markiere dich in diesem Beitrag (s.u.), weil du die inspirierendste Frau bist, die ich kenne. Ich bin so dankbar dafür, dich in meinem Leben zu haben. Du spieltest eine wichtige Rolle bei meinem eigenen Coming Out. Du gabst und gibst mir so viel Unterstützung. Ich bin davon überzeugt, dass du mit deiner Offenheit, Freundlichkeit, Stärke und Agilität, die du jeden einzelnen Tag zeigst, eine Inspiration für viele andere bist. Du rockst total!”

War das etwa alles nicht echt?! Ein Gefühl der Scham überkam mich plötzlich und tut es noch immer. Ich fühle mich wie eine Betrügerin. “Impostor Syndrom” nennt man das in der Fachsprache. Ja, ohne Übertreibung bekomme ich solch liebe Worte oder ähnliche Dinge in letzter Zeit relativ häufig zu hören. Und ich habe mich nur allzu gerne der Illusion hingegeben, dass etwas dran ist, was mir da gesagt wird. Und dass ich tatsächlich die Macht habe, etwas auf diesem Planeten zum Guten zu bewegen. Und offenkundig habe ich das schon getan. Oder nicht?

Aber warum fühle ich es dann nicht?! Warum schlägt mir Pia einen nassen Waschlappen ins Gesicht, beschimpft mich als Betrügerin und spuckt mich an, während sie mich zu Boden schubst und verächtlich aus dem Raum stöckelt?

Die totale Selbstsabotage ist das gerade. Die letzten Wochen konnte ich so gut genießen und zulassen, dass es mir gut geht. Und dann heute das. Ich dachte, darüber wäre ich hinweg. Aber nööö…nasser Waschlappen. Klatsch!

Bevor ich diesen Artikel anfing war ich im Begriff, eine WhatsApp Nachricht an eine Freundin zu schicken. Ganz kurz.
“Bin ich arrogant? Bin ich ein schlechter Mensch?” 

Eine Exfreundin sagte mir vor etlichen Jahren einmal sinngemäß: “Es war eigentlich schon ganz gut, dass du in der Schule gemobbt wurdest. Ich glaube, du wärst sonst total arrogant geworden.” Nasser Waschlappen. Der hatte gesessen und hängt mir bis heute nach.

Ihr Lieben, ich hadere mit mir selbst. Ich weiß nicht warum. Nur wegen eines dummen Typen, der mit meinem Humor offenkundig nichts anfangen konnte? So what?! Sein Pech! Ich wette drauf, dass es mir morgen früh wieder gut geht und ich einfach gerade nur wie ein pubertierender Teenager nicht so ganz zurechnungsfähig bin. Aber warum musste das passieren?! Ich war auf einem guten Weg, mich endlich selbst zu mögen, so etwas wie Selbstliebe zu entwickeln. Das lief echt toll. Und jetzt das.

Dieses Erlebnis macht mich etwas demütig und ich möchte mich gerade in mein Schneckenhaus zurück ziehen. Die Typen sollen mir erstmal nicht mehr schreiben. Ich habe mal kurz meinen Zeh ins kalte Wasser des Dating-Teichs gehalten, das war erfrischend. Doch jetzt fange ich an zu frieren und möchte mich wieder aufwärmen.

Langsam, Schritt für Schritt“, sagte mein Therapeut gestern noch. Vielleicht gehe ich für eine Weile doch lieber einen Schritt zurück und schaue, was mir das Spiegelbild im kalten Wasser mitzuteilen hat.

Und jetzt, Pia?! Verzieh dich! Ich bin nicht arrogant. Ich bin aber eine starke Frau, die gerade ihren Platz im Leben findet und dabei vielleicht ein bisschen Staub aufwirbelt. Komm drüber weg! Deine alten Hassparolen haben ausgedient, echt jetzt! Kannst du behalten. Erstick dran, Bitch!

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