„Gestern ist Geschichte, morgen ist ein Rätsel, und heute ist ein Geschenk (…)“, soll Eleanor Roosevelt einst gesagt haben. Meine gestrige Geschichte hat mir heute tatsächlich ein Geschenk gemacht, das mich gespannt auf die Rätsel von morgen warten lässt.
Was schrieb ich gestern?
Ich wette drauf, dass es mir morgen früh wieder gut geht (…)
Ha! Ich mag zwar gerade von einem unberechenbaren Hormonmonster begleitet werden, aber soweit kann ich die Lage dann doch mittlerweile einschätzen. Wobei ich das “gut” im Rückblick auf den heutigen Tag eher in “besser” ändern würde.
Der verlorene Match gestern war heute schon kein Thema mehr und mein Verlangen, mich durch die Dating Apps zu wischen, hielt sich auch sehr stark in Grenzen. Diese kleine Exkursion war spannend und wird sicher fortgesetzt, für den Moment ist es aber auch genug. Dafür dachte ich heute mehr über meine inneren Dämonen nach, die mich da gestern überfallen hatten. Das war ein größerer Akt, doch während des Verfassens einer WhatsApp-Nachricht zu dem Thema änderte sich etwas. Mein Blickwinkel änderte sich. Die wild tobende Pia war plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich, vielmehr überkam mich Mitleid. Denn da tobte nicht das pure Böse, sondern ein Anteil von mir, der mich früher beschützt hatte und dafür zuständig gewesen war, meinen Schutzpanzer aufrecht zu erhalten. Im Verlauf der letzten Zeit wurde diesem Anteil aber mehr und mehr die Existenzberechtigung entzogen. Er wurde mehr oder minder nutzlos und verteidigte gestern seine letzte Bastion, da er seine Felle wegschwimmen sah.
Während ich diese Nachricht schrieb, konnte ich durch die Hülle von Rumpelstilzchen-Pia hindurchschauen und sah ein ängstliches, zerbrechliches Wesen. Das war der Moment, in dem ich sie innerlich umarmen konnte. Zwar zaghaft und etwas vorsichtig, um mir kein blaues Auge einzufangen, aber nichts dergleichen geschah. Vielmehr kam dieser Teil von mir im selben Moment zur Ruhe. Es war in Ordnung.
Dennoch bleibt ein gewisses Maß an Zweifel, denn Pia wurde nicht vollständig entmachtet. Vielmehr stelle ich mir gerade die Frage, ob sie als emotionale Leitplanke dienen kann. Denn es gibt tatsächlich einen anderen Teil in mir, der Angst davor hat, die Bodenhaftung zu verlieren, wenn es “zu schön” wird. Aber das ist ein anderes Thema, hängt aber unmittelbar mit Selbstliebe und dem eigenen Gestatten von Glück und Zufriedenheit zusammen. Ein Thema, bei dem ich mich trotz des gestrigen Vorfalls auf einem guten Weg wähne.
Online-Tests
Das Restmaß an Zweifel veranlasste mich dann heute aber doch dazu, eine Reihe von Online-Tests zu den Themen Arroganz und Hochmut maximal selbstkritisch durch zu klicken. Wie schon früher bei den Online-Tests zur Frage, ob man trans ist, sind auch diese Tests natürlich mit Vorsicht zu genießen. Aber auch hier gilt: sie vermögen es dennoch, eine grobe Tendenz anzuzeigen. Und diese Tendenz war dann doch eindeutig und zeigte, dass meine Selbstzweifel mir einfach nur einen derben Streich gespielt hatten und mir Dinge vorgaukelten, die nicht da waren.
Aber ich greife dennoch gerne die Anmerkung meiner Chat-Partnerin auf und versuche zu verstehen, was mir meine inneren Dämonen mitzuteilen haben. Und ob es einen Funken Wahrheit bei dem gibt, was meine Exfreundin mir damals sagte. Da bin ich dann wieder beim Thema “emotionale Leitplanke”. Vielleicht hilft es mir, meinen persönlichen moralischen Nordstern niemals aus den Augen zu verlieren. Unabhängig von äußerem Zuspruch oder Kritik.
Zeit, die Fühler auszustrecken
Doch heute geschah noch mehr und fand ausnahmsweise weniger in meinem Kopf statt, sondern im Mailpostfach.
Ich erhielt eine total tolle Anfrage, über die ich mich von Herzen gefreut habe! Da es sich hierbei noch um ein sehr zartes Pflänzchen handelt, möchte ich euch für die Details auf später vertrösten. Ich bin selbst schon gespannt wie ein Flitzebogen. 🙂
Die zweite Aktivität in meinem Postfach ging von mir aus. Nachdem ich vergangene Woche mit meinem Therapeuten über den Wunsch gesprochen hatte, mich noch mehr sozial für Trans*Personen zu engagieren, machte ich mich heute auf die Suche nach schon existierenden Angeboten in der Nähe und stieß dabei auf eine Art LGBTQ-Café in meiner Stadt, das sich allerdings eher an Jugendliche zu richten scheint. Also thematisch nicht ganz mein Fokus. Dennoch nahm ich Kontakt dorthin auf, um mal die Fühler auszustrecken. Und sollte sich daraus nichts ergeben, schwebt mir auch schon seit einer Weile der Gedanke im Hirn herum, selbst eine wie auch immer geartete Trans*Gruppe hier vor Ort zu gründen. Ein direkter Einstieg in eine bestehende Organisation wäre aber natürlich effektiver, da ich mich nicht um den ganzen Aufbau einer Gruppe kümmern müsste. Auch das ist also noch ein zartes Pflänzchen, aber die ersten Schrittchen sind unternommen und eine Reise beginnt ja typischerweise mit einem ersten Schritt.
Schauen wir mal, wohin mich der Wind des Lebens trägt…