Frau im Bett

Kleine Schritte führen bekanntlich auch zum Ziel. Heute waren es kleine Schritte durch mein Zimmer. Yey!

Es dauerte zwar bis zum Mittag, aber dann baute sich ein sehr netter und total entspannter Mitarbeiter der Physio vor meinem Bett auf. Nach ein paar Vorbereitungen half er mir auf (ich lag in Armen eines starken Mannes…hat schon was 😅), was ganz gut war, da ich zum Aufstehen noch etwas über die Seite rollen muss, um die Wunde zu entlasten.

Innerhalb weniger Sekunden stand ich das erste Mal nach der OP mit beiden Beinen auf dem Boden. Die Füße kribbelten ein wenig, aber der Kreislauf lieb erstaunlich stabil. Man stützte mich zwar, da aber kein Schwindel einsetzte, konnte ich direkt die ersten Schritte durch mein Zimmer tapern. Und nicht nur das! Ich durfte mich sogar ins Bad stellen, Zähne putzen, Rasieren und mich etwas frisch machen. Das mag banal klingen, nach über 2 Tagen bewegungseinschränkt im Bett, ist das aber wirklich eine Sensation. Es gibt mir etwas Freiheit zurück, mehr Mobilität. Laut Physiotherapeut dürfte ich ab sofort problemlos selbst aufstehen, er wollte das jedoch noch mit dem Pflegepersonal abklären. Für den Augenblick habe ich mich aber erst einmal wieder hingelegt, zumal das ca. 10-minütige Stehen ein wenig auf die Wunde gedrückt hat. Das schmerzt zwar nicht, drückt aber etwas unangenehm.

Ich vermute mal, dass ich heute Abend nochmal aufstehen werde (müssen), um auf Toilette zu gehen. Das könnte mit Katheter noch etwas hakelig werden, aber ich nehme hier jede kleine Herausforderung wie sie kommt. Zumal sie auch für Abwechslung sorgen.

Was ich jedoch schon einmal festhalten kann: die Heilung verläuft sehr gut und schon in mehreren Situationen wurde bemerkt, wie positiv überrascht man über die schnelle Genesung sei. Voll gut!
Vor allem vor dem Hintergrund eines eher toxischen Gedankens, den ich insbesondere vor der OP oft hatte und dessen Ursache möglicherweise auch in der Schlafapnoe zu finden sein könnte: ich traute meinem Körper diese unglaubliche Kraft gar nicht so recht zu, ich wusste nicht, ob ich mich auf ihn verlassen kann. Eben weil mich meine Atmung im Schlaf dann und wann im Stich lässt. Doch die OP, die Genesung, sehr gute Vitalwerte und zuletzt das Aufstehen ohne Probleme gibt mir eine neue Art von Selbstvertrauen in meinen Körper. Er ist so wunderbar stark und widerstandsfähig. Ich schäme mich beinahe, ihn derart unterschätzt zu haben und erahne, dass das (positive) Konsequenzen haben könnte: mehr Selbstfürsorge, nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Mehr Selbstliebe, zumal nun ein ganz entscheidender Teil meines Körpers korrigiert wurde und endlich so ist, wie er sein sollte.

Will sagen: mein Selbsthass, ausgelöst durch die Gender Dysphorie, hat sich durch die OP merklich gebessert und bestätigt damit mich selbst und meinen Weg. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass das noch nicht alles war, denn wenn ich gerade jetzt so ungeschminkt und teils unrasiert in den Spiegel blicke, löst das eben doch noch viele negative Gefühle aus. Aber das ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, insofern trifft mich das aktuell nicht ganz so sehr.

Hormone & Emotionen

Eine weitere gute Nachricht von heute früh war, dass ich ab Sonntag voraussichtlich wieder mit meinen Hormonen beginnen darf. Ich kann es kaum erwarten! Nicht zuletzt wegen eines unschönen Erlebnisses am gestrigen Abend.

Nach einem an sich ganz entspannten und schönen Telefonat mit einem Kollegen und Freund begann es mir Stück für Stück die Brust zuzuschnüren. Zwar gab es ein paar berufliche Themen, da ich mich selbst nicht damit befassen muss, tangieren sie mich bewusst jedoch nicht ernsthaft. Aber vielleicht unterbewusst? Jedenfalls fiel mir das Atmen immer schwerer und die alt bekannte Panik aus früheren Zeiten stieg Millimeter für Millimeter in mir auf. Eine Meditation gegen Panikattacken half mir weiter, die innere Verspannung blieb im Kern aber, so dass das Einschlafen einem Spießrutenlauf glich. Das Schlafen auf dem Rücken fördert bekanntlich zusätzlich noch die Atemaussetzer und das damit verbundene panische Hochschrecken.
So weit, so ätzend! Doch jetzt möchte ich den Bogen zu den Emotionen und den Hormonen spannen: bei der besagten Meditation kamen mir zwischenzeitlich die Tränen, ohne erkennbaren Grund. Was ich daran jedoch genoss, war die Erleichterung, die mir die Tränen verschafften. Mein Druck auf der Brust ließ nach und ich konnte wieder freier atmen.

Was ich also überlege ist: sind die Beklemmungen in der Brust lediglich nicht ausgedrückte Emotionen, die raus wollen? Falls ja, freue ich mich erst recht auf die Hormone am Sonntag, denn aktuell scheint irgend etwas meine Emotionen zu unterdrücken. Ob das das Testosteron ist, kann ich nur spekulieren. Es erscheint mir aber wahrscheinlich, weil sich meine emotionale Situation eher so anfühlt, wie vor der HRT. Also vergleichsweise stumpf, taub, verödet. Ich will meine weiblichen Emotionen wiederhaben und mir wird nochmal deutlich, wie wichtig sie mir sind. Nicht zuletzt, weil ich mit ihnen viel weniger Panikattacken habe.

Also: her mit meinen Hormonen! Ich will wieder fühlen können. ☺️

Tja, ihr merkt…das ist alles schon echt wild hier, obwohl im Tagesablauf gar nicht so arg viel geschieht.

Sinneswandel?

Ich möchte noch auf eine Beobachtung eingehen, die ich schon mehrfach nach der OP machte. Gestern Abend beispielsweise schaute ich Netflix und hatte einen ziemlich anderen Blick auf die Protagonisten als noch vor der OP. Die Frauen darin nahm ich eher als Gleichgesinnte wahr, wie eine Art gute Freundin. Dafür sah ich die Männer mit etwas anderen Augen…mit Augen einer Frau mit Interesse an Männern. Das war ziemlich beeindruckend! Die Tendenz in diese Richtung hatte ich ja schon vor der OP, das war aber lange nicht so deutlich. Es ist fast so, als habe ich mir selbst nach der Richtigstellung durch die OP gewissermassen die Erlaubnis dafür gegeben, neben Frauen auch an Männern Interesse haben zu dürfen. Irgendwie ist mein Gesamtbild von mir jetzt viel stimmiger als vorher, so ganz überblicken kann ich das aber alles noch nicht. Ich hab zwar von Anfang der Transition an gesagt, dass ich in Bezug auf das romantische Interesse in alle Richtungen offen sei, weil ich damals einfach nicht wusste, wohin die Reise gehen könnte. Dass die OP nun aber doch eine so große Wirkung haben könnte, hatte ich nicht erwartet. Ziemlich krass. Und eindeutig etwas, was ich noch längere Zeit beobachten und reflektieren möchte, denn wie gesagt ist mir noch immer nicht ganz klar, in welche Richtung es am Ende geht.

Würde man mich heute fragen, würde ich mich selbst als pansexuell bezeichnen, also ohne geschlechlichsbezogene Präferenz. Der Mensch an sich ist mir viel wichtiger. Egal ob Cismann, Cisfrau, Trans, Inter, Nicht-binär oder oder oder. Ich kann aber definitiv nicht ausschließen, dass sich diese Einschätzung in Zukunft noch wandeln wird. Ich finde diese Entwicklung als Teil meiner Transition jedenfalls wahnsinnig spannend!

Epilog

Trotz der unschönen Emotionen am gestrigen Abend möchte ich diesen Artikel positiv schließen. Denn unterm Strich bleibt das Bild der Tage nach der OP bestehen: ich bin wahnsinnig glücklich über diesen Schritt und dass die Heilung so gut verläuft, passt einfach perfekt ins Bild. Alles lief diesbezüglich absolut reibungslos, so wie im Grunde die ganze Transition bisher. Das ist alles gut und richtig so, daran habe ich keinen Zweifel!

Warnung: Es folgt intimer Inhalt. Nur bei Interesse weiterlesen.

Und auch, wenn das Folgende für Einzelne schambehaftet sein mag, so möchte ich es ob seiner Tragweite für mich selbst und auch im Interesse anderer Transfrauen dennoch hier festhalten:

Ich freue mir ein Loch in den Bauch, mein neues Körperteil Stück für Stück kennenzulernen! „Sie“ hat tatsächlich endlich eine tiefe Bedeutung für mich, ich beginne langsam, eine Beziehung zu ihr aufzubauen und als Teil meiner Selbst zu integrieren. Das war früher völlig anders. Da gab es keine Verbindung zu meinen Genialien. Aktuell habe ich jedoch noch schmerzbedingte Berührungsängste. Was ich aber schon nach einem kleinen Selbstversuch mit Freude vernommen habe: erotische Gedanken lösen wirklich schöne Gefühle aus, die Nervenverbindungen sind also bei der OP erhalten geblieben. Yey! ☺️ Davon berichte ich aber vielleicht mal zu einem späteren Zeitpunkt, da ein Großteil des Gewebes noch komplett taub ist. Ich finde die Idee jedenfalls spannend, bei Zeiten die früheren und die neuen Gefühlswelten genitaler Natur zu vergleichen und gegenüber zu stellen.

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