Seit einiger Zeit habe ich “Frau TV” beim WDR für mich entdeckt und finde mich in vielen Themen wieder. Das heutige Thema triggerte mich jedoch unerwartet und ungewöhnlich heftig und zeigte mir die Grenzen meiner Transition auf.
Achtung: Triggerwarnung aufgrund sensibler Thematik
Folgendes sei noch kurz vorweggeschickt, bevor ich auf eine relevante Begebenheit von vor ein paar Tagen eingehe:
Das Thema der Sendung drehte sich um Kinderwunsch, kinderfreies Leben, den Umgang der Gesellschaft damit und die Bedeutung von Kindern für Frauen.
Zugehörigkeit
Spulen wir aber zunächst etwas zurück:
Vor einigen Tagen ließ ich mich im örtlichen Impfzentrum boostern. Nach einiger Warterei, sehr zuvorkommend dargereichtem Kaffee und in altehrwürdigem Ambiente einer örtlichen Burg, wurde ich von einer Dame im Impfzimmer empfangen.
Sie: lange dunkle, hochgesteckte Haare, vielleicht 5 Jahre älter als ich, angenehm ruhiges Wesen.
Wir sprachen nicht allzu viel, da wir auf den Impfarzt warteten und ich aufgrund meiner Stimme Hemmungen hatte, längere Passagen zu sprechen. Mir fielen jedoch einige niedliche Kinderpflaster bei den Impfutensilien auf. Darauf angesprochen platzte die Dame belustigt damit heraus, die habe sie für einige Männer aufgehoben, die sich beim Impfen doch etwas anstellen würden und die sie damit gerne auf die Schippe nehmen wolle.
Wir lachten herzlich.
Wir lachten, wie Frauen es untereinander tun, wenn sie ihre Späße über Männer machen.
Ein unglaubliches Glück durchströmte mich. So banal und doch machtvoll fühlt sich wohl Zugehörigkeit an.
So etwas hatte ich früher im Kreise von Männern nie verspürt. Sie machten ihre Frauenwitze. Ich lachte mit, weil ich dazu gehören wollte, fühlte aber immer, wie sich dabei mein Magen umdrehte und irgend etwas falsch daran war. Es fühlte sich wie Verrat an. Nicht so beim Impfen. Auch wenn es nur eine kleine Stichelei zwischen den Geschlechtern war, hatte ich das Gefühl, auf der (für mich) “richtigen Seite” zu stehen…
Getrenntsein
Wir spulen vor. Gegenwart. Frau TV.
Zwei Freundinnen berichten über die Erfahrungen von Schwangerschaft auf der einen und Fehlgeburten auf der anderen Seite. Mein Puls steigt. Nächster Bericht. Drei Frauen spielen Bullshit Bingo in Bezug auf Äußerungen oder Fragen, die Frauen ohne Kinder immer wieder ungefragt zu hören bekommen. Ein massives Unwohlsein manifestiert sich in meiner Magengegend. Die Sendung wird für mich immer schwerer zu ertragen. Der dritte Bericht beginnt, ich schalte aus und die angesammelten Emotionen brechen aus mir heraus.
Die ganze Trauer darüber, niemals selbst ein Kind austragen zu können.
Die Dankbarkeit dafür, dennoch so großartige Kinder zu haben.
Das niederschmetternde Gefühl, niemals wirklich dazu gehören zu können, egal was ich noch alles in der Transition mit mir anstelle.
Dieses Unwohlsein, das man allgemein hin als Impostor Syndrom bezeichnet. Was, wenn mich die Dame im Impfzentrum “entlarvt” hätte? Diese Angst davor, gegenüber fremden Frauen “aufzufliegen” und damit niemals die Welt der Frauen wirklich und wahrhaftig betreten zu können, weil sie mich nicht als eine der Ihren anerkennen.
Ganz plötzlich fühlte ich mich so wahnsinnig alleine und einsam…
Eine Einsamkeit, allein ausgelöst durch meinen verdammten Körper, der niemals so sein wird, wie er hätte sein sollen.
Und ziemlich zügig versacke ich in genau den Gedanken, die für Gender Dysphorie so typisch sind. Neu sind sie mir keinesfalls, aber daher nicht weniger schmerzhaft:
Einfach alle Maßnahmen, die ich bisher ergriffen habe und die ich ergreifen werde, sind am Ende mehr oder minder Makulatur. Der verzweifelte und teils gewaltsame Versuch, die physische Hülle meinem inneren Empfinden anzugleichen. Doch diesem Versuch sind eben medizinische Grenzen gesetzt. Nichts wird meine Chromosomen jemals ändern können. Niemand wird mir das Geschenk einer Gebärmutter machen können. Etc. pp.
Damit riss diese Sendung alte Wunden wieder auf. Den fundamentalen Wunsch, dazu zu gehören – einfach nur eine Frau von vielen zu sein.
Mir ist schon klar, dass die Heilung all dessen einzig und allein in mir selbst geschehen kann, nicht da draußen. Ob all meine geplanten Maßnahmen, getrieben durch das Streben nach innerer Einheit zwischen Körper und Seele, am Ende diese Dämonen befrieden können, ist mir offen gestanden schleierhaft. Ich mache diese Transitionssache schließlich auch zum ersten Mal.
Aber: sie sind die einzige Chance, die ich habe.
Oder um es mit Angela Merkel zu halten: sie sind alternativlos.
PS
Liebes 2022,
in Ergänzung zu meinem Brief an das Christkind hege ich den tiefen Wunsch, dieses unsägliche Gefühl von Getrenntsein durch ein gefestigtes Gefühl der Zugehörigkeit zur Frauenwelt zu ersetzen.
Verbindlichste Grüße,
Deine Julia