Dass das Gefühlsspektrum durch das Östrogen im Rahmen der HRT deutlich vergrößert wird, berichtete ich bereits. Dass die Gefühle vor entscheidenden Ereignissen komplett durchdrehen, ist neu. Ein Bericht über meine heutige Lernaufgabe, die mir das Leben stellte.
Eines vorweg: als diese Zeilen entstehen, geht es mir wieder gut. Hinter mir liegen 45 Minuten Yoga, die mich wieder geerdet und in Balance gebracht haben. Doch zur Vorgeschichte:
Heute war ein durchaus wichtiger Tag in Bezug auf die anstehende GaOP. Ein Termin zur Abklärung der vorbereitenden Maßnahmen und offener Fragen bei meinem Gynäkologen stand auf dem Plan. Insgesamt fiel der Termin ausgesprochen kurz aus, ließ mich aber alle meine offenen Punkte auf meiner Liste am Ende abhaken. Die vorbereitenden Untersuchungen wie auch die Ausstellung der Krankenhauseinweisung erfolgen Anfang Januar, also relativ zeitnah vor der OP.
Eine wesentliche Frage stand aber bezüglich der Hormone noch auf meiner Liste:
Wie gehe ich mit der Dosierung nach der OP um?
Schließlich wir die Testosteronproduktion entfallen und mein Körper vollständig auf externe Hormongabe angewiesen sein. Komische Vorstellung, aber so recht stören tut sie mich nicht. Die Antwort meines Arztes war aber kurz wie simpel: es bleibt erst einmal alles beim Alten und wir schauen, wie sich mein Körper justiert. Fein.
Schlafapnoe, der wiederkehrende Albtraum
Die emotionale Achterbahnfahrt begann dann allerdings erst gegen Abend. Als ich nach dem Arztbesuch zu Hause ankam, trudelte eine eMail mit der Terminbestätigung meines Anästhesisten in München ein. Da der Termin erst Nachmittags stattfinden wird, werde ich recht entspannt vom Vorgespräch in Erding nach München Bogenhausen reisen können. Auf der Plattform, auf der die Termine verwaltet werden, hatte ich dann auch die Möglichkeit, Vorbefunde hochzuladen. Schon früher hatte mich ja meine Schlafapnoe in Bezug auf die Narkose intensiv beschäftigt und an sich dachte ich, ich sei mit dem Thema durch. Nachdem ich meinen Befund dann aber hochgeladen, mir das Profil des Arztes und wiederholt das der Klinik angeschaut hatte, überkam mich völlig unerwartet Angst. Vor allem die Angst vor dem Aufwachraum und möglicherweise fehlender Beatmung.
Nun war ich mein Leben lang ein vom Verstand getriebener Mensch. Zwar verschiebt sich diese Tendenz langsam in Richtung Emotionalität, in diesem Fall erwies sich das analytische Denken dann aber doch als etwas hilfreich. Ich recherchierte erneut zur Behandlung von Schlafapnoe bei Operationen. Das Ergebnis blieb – oh Wunder – das gleiche wie letztes Mal. Es gilt zwar für die Ärzte besondere Vorsicht, aber es besteht kein Grund dafür, Angst zu haben. Da ich zuvor noch nie eine große OP hatte, war mir bis vorhin auch schleierhaft, was eigentlich in einem Aufwachraum (AWR) geschieht. Ich war der Ansicht, es sei einfach nur ein leerer Raum, in denen die Betten mit den noch schlafenden Patient*innen stehen. Doch weit gefehlt! Das Internet klärte mich auf, dass der AWR in Sachen Ausstattung schon fast einer Intensivstation gleicht und die Körperfunktionen (nebst Atmung) konstant überwacht werden. Diese Erkenntnis senkte meinen Puls wieder etwas, nur um gleich wieder in die Höhe zu schnellen, als in einem Paper von besonderen Maßnahmen berichtet wurde, die bis zu 4 Tage nach der Narkose umzusetzen waren, da der Körper so lange REM-Phasen nachholt, die offenbar für Schlafapnoe besonders ungünstig sind. Es mag nun also sein, dass ich die ersten Tage beim Schlafen eine Atemmaske bekommen muss, um die Nachwirkungen der Narkose abzufedern. Tolle Wurst!
All das klingt ziemlich ätzend aber, naja, sagen wir “machbar”. Aber dennoch überkam mich im Abschluss wieder ein Schwall Angst. Todesangst. Gefolgt von unkontrollierten Weinkrämpfen, die nahtlos in ein Lachen übergingen, weil ich meine völlig überzogene Angst vor der Narkose so absurd fand. Das Ganze ging ein paar Mal so und ich glaube, ich sah mir das erste Mal richtig beim Weinen im Spiegel zu. Redete mir gut zu. Sprach mir Mut zu. Versuchte mich zu überzeugen, dass ich das alles schaffen werde – und da bin ich mir tatsächlich auch sicher. Das wird schon alles gut werden. Und all diese Emotionen erscheinen mir ob der Sachlage ziemlich irrational.
Der Umgang mit der Angst
Doch wie sollte ich nun mit all dem umgehen? Je mehr ich über das Thema nachdachte, umso schlimmer wurde es. Die Wende brachten zwei Dinge – meine Learnings für heute:
Als erstes heulte, lachte und erzählte ich einem guten Freund eine Sprachnachricht ins Handy, wonach es mir schon deutlich besser ging. Anschließend begab ich mich auf die Yogamatte und konzentrierte mich die nächsten 45 Minuten nur darauf. Und glaubt mir, wenn beim “halben Kamel” der ganze Körper zu schmerzen beginnt, spielen irgendwelche OP-Sorgen rein gar keine Rolle mehr. Dann geht es ums pure Überleben. 😉
Wie gesagt, nun geht es mir wieder gut, die Emotionen sind so schnell verschwunden, wie sie kamen.
Doch diese heutigen Ereignisse haben mich einige Dinge gelehrt und bestehende Überzeugungen gefestigt: Überbordenden Gefühlen einen Ausdruck zu verleihen, kann das Karussell negativer Emotionen meist durchbrechen. Ob durch Weinen, darüber Reden oder Schreiben, vollkommen egal. Hauptsache, es kommt raus. Und über dies hinaus ist körperliche Aktivität eine gute Idee, da sie nicht nur ablenkt, sondern durch die Bewegung auch aktiv Stress und damit Angstsymptome lindert.
Das sind nun alles wahrlich keine neuen Erkenntnisse, aber manchmal brauche ich nochmal ein reales Beispiel, um es dann doch endlich mal richtig zu begreifen.
“Lampenfieber”
Laut einer Bekannten, die vor Kurzem aus der Klinik entlassen wurde, steigt die Nervosität vor der OP wohl noch weiter an. Na, Prost, Mahlzeit! Ich “freue” mich schon auf die 4 Tage vor der OP, an denen ich die Hormone absetzen muss und meine Emotionen dann wohl noch zusätzlich austicken werden…
Es steht mir also noch eine bewegte Zeit bevor, umso wichtiger, alles organisatorische jetzt schon unter Dach und Fach zu bringen, damit ich mich in eventuellen emotionalen Notlagen nicht auch noch mit Bahnfahrplänen oder solch spannenden Dingen herumschlagen muss.
Ich will das kommende nicht als nervliche Zerreißprobe bezeichnen, aber ich merke schon, wie mein Nervenkostüm dünner wird, je näher der große Tag rückt. Da hilft auch nicht gerade ein von Sorge um mich getriebener Kommentar aus Familienkreisen, “ob das denn jetzt eigentlich überhaupt alles so notwendig sei.” Ja, verdammt! Ist es!!
Wann hört diese Welt endlich auf, uns Transpersonen die Entscheidungsfähigkeit über unsere Identität und unseren Körper abzusprechen, nur weil Cispersonen nicht nachvollziehen können, wie sich das anfühlt?! Diese Ignoranz und mangelnde Empathie macht mich wirklich, wirklich wütend! Aber das ist ein anderes Thema, das ich an dieser Stelle nicht vertiefen möchte.
Jedenfalls ist und bleibt diese OP nunmal eine echt große Sache für mich, die größte von allen! Ein lebenslanger Traum fokussiert sich auf diesen einen Tag, den 18. Januar 2022. Wesentlich weiter denke ich aktuell noch gar nicht, abgesehen von der Nachsorge und freudigen Gedanken über neu gewonnene Freiheiten. Aber davon mal abgesehen, ist der 18. Januar aktuell mein persönlicher Ereignishorizont. Minimal vergleichbare Aufregung kenne ich lediglich von den Wochen vor großen Prüfungen, wie beispielsweise dem Abschluss des Studiums.
Alles ist genau so, wie es sein soll.
Was ich trotz allem aber weiß ist: danach geht das Leben weiter. Es wird positiv verändert sein und nach einiger Zeit wird das Hier und Jetzt und sogar die OP nur noch eine Erinnerung sein. Ein Lebensabschnitt, der mich zu dem Menschen gemacht haben wird, der ich dann sein werde. Und das erfüllt mich dann wiederum mit Hoffnung, Mut und Zuversicht. Weil ich, und da wiederhole ich mich auch gerne, weil ich weiß, wofür ich all das auf mich nehme!
All das ergibt einen tieferen Sinn für mich und ist genau richtig so, wie es ist. Auch die Aufregung, auch die Angst. Denn sie haben eine wichtige Funktion und dafür danke ich ihnen. Denn sie halten mich davon ab, leichtfertige Entscheidungen zu treffen und bestärken mich in dem Willen, diesen Weg zu gehen.
Puh. Ich merke, wie mich dieser Artikel wieder etwas aufgewühlt hat.
Daher: tief einatmen. Und wieder langsam ausatmen.
Namasté.