Nein, keine Sorge. Ich komme nicht frisch aus Vegas nach einer spontanen Blitzhochzeit bei einem Elvis-Imitat. Aber dieses Mädchen hier hat heute ihre erste Hochzeitseinladung erhalten und ist vollkommen aus dem Häuschen!
OH! MEIN!! GOTT!!!
Weißt du, liebes Tagebuch, heute Nachmittag habe ich das gar nicht so recht realisiert, aber so langsam dämmert mir, was für ein riesiges Geschenk ich heute erhalten habe! Ein sehr guter Kollege – ich tendiere zur Bezeichnung „Freund“, obgleich ich damit wirklich seeehr sparsam umgehe – lud mich heute zu seiner Hochzeitsfeier ein!
Ich freute mich natürlich direkt, aber wie gesagt dämmerte mir erst etwas später, was mir das bedeutet. Zum einen ist das meine erste Hochzeitseinladung seit Beginn meiner Transition und allein deswegen etwas besonderes. Außerdem ist es eine wahnsinnig große Geste, dass er an mich gedacht hat, obgleich wir zwar privat viel und vertraulich quatschen, aber allein durch die Distanz der Wohnorte selten bis nie etwas zusammen unternehmen. Zum anderen – und das überwältigte mich gerade emotional total – wurde mir klar, dass mit dieser Einladung ein lange unterdrückter Wunsch und Traum von mir in Erfüllung geht: ich „darf“ für die Hochzeit ein passendes Kleid und Accessoires shoppen gehen, mich für die Feier chic machen und all die Sachen machen, die wir Mädels zu solch großen Anlässen gerne mal machen (Klischee, Klischee, ich weiß).
Klingt das kitschig? Ja, vielleicht. Ist es für andere Frauen in meinem Alter eher banal? Mag sein. Doch für mich bedeutet es unfassbar viel! Ich hatte nie die Gelegenheit, ein Kleid für meine Konfirmation zu kaufen. Oder für meinen Abiball. Oder gar ein Brautkleid zu tragen. Herrenanzüge hasste ich wie die Pest und ich mag sie noch immer nicht. Aber diese tollen Kleider, filigranen Schuhe, hübscher Schmuck und diese ganze festliche Ausstrahlung…jetzt verstehe ich endlich, dass ich all das früher nicht abgelehnt habe, weil ich es schlicht doof und peinlich fand, sondern weil ich mich danach sehnte, auch dazu zu gehören. Auch so sein zu dürfen.
Dass mir der Gedanke an eine Hochzeitseinladung und das damit verbundene Drumherum zusagen würde, war mir schon recht früh in der Transition klar, da die Hochzeitsfeier eines Freundes noch immer im Raum steht, wegen Corona aber bisher nicht stattfand. Doch wie überwältigend dieses Gefühl ist, wenn es denn wirklich so weit ist, hatte ich vollkommen unterschätzt.
Plötzlich sind so viele neue Dinge wichtig!
Wo kann ich ein schönes Abendkleid kaufen? Was ziehe ich überhaupt an? Was ist angemessen für diese Hochzeit, zumal das Brautpaar unterschiedlichen Religionen angehört und ich die Gepflogenheiten teilweise nicht kenne? Wie soll mein Kleid geschnitten sein? Lange Ärmel? Kurze? Wie wird das Wetter? Brauche ich etwas zum Überziehen? Und passende Schuhe brauche ich dann auch! Und passenden Schmuck. Und eine Handtasche. Und am besten einen Termin bei der Kosmetikerin vorher. Und vielleicht kann der Friseur auch meine Perücke stylen?! Und was schenke ich den beiden? Wie werde ich dort angenommen und wie verhalte ich mich möglichst natürlich-dezent-feminin, um als Transfrau der Braut nicht die Aufmerksamkeit zu stehlen? Und…ach ja…meine Kinder sind das Wochenende hier…was ziehe ich den beiden denn an?! Und und und…so viele Fragen… Ich brauche erst einmal eine Nacht, um wieder klar zu kommen. 🙂
Dankenswerterweise habe ich jetzt die Nummer der Braut und kann den ganzen Mädelskram mit ihr klären. Ganz klischeehaft „männlich“ und gleichermaßen irgendwie liebenswert meinte der Bräutigam nur trocken zu mir: „Klär das mal direkt mit ihr, ich bin ’nur dabei‘.“ Wir mussten beide lachen.
Männer… 😀