Na?!? Wer hat die Textzeile aus „Kauf Mich!“ von den Toten Hosen erkannt? 1993 war das. Lang, lang ist’s her. Damals war meine heutige Situation so dermaßen unvorstellbar und nun? Hole ich mir meine „Alltags-Happy-Pille“ auf Rezept aus der Apotheke. Verrückt. Mein Leben lang kam ich ohne regelmäßige Medikation aus, seit der HRT hat sich das logischerweise geändert. Und heute legt die Schulmedizin noch eine Schippe drauf.
Ich hatte es in den vergangenen Beiträgen ja schon angemerkt, dass ich mit meinem Gynäkologen über das Thema Progesteron in Verbindung mit meinem heftigen – nennen wir ihn ruhig so – depressiven Schub sprechen wollte. Heute fand mein Termin statt, vollgepackt mit vielen Themen, die es zu besprechen galt:
Linea Nigra / Östrogenlevel
Ich trug meine Vermutungen und Selbstbeobachtungen in Bezug auf die Linea Nigra, meine krassen Stimmungsschwankungen, Zyklus von Transfrauen und einen möglicherweise zu hohen Östrogenwert vor und erbat ein Blutbild. An sich wollte ich dieses auch direkt als Referenz für die Beantragung der GaOP mit verwenden, aufgrund des zeitlichen Abstandes ergab das aber noch keinen Sinn. Zumindest ein Blutbild zur Kontrolle der aktuellen Hormonwerte wurde angestoßen. Nach dem Hinweis von Dr. Markovsky in München, ich solle vor der OP auch meinen PSA-Wert zwecks späterer Referenz nehmen lassen, schnürten wir die Analyse dieses Wertes direkt mit ins Labor-Mess-Paket. In ca. 2 Wochen weiß ich mehr.
Ein ausführlicheres Statement zu meinen Punkten erhielt ich von meinem Arzt jedoch nicht. Er hörte sich meine Schlussfolgerungen zur emotionalen Situation und körperlichen Fortschritten an, auch in Bezug auf die Linea Nigra. Soweit schien das alles schlüssig zu sein und wenig aufregend. Die Linea Nigra ist definitiv hormonbedingt, da sie mich aber überhaupt nicht stört, sondern eher belustigt, besteht da kein konkreter Handlungsbedarf. Sollte mein Östrogenwert jedoch über 250 liegen, müssten wir wahrscheinlich gegensteuern.
Insgesamt ist es schon massiv hilfreich, einen Gynäkologen zu haben, der viele Transfrauen betreut und entsprechende Erfahrung aufweist. Obgleich ich mir manchmal etwas mehr Feedback von seiner Seite wünschen würde. Doch sein Brummbär-Image scheint er beharrlich pflegen zu wollen. Anyway. Irgendwie mag ich ihn trotzdem.
Progesteron
Auch meine Gedanken und Nachforschungen zum Progesteron in der HRT trug ich vor, verbunden mit der Frage, ob die Progesteronbehandlung in Bezug auf meine Stimmungsschwankungen sinnvoll wäre. Zweiter Vorteil am Rande: es könnte (!) vielleicht-eventuell-möglicherweise-unter-Umständen die Ausformung des Brustgewebes natürlicher (runder) gestalten. Transfrauen tendieren nämlich manchmal dazu, eher spitz geformte Brüste zu bekommen, was mitunter etwas unnatürlich aussieht. Doch darum geht es mir gar nicht so sehr, da ich diese Tendenz an mir nicht wahrnehme. Es ging mir um eine Stabilisierung meiner emotionalen Situation auf hormonellem Level – losgelöst von der seelischen Arbeit an und mit mir selbst.
Da ich meinen Arzt aus eigener Erfahrung und auch schon von Erzählungen anderer Patientinnen als Menschen kennengelernt habe, der recht offen gegenüber Patientenwünschen ist, wunderte es mich keinesfalls, dass er meine Frage nach der Sinnhaftigkeit meiner Überlegungen mit einem banalen „Wir können es ausprobieren“ quittierte und mir wenige Minuten später das Rezept für eine 3-Monatspackung auf den Tresen legte. Krass. Das war ja schon fast zu einfach. Vielleicht lag es aber auch einfach an meinen Ausführungen, meiner vorherigen Recherche des Themas und meiner vorangeschrittenen HRT. Im Anfangsstadium wird nämlich von Progesteron abgeraten, aber mit 10 Monaten bin ich nun auch keine Anfängerin mehr.
Es sei dazu gesagt, dass ich diese Entscheidung für Progesteron keinesfalls leichtfertig getroffen habe. Ich habe im Verlauf der vergangenen Monate und insbesondere in den letzten Tagen nochmal viel dazu gelesen, Für und Wider herausgesucht und für mich Nutzen und Risiko bewertet. Der Punkt ist: es gibt keine Garantie, dass Progesteron mir hilft. Es gibt (Trans-)Frauen, bei denen löst es Depressionen aus, genau das Gegenteil dessen, was ich zu erreichen versuche. Bei anderen bewirkt es wahre Wunder, emotional wie körperlich. Fun Fact: ich habe Berichte gelesen, in denen Progesteron Wechselwirkungen mit Östrogen aufwies und dessen Wirksamkeit teilweise einschränkte. Sollte also mein Östrogenspiegel tatsächlich zu hoch sein, könnte (!) das Progesteron ein gutes Gegengewicht sein.
Könnte, könnte, Fahrradkette…
Die HRT ist ein stückweit ein Puzzle, viel Trial und Error. Jeder Körper ist anders, keine Geschichte von Trans*Personen gleicht der anderen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind rar gesät, widersprechen sich teilweise und sind weit davon entfernt, ein konsistentes Bild abzugeben. Manchmal komme ich mir etwas vor wie ein Versuchskaninchen. Aber bisher läuft das eigentlich ganz gut, auch wenn man über Langzeitwirkungen erst vergleichsweise wenig weiß. Dass die HRT aber nicht unbedingt lebensverlängernd wirkt, dürfte klar sein. Doch lieber lebe ich jetzt noch 40 Jahre glücklich im Körper einer Frau, als 50 Jahre unglücklich im Körper eines Mannes.
Nun, es mag sein, dass ich das Progesteron nach der einen Packung wieder absetze, falls die negativen Seiteneffekte überwiegen oder sich keinerlei Wirkung zeigt. In diesem Fall brauche ich meinen Organismus nicht unnötig mit künstlichen Hormonen belasten, er hat mit dem Östrogen schon genug zu schaffen.
Aber ich höre gerade auf mein Bauchgefühl – und genau wie beim Beginn der HRT, die bisher der größte medizinische Eingriff in meinen Körper war – fühle ich auch hier wieder etwas Gutes: ein „Ja“, Freude, Schmetterlinge. Dann kann das so falsch nicht sein.
Und bis heute bereue ich die HRT keine Sekunde. Selbst, als es mir so mies ging. Es gab keinen Moment, in dem ich mir ernsthaft hätte vorstellen können, die Hormone nicht mehr zu nehmen. Da spielten eher soziale Faktoren eine Rolle. Daher bin ich in Bezug auf das Progesteron auch sehr relaxt und zuversichtlich. Mit ersten Wirkungen ist dann wohl frühestens in 2-3 Wochen zu rechnen.
Schaun mer mal…