Meine Stimme setzt ein. 200Hz. Sie flimmert. Die Luft strömt durch meinen Hals und lässt den Rachenraum vibrieren. Ich versuche mich zu entspannen, mehr in die Kopfstimme zu gehen und das Flimmern lässt nach. “Aaaaaaaaaaa…”

So oder ähnlich beginnen meine Stimmübungen derzeit. Zeitweise ist meine Stimme brüchig und fällt unkontrolliert für den Bruchteil einer Sekunde ab. Ansonsten treffe ich meinen aktuell angepeilten Referenz- und Wohlfühlwert von ca. 200Hz mittlerweile recht zuverlässig, manchmal liege ich auch leicht darüber. Die Übungen beschränken sich auf A’s und U’s, wobei mir die Kopfstimme mit den U’s deutich leichter fällt und die Stimme seltener ausbricht.

Von diesem mittleren Ton folge ich verschiedenen Anweisungen auf meinem Übungsblatt. Mal darf die Stimme nach oben wandern, mal nach unten oder einen Bogen beschreiben.

Heute klappten diese Übungen recht gut. Ich habe meine Motivation wiedergefunden, nachdem ich mich gestern in einen frühen Schlaf flüchtete, um dem unangenehmen Bauchgefühl der tiefen Ablehnung zu entgehen und damit meine Übung zu schwänzen. Du ahnst es schon, liebes Tagebuch, mit ging es gestern überhaupt nicht gut. Dazu komme ich aber gleich.

Die heutigen Stimmübungen hatten einen sonderbaren Effekt auf mich. Zum einen hörte ich mir meine Stimme im Nachgang nochmal an. Ich hatte eine kurze Geschichte vorgelesen und versucht, dabei im femininen Spektrum zu bleiben. Wie im Titelbild des Beitrags zu erkennen ist, habe ich mich einigermaßen gut geschlagen und habe genau die 200Hz im Durchschnitt getroffen. Insgesamt klang meine Stimme noch etwas dünn und zu hart, aber es waren doch vereinzelt weibliche Aspekte zu erkennen, wenn ich die Augen schloss und versuchte, die Stimme auf mich wirken zu lassen. Oh wow!!! Ein Fortschritt! Ein kleiner Fortschritt, aber nach den demotivierenden Erlebnissen der letzten Zeit stimmt mich dieses Erlebnis unweigerlich positiv. Wie sehr habe ich mir diese Entwicklung gewünscht!

Doch das war noch nicht der sonderbare Effekt. Bei meinen A’s und U’s begann nach etwas 10 Minuten Training meine Stimme zu zittern, heftige Emotionen stiegen in mir auf und ich fing an zu weinen. Einfach so. Ohne erkennbaren Grund. Ich weiß auch jetzt noch nicht, was das genau war. Ich war nicht wirklich traurig. Vielleicht erleichtert. Selbst jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe und dabei auf das herbstliche Laub im Garten schaue, stehen mir schon wieder die Tränen in den Augen. Also echt…

Ich muss gestehen, so etwas ist mir neu. Ich möchte ja nicht immer alles auf das Östrogen schieben, aber da dies die einzige Komponente ist, die sich in letzter Zeit geändert hat, läuft es wohl doch wieder darauf hinaus. Es stört mich aber keineswegs. Ich finde es eher schön. Unerwartet, ja. Irritierend, etwas. Aber in Summe gefällt es mir. Jedenfalls ist es 1.000-fach besser als das emotionale Niemandsland eines testosteronverseuchten Körpers. Und irgendwie fühlt es sich einfach lebendiger an.

Männer, wenn ihr wüsstet, was ihr da verpasst…

Kommen wir zu gestern. Ich habe eine Dummheit begangen. Aus Bequemlichkeit und Unlust, meine Situation fremden Menschen erklären zu müssen. Ich hatte einen Termin in der KFZ-Werkstatt. Da aktuell noch alles bzgl. meines Autos auf meinen alten Namen läuft, entschied ich mich dazu, dort doch ausnahmsweise noch als Mann zu erscheinen und mir das Leben etwas einfacher zu machen. Zwar mit roten Fingernägeln, aber so what?!

Doch von Minute zu Minute bereute ich mehr, das getan zu haben. Beim anschließenden Einkauf wurde dieses Unwohlsein noch viel stärker und ich wünschte, ich hätte mich anders entschieden! Mir wurde körperlich richtig schlecht. Bis zur Haustür hielt ich noch irgendwie durch, stellte den Einkauf ab und brach dann in Tränen aus. Das Gefühl ist kaum in Worte zu fassen. Etwas krampfte sich in meinem Bauch zusammen und kochte gleichzeitig. Irgend eine bunte Mischung aus Wut, Hass, Verzweiflung und Trauer. Ich rollte mich auf dem Bett ein und war für eine Weile zu nichts weiter im Stande. Meinen Plan, noch etwas für die Arbeit zu tun, löste sich in Wohlgefallen auf.

Ich wollte – und will es noch immer – dass diese Transition vorbei ist!

An vielen Stellen hörte und las ich, ich solle diese Zeit genießen, es sei etwas ganz besonderes. Ja, das ist es in der Tat. Doch der Genuss hält sich oft in Grenzen. Zu sehr wird mir jeden Tag noch vor Augen geführt, wie äußerlich männlich mein Körper doch noch ist und im Augenblick bereue ich es zu tiefst, nicht als Mädchen geboren worden zu sein. Dafür kann natürlich niemand etwas, aber ich kam nicht umhin, das Universum dafür zu verfluchen, mir das angetan zu haben! Warum?! WARUM?!?

Dieser Schmerz und die Verzweiflung war gestern kaum mehr zu ertragen, so dass ich wieder mal an dem Punkt war, Trans*Menschen zu verstehen, die ihr Leben nicht mehr weiterleben wollen, weil der Schmerz einfach zu groß ist. Keine Sorge, liebes Tagebuch, ich hänge zu sehr am Leben und habe oft genug lernen dürften, dass solche Phasen vorüber gehen. Genau aus diesem Grund blieb ich eingerollt auf dem Bett liegen wartete auf Besserung. Nach einem Nickerchen war das erwartungsgemäß auch der Fall und eine kleine Koch-Session brachte mich wieder auf andere Gedanken.

Natürlich bringen mich solch negative Gedanken und Gefühle nicht weiter. Dennoch sind sie da und verlangen Beachtung. Unterdrückt habe ich sie lange genug in meinem Leben. Offenbar gehört auch das zur Transition, denn auch von anderen Trans*Personen habe ich ähnliches erfahren.

Umso glücklicher bin ich, dass es mir heute wieder besser geht und Fortschritte bei der Stimme erkennbar sind.

Es geht voran. Manchmal geht es einen Schritt zurück, dafür dann aber wieder zwei Schritte vor…

Status Hormontherapie

Neben den oben angesprochenen neuerlichen Stimmungsschwankungen habe ich heute wieder leichte Schmerzen in der Brust. Interessanterweise wandern diese. Vor einigen Tagen waren sie außen, dann mittig, nun eher innen. Da tut sich also was und das freut mich sehr, zumal die Schmerzen gut zu ertragen und nicht allzu stark sind.

Ich schaue auch immer wieder mal auf den ungefähren zeitlichen Ablauf einer HRT…bald sind es zwei Monate. Noch 4 Wochen und viele erwünschte Effekte müssten so langsam einsetzen oder besser sichtbar werden. Brustwachstum, Nachlassen der Körperbehaarung, weichere Haut, etc. Ich kann es kaum erwarten…

 

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