Liebes Tagebuch,
ich habe gerade ein wenig im Gendertreff Forum die Reaktionen auf meine Vorstellung gelesen. Sie haben mich ziemlich getriggert, bin mir aber noch nicht sicher warum.
Vielleicht liegt es daran, dass meine Überzeugung bzgl. meiner Transidentität von einzelnen Personen hinterfragt wurde. Nicht generell, aber mit dem Hinweis auf „mache keinen Wasserfall-Plan“. Den ich ohnehin nicht habe. Agil und so. Es fühlte sich so an, also würden die anderen meine Ausführungen nicht so ganz ernst nehmen. Ich meine, sie sind natürlich weiter auf dem Weg als ich. Keine Frage. Und haben deswegen auch mehr Erfahrung.
Valide ist natürlich der Einwurf, jeden Schritt genau zu reflektieren und neu zu bewerten. Das sehe ich ja auch so. Möglicherweise klang ich zu euphorisch, ich weiß es nicht. Aber es ist ja nicht so, dass ich nicht zweifeln würde und den Plan von A – Z hätte. Den gibt es auch nicht. Daher habe ich auch erstmal das Beratungsgespräch bei der Transberatung in Düsseldorf vereinbart.
Aber irgend etwas wirft mich dennoch gerade aus der Bahn. Wieso verunsichert mich das so? Weil ich mich falsch / nicht verstanden fühle? Oder in die Defensive gedrängt? Warum zweifelt man an meiner Wahrnehmung? Tut man das überhaupt?
Ich kann nicht sagen warum, aber ich habe gerade nicht übel Lust, alles hinzuschmeißen. Kann aber nicht sagen, warum. Wo ich mir doch so sicher bin. Oder glaube, sicher zu sein. Bin ich es am Ende doch nicht? Warum lasse ich mir Zweifel einreden? Ist es die Kritik an meiner vermeintlichen Methode, die ich so nie geäußert habe, aber offenbar falsch verstanden wurde?
Was mache ich falsch?! Was übersehe ich?
Der Satz meines Onkels bzgl. „Du schaffst dir eine Sonderrolle durch Expertenstatus im Job“ in Bezug auf agiles Projektmanagement beschäftigt mich auch in diesem Kontext. Versetze ich mich durch die Transidentität wieder in einen Sonderstatus, der dann irgend einen wie auch immer gearteten Nutzen für mich hat? Ich wüsste nicht welchen. Denn der Transgenderweg ist schon jetzt alles andere als witzig. Wenn auch befreiend wie sonst nichts.
Diese Befreiung spüre ich gerade aber nicht mehr so deutlich. Ja, ich habe hier im Urlaub (wir sind heute auf dem Ferienhof angekommen) meinen dezenten Nagellack drauf und denke schon fast nicht mehr dran. Ich habe auch meine Damenunterwäsche an und denke nicht mehr groß daran. Es ist in sich stimmig. das halte ich für eine gute Entwicklung und das befreit mich ein stückweit.
Aber diese Kommentare im Forum bzgl. „wie stellst du dir denn bitte den Alltagstest vor? Erst eine fertige Frau sein, dann rausgehen?“ haben mich tief getroffen. Obwohl sie nicht der Wahrheit entsprechen. Das ist ja überhaupt nicht meine Vorstellung des Ganzen. Sondern kleine Schritt. Wie bei Scrum. Inspect & Adapt. Reflexion.
Ich weiß, dass ich ein großes „JA“ zum Thema Beratungsgespräch fühle.
Ich spüre auch ein großes „JA“ zu den entfernten Körperhaaren.
Vor einer GaOP (geschlechtsangleichenden Operation) habe ich Respekt, aber sie verspricht mir die Erfüllung meines ewigen Traumes.
Ich bin verwirrt.
Ich suche gerade Bestätigung. Und habe sie anfangs auch bekommen. Und nun weht mir Gegenwind ins Gesicht. Will ich deswegen nun wirklich hinschmeißen? Wegen ein paar Menschen, die mich nur aus ein paar Zeilen Intro-Text kennen und sonst nicht? Weil sie mir nicht ihren Segen gegeben haben? Ne, oder?!
Aber ich merke, dass ich diese Art von Kommentaren nicht hören möchte. Zumal ich derlei Dinge („mache keinen Wasserfall-Plan“) ohnehin schon durchdacht habe.
Ich spüre mich gerade nicht mehr.
Im Forum erhielt ich den Tipp, einen ersten irreversiblen Schritt auf eigene Kosten zu wagen: das Lasern der Barthaare. Und dann zu schauen, wie es mir damit geht. Klingt nach einer guten Idee, obwohl ich keinen Schimmer habe, was das kostet. Wenn ich mich nicht mehr rasieren müsste…wie geil wäre das denn bitte? Immer glatte Haut im Gesicht. Verlockend. Viel weiblicher!
Ich denke darüber nach. Es wäre ein weiterer Schritt. Und wenn sich meine Transidentität bestätigt, hätte ich schon mal vorgearbeitet.