Anfang August erhielt ich eine Interviewanfrage zu meinem Mini-Spaß-Projekt „Queere Küche mit Julia Kalder“ und sagte voller Neugier zu. Klar, das würde ein Spaß werden, über dieses bunte Werk zu berichten. Mit den heftigen Reaktionen auf den Artikel in der Frankfurter Rundschau hatte ich jedoch nicht gerechnet. In diesem Artikel möchte ich euch schildern, wie aus einem vermeintlich spaßigen Projekt eine Herausforderung wurde und welche Gefühle das in mir ausgelöst hat.
Südengland, 31.07.2024. Es ist etwa 20 Uhr Ortszeit, als ich in der Küche der Familie meiner Schwester sitze und die Interviewanfrage eines freien Autors erhalte, der für Ippen Medien (Frankfurter Rundschau, Buzzfeed News, Münchner Merkur) über das Thema „Queer Food“ berichten möchte. Bei seiner Recherche war er auf mein buntes Kochbuch gestoßen und wollte sich in seinem Artikel darauf beziehen.
Das Kochbuch war ursprünglich nur ein kleines Nebenprojekt für meinen Adventskalender 2022, das ich aus Spaß im Selbstverlag veröffentlicht habe. Teil der Geschichte ist aber auch, dass ich ein paar Menschen mit diesem Buch eine große Freude machen konnte und zahlreiche Rezepte nachgekocht und für gut befunden wurden. Auch ich nutze es immer mal wieder, wenn mir nach etwas Farbe in meiner Küche ist. Darum liegt mir dieses Buch schon irgendwie am Herzen.
Es war jedoch nie als Teil des „Queer Food“ Trends gedacht, der scheinbar aktuell aus den USA zu uns herüberschwappt. Von „Queer Food“ hatte ich zum Zeitpunkt der Entstehung ohnehin noch nie etwas gehört. Dennoch erschien es mir eine willkommene Gelegenheit zu sein, in dem Interview auch auf die Lage queerer Menschen hinzuweisen und für Akzeptanz und Offenheit zu werben. Für mehr Farbe und Vielfalt in unserer Gesellschaft. Dass der Aufhänger dafür nun mein Buch war – Zufall. Aber sei’s drum.
So nahm ich mir eine Stunde Zeit und beantwortete gewissenhaft die Fragen des Autors und freute mich auf das Endergebnis. Nichtsahnend, in was für ein Wespennest ich da unwissentlich gestochen hatte.
Zeitsprung. Oktober 2024. Vor ein paar Tagen.
Pling. „Ein Beitrag von dir wurde kommentiert“, verkündet mir Instagram. Ein Post, den ich letztes Jahr über meine Brust-OP veröffentlicht hatte, war übergriffig und anfeindend kommentiert worden. Das passiert schon mal, wenn man als queere Person im Internet sichtbar ist. Unschön, aber leider die Realität da draußen. Blockieren, melden, löschen. Tschüss. Thema erledigt. Dachte ich.
Pling. „Queer Food / Interviewanfrage“, leuchtet es mir in meinem E-Mail-Postfach entgegen. Schon wieder? Ein Herr vom Overton Magazin, das mir persönlich nach kurzer Recherche nicht so vorkommt, als würde es meine persönlichen Werte teilen, hatte offenbar mein Interview gelesen und fragte frei heraus: „Ich habe über Sie in der Frankfurter Rundschau gelesen (…). Das Thema interessiert mich. Wären Sie bereit, mit mir ein kleines schriftliches Interview für unser Magazin zu machen?“
Ich war einigermaßen irritiert. Ich hatte das Interview schon ganz vergessen und mir war nicht bewusst, dass es bereits veröffentlicht worden war. Zumal mir zugesagt worden war, mich über dessen Publizierung zu informieren. Anyway, ich googelte, fand und las.
Nun bin ich keine ausgebildete Journalistin, aber als geneigte Konsumentin erschien mir der Artikel ganz subjektiv betrachtet doch etwas dünn und wurde dem, was ich in meinem Interview hatte transportieren wollen, so gar nicht gerecht. Zwecks Vergleich füge ich das Interview und mein original eingereichten Text am Ende des Artikels bei, falls ihr euch tiefergehend damit befassen mögt. Den blockierten Kommentar vom Vortag im Kopf, scrollte ich zu den Kommentaren und fand nur offene Ablehnung, Anfeindung und Lächerlichkeit. Ich hörte auf zu lesen, denn jedes Wort ließ meine Laune düsterer werden. Im Zuge der Recherche für diesen Artikel ließ ich ChatGPT alle Kommentare durchforsten und zusammenfassen, damit ich das nicht alles lesen musste. Hier seine Kurzfassung:
Skepsis gegenüber dem Konzept „queere Küche“: Mehrere Kommentare hinterfragen den Sinn oder die Notwendigkeit eines spezifischen Begriffs wie „queere Küche“. Es wird angemerkt, dass Essen nicht nach sexueller Orientierung kategorisiert werden sollte, und einige Kommentatoren empfinden das Konzept als unnötige Ausgrenzung oder als Marketingstrategie.
Ablehnung der LGBTQ+-Thematik: Viele der Kommentare äußern eine deutliche Ablehnung gegenüber der LGBTQ+-Bewegung. Es wird oft das Gefühl vermittelt, dass die Bewegung zu viel Aufmerksamkeit fordert oder versucht, den öffentlichen Diskurs zu dominieren. Manche empfinden es als „aufdringlich“ oder als Versuch, anderen eine Meinung aufzuzwingen.
Unterstellungen von Kommerzialisierung: Einige Kommentatoren glauben, dass „queere Küche“ lediglich eine Marketingstrategie sei, um mehr Geld zu verdienen, indem ein Trend ausgenutzt wird, ohne wirklichen Mehrwert zu bieten.
Ironische bis spöttische Kommentare: Es gibt auch ironische oder spöttische Kommentare, die das Konzept der queeren Küche lächerlich machen und sich darüber lustig machen, dass es sich um eine unnötige Modeerscheinung handelt.
Ich kehrte zu meinem E-Mail-Postfach zurück und sagte das zweite Interview ab. Nicht zuletzt nach der Recherche über den Autor vom Overton Magazin schwante mir, dass ich im Begriff war, da in eine polemische und zunehmend politisierte Scheindebatte eingesogen und dort verheizt zu werden. Das wurde mir sprichwörtlich zu heiß.
Pling. „UserXYZ möchte dir eine Nachricht senden“, verkündet mir Instagram freudig etwas später am Tag. Ich las. Denn oft sind liebe Kommentare dabei. Doch es war ein direkter Bezug auf meinen Post, in dem ich 2022 mein Kochbuch vorgestellt hatte. Offenbar sorgte mein Interview für Aufmerksamkeit. LGBTQ*-feindlich, abwertend, übergriffig. Einfach mal kurz in meinen Posteingang gekotzt. Blockieren, melden, löschen. Tschüss. Thema erledigt. Dachte ich. Oder doch nicht?
Nun stand ich da, mit ambivalenten Gefühlen. Getroffen von der Ablehnung und den offenen Anfeindungen im Netz, die Menschen wie mir teilweise das Existenzrecht abzusprechen versuchen. Oder sie drehen uns die Worte im Munde herum, wenn wir einfach nur für die gleichen Rechte kämpfen, die alle anderen Menschen in diesem Land auch genießen. Von wegen „öffentlichen Diskurs dominieren“. So etwas macht mich sprachlos und wütend. Und es ängstigt mich, da es zeigt, dass der sichtbare Einsatz für LGBTQ*-Rechte im Netz auch zur Zielscheibe machen kann.
Jetzt stand ich heute Abend vor der Frage, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Aussitzen? Das Internet ist schnelllebig. In die Defensive gehen und es beim Blockieren und Melden bewenden lassen? Der Teil in mir, der nach Sicherheit strebt, nickte heftig mit dem Kopf. Doch ein anderer, großer Anteil in mir, schrie empört auf. Und zwar der Teil, der als Kind in der Schule gemobbt und angefeindet wurde, weil er anders als die anderen war. „Nie wieder!“, fauchte es wütend in mir. Ich konnte nicht einfach zurückweichen und diesem Hass den (virtuellen) Raum überlassen. Schweigen hat noch nie geholfen.
Und darum lest ihr nun diesen Artikel. Weil ich nicht schweigen möchte. Weil ich öffentlich machen möchte, womit queere Menschen umgehen müssen und welchen Anfeindungen wir tagtäglich ausgesetzt sind, nur, weil wir existieren. Seht hin und wenn euch danach ist: empört euch und macht ebenfalls den Mund auf, wann immer es angebracht erscheint.
Wisst ihr, was seltsam ist? Nachdem ich die Nachrichten bei Instagram blockiert und gemeldet hatte, bekam ich einen Einfall. War das überhaupt schlau gewesen? Blockieren ist ein sehr rigoroser Akt der Abgrenzung und des Selbstschutzes und an sich auch vollkommen okay. Aber ist es nicht immer mein Anliegen gewesen, Menschen in den Dialog zu bringen? Wie kann ich von der Gesellschaft erwarten, mehr aufeinander zuzugehen, anstatt sich zu spalten und zu streiten, wenn ich das selbst genauso mache? Dieses Blockieren war ein Akt der Spaltung, damit habe ich eine mögliche Brücke von vornherein verhindert. Was wäre gewesen, wenn ich auf die Menschen zugegangen wäre, mich für ihre Sichtweise interessiert, den Dialog gesucht hätte? Selbst, wenn ich vollkommen anderer Meinung bin?
Das mag verrückt klingen, aber noch während meine Transition schrieb ich auf einer Dating-Plattform kurz mit jemandem Internet, der sich offen als rechtskonservativ bezeichnete. Es war von Anfang an klar, dass wir niemals zusammen passen würden, aber er behandelte mich mit Anstand und verneinte nicht meine Existenz. Daraus entstand ein konstruktiver Austausch, ohne in Hass und emotionale Gegenrede zu verfallen. Es war klar, dass wir beide an verschiedenen Enden des politischen Spektrums agierten, dennoch war dieser kurze Chat eine klitzekleine Brücke. Dieser Moment blieb mir im Gedächtnis, denn er zeigt, dass trotz riesiger Differenzen ein Dialog möglich sein kann.
Warum also nicht auch in diesem Fall? Freilich stellt sich die Frage, ob ich meine Lebenszeit darauf verwenden möchte, solche Gespräche zu führen, die womöglich auf keinerlei Gegenliebe stoßen. Und eigentlich ist mir meine Zeit dafür zu schade. Andererseits … irgendwer muss doch in diesen verrückten Zeiten mal einen ersten Schritt auf den anderen zu machen. Sonst schlagen wir uns bald alle verbal oder real die Köpfe ein. Kein besonders verlockendes Zukunftsszenario.
Nennt mich idealistisch, aber trotz allem sehe ich einen Funken Hoffnung. Und genau darum darf ich nicht schweigen.
Alles Liebe,
eure Julia