Pferd und Frau

Zu Beginn meiner Hormontherapie eröffnete man mir, meine Interessen würden sich dadurch im Laufe der Zeit ändern. Dieser Tage erweist sich diese Aussage erneut als wahr – auf völlig unerwartete Art und Weise.

Ihr Lieben,

diese Zeilen zu verfassen, fällt mir wieder einmal unheimlich schwer. Es kostet mich viel Kraft, einen klaren Gedanken zu halten und ihn einigermaßen wohlformuliert niederzuschreiben. Bald nehme ich das Venlafaxin (Antidepressivum) einen Monat lang und es setzt scheinbar eine gewisse Wirkung ein. Nicht unbedingt die, die ich haben möchte, aber eine Wirkung.
Meine mit Beginn der Hormontherapie gewonnene Breite an Emotionen, ist in etwa auf das vorherige Maß zusammengeschrumpft, was alles irgendwie trist und bedeutungslos erscheinen lässt. Ich existiere und funktioniere mal mehr und mal weniger, aber ich fühle das Leben nicht mehr. Aus meinem neuen Bunt wird ein diffuses Grau. Das gefällt mir nicht, zumal dieser Umstand mich von meiner inneren Quelle abgeschnitten hat, die beim Schreiben immer fröhlich vor sich hin geblubbert hat. Aktuell hätte ich wahnsinnig viel Zeit, um an meinem Buch zu arbeiten, doch vor einigen Tagen saß ich lediglich eine ganze Weile vor dem Bildschirm und starrte ihn mit leerem Blick an. Doch dies nur zu Erklärung, warum ich im Augenblick so wenig schreibe und weshalb mir dieser Artikel so schwer fällt.

Doch gestern gab es wortwörtlich einen großen Lichtblick, der mir am Ende sogar Schmetterlinge in den Bauch zauberte. Über Umwege und das Thema „Führung“ kam ich mit Pferden in Berührung – das Mädchenthema schlechthin. Mir wurde angeboten, eine Bekannte zu ihrem Pferd zu begleiten und dieses wundervolle Geschöpf verstehen zu lernen. Zwar investierte ich in meiner Kindheit, wann immer wir im Familienurlaub in Bayern waren, einen Großteil meines Taschengeldes in einen gelegentlichen Ausritt mit einem Pony (immerhin 8 Mark kostete die große Runde von etwa 20 Minuten), doch führte ein Zwischenfall dazu, dass ich gehörigen Respekt vor diesen sanften Riesen bekam: da der Reitweg durch ein von Bremsen verseuchtes Gebiet führte, wurde nicht nur ich, sondern auch mein Pferd ordentlich gestochen. Es wurde plötzlich unruhig und galoppierte los – mit mir auf dem Rücken. Einigermaßen panisch brachte ich es irgendwann zum Stillstand und glücklicherweise wurde niemand verletzt. Dennoch saß der Schreck so tief, dass ich fortan einen großen Bogen um diese Tiere machte, weil ich sie für unberechenbar hielt. Ich verlor mein Interesse daran. Außerdem wäre ich ohnehin niemals auf die Idee gekommen, ernsthaft Reiten zu lernen. Sowas machten sowieso nur die Mädchen und zur damaligen Zeit hätte ich mich damit noch mehr ins Abseits geschossen, als es ohnehin schon der Fall war.

(M)Ein Herz für Pferde

Gestern jedoch änderte sich einfach alles – ich habe mein Herz verschenkt. An Spirit. Ich lernte diesen tollen Braunen vorsichtig kennen. Wir beschnupperten uns zunächst etwas zurückhaltend, aber interessiert. Meine Bekannte erklärte mir 1.001 total spannende Dinge über Pferde, ihr Sozialverhalten, ihre Physiologie, ihre Pflege und beantwortete mir geduldig all meine Fragen. Ich sog alles auf wie ein Schwamm. Anschließend gingen wir eine gute Stunde mit unserem tierischen Freund spazieren und nach kurzer Zeit durfte ich ihn führen – eine der lehrreichsten Zeiten für mich seit langem. Ich erkannte, wie sensibel Pferde sind und wie Spirit auf kleinste Veränderungen meiner Haltung, Stimme oder Aufmerksamkeit ihm gegenüber reagierte. Ja, ich bin hochsensibel. Pferde sind höchstsensibel, es ist unbeschreiblich. Und Spirit forderte mich in Sachen Klarheit und Führung wirklich heraus. Lange testete er seine Grenzen um herauszufinden, wer von uns ranghöher sei. Dank meiner tollen Lehrerin schien er meine Rolle als „Leitstute“ dann aber nach einer Weile anzuerkennen und „etwas“ entstand zwischen uns.

Nach gut zwei Stunden war unser Kennenlernen nach ausführlichem Striegeln, Bürsten und wohligem Schubbern dann leider schon vorüber, doch es hatte sich etwas verändert. Zwischen Spirit und mir und in mir selbst. Anfänglich durfte ich ihn nicht anfassen, am Ende standen wir aber einen langen Moment Stirn an Stirn und ich verspürte eine tiefe Verbundenheit mit ihm (siehe Foto weiter unten). Frieden und Ruhe breitete sich in mir aus, die sich auch auf ihn übertrug. Ohne Wertung, ohne Vorurteil. Einfach nur zwei Wesen in stiller Zweisamkeit. Einfach unbeschreiblich schön.
„Er ist ein wahrer Herzensbrecher“, sagte meine Bekannte. Oh ja! In diesen zwei Stunden habe ich mich verliebt. In Spirit und in Pferde allgemein. Hinfort geblasen wurde meine Angst. Das Gefühl von Unberechenbarkeit wich einem gewissen Basisverständnis der Pferdesprache und auch der Erkenntnis, dass ich im früheren Umgang mit Pferden so manchen Fehler aus Unwissenheit begangen hatte. Es war Magie!

Vor meiner Transition wäre ich niemals auf die Idee gekommen, mich näher mit Pferden zu befassen. Zwar wurden meine Töchter bereits früh mit dem Pferdevirus infiziert, doch bis vor ein paar Monaten fehlte mir der Zugang dazu. Gestern hingegen wurde eine neue Tür aufgestoßen und mein Gynäkologe behielt wieder einmal Recht: meine Interessen verändern sich weiterhin und ich suche nun aktiv nach einer Möglichkeit, Reitunterricht zu nehmen und irgendwann möglicherweise eine Reitbeteiligung zu finden.

Pferde bedeuten natürlich viel Verantwortung, Zeit- und auch finanziellen Aufwand. Doch diese Verbundenheit, die ich gestern spüren durfte, ist besser als jede Meditation. Ich kam innerlich zur Ruhe. Mein Herz öffnete sich und für eine Weile schien meine Depression leicht wie eine Feder zu sein. Denn es gab nur uns zwei Pferdemädchen und Spirit. Umgeben von Regen, großen Pfützen und Matsch, doch das kümmerte mich nicht, obwohl ich es üblicherweise nicht leiden kann, mich schmutzig zu machen oder mich nass regnen zu lassen. In diesem Moment jedoch spürte ich mich wieder selbst und die dunkle innere Leere wich etwas Bedeutsamen. Spirit hat mir wieder neues Leben eingehaucht. Spirit eben. Geist. Seele.

Folgendes Foto kommentierte eine Freundin später mit „Ein Pferdemädchen 🥰“:

Spirit und Julia

Julia, das Pferdemädchen. Ja, an diesen Gedanken könnte ich mich gewöhnen.

Dass mich meine Transition einmal an diesen Punkt führen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber es fühlt sich richtig und gut an. Es ist eine ganz besondere Art von Liebe, die mich im Augenblick sehr erfüllt und mich trotz gedämpfter Emotionen schmunzeln lässt. Und dass meine Töchter diesen Umstand energisch abfeiern, steht ja wohl außer Frage… 🙂

Danke, Spirit! Danke, du wunderbares Zauberwesen. Du hast mein Herz erobert.

Alles Liebe euch allen und spezielle Grüße an alle Pferdefreund*innen da draußen,
Julia

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