Ein Erlebnis beim Reiten heute hat mich innerlich sehr verletzt und eine Frage aufgeworfen, auf die ich spontan keine Antwort wusste. Und da ich mir vorstellen kann, dass einige von euch schon vor einer ähnlichen Frage standen, würde ich mein Erlebnis und die Suche nach einer Antwort gerne in diesem Beitrag mit euch teilen.
Ihr Lieben,
was für ein verkorkster Tag heute vor mir liegen würde, wusste ich heute früh noch nicht, als ich mit Jogging-Muskelkater aus dem Bett kroch und mich für meine Reitstunde einkleidete. Vielleicht war das besser so, sonst wäre ich wahrscheinlich wieder unter die Decke gekrochen.
Elvis und ich
Doch wusste ich es nicht und so begrüßte mich kurze Zeit später mein liebstes Schulpferd Elvis mit einem sanften Nasenstubser im Stall – ich könnte ihn den ganzen Tag knuddeln! Außerdem ist der das wohl reinlichste Pferd auf dieser Welt, ihn zu putzen gleicht daher eher einer gemütlichen Massage als einer wirklichen Dreckbeseitigung. So weit lief also alles in entspannten Bahnen und Elvis und ich schickten uns an, uns vor der Reitstunde in der Halle schon mal ein bisschen warm zu reiten.
Wenig später begann der Unterricht und wir setzten die Arbeit an unserem Trab fort. Ein hartes Stück Arbeit möchte ich sagen. Denn seit Wochen komme ich in diesem Punkt in Sachen Körperhaltung, -spannung und entsprechender Hilfengebung im Trab nicht weiter. Wobei es schon Tage gab, an denen es deutlich besser geklappt hatte, als heute. Das wäre auch alles nicht so tragisch gewesen, denn schließlich haben wir alle mal solche Tage.
Der Vorfall
Allerdings kam dann jener Moment, der mich fast aus dem Sattel gerissen hätte, hätte er mich nicht kurz sprachlos gemacht. Da ich mich mit der gleichzeitigen Koordination von Schultern, Kopf, Oberkörper, Hüfte, Oberschenkeln, Waden, Fußspitze, Hacke, Gleichgewicht, richtigem Sitz, Treiben, Zügeln und Rhythmus (hab ich was vergessen?) heute eher schwertat und mich überfordert fühlte, tönte mir in etwa dieser Spruch entgegen: „Na, in diesem Punkt bist du aber ganz schön Mann„. Gefolgt vom wissenschaftlich höchst fragwürdigen Klischee, dass Frauen gegenüber Männern ja deutlich multitaskingfähiger wären. Von wem diese Aussage kam, ist unwichtig.
Gerade als Elvis und ich irgendwo zwischen Punkt K und A in der Halle unser heute Bestes gaben, einen halbwegs sauberen Trab aufs Parkett zu legen, durchbohrte mich innerlich ein Schmerz und riss längst (zumindest halbwegs) verheilt geglaubte Wunden wieder auf. Mir quollen die Tränen in die Augen, doch ich unterdrückte sie, um nicht doch noch zum Pferd zu fallen. Aber diese Aussage nagte an mir, wie eine der ansässigen Hof-Ratten auf versehentlich fallen gelassenen Futter-Pellets, wenn gerade keine Katze hinschaut. Und obgleich ich wusste, dass diese Person das überhaupt nicht böse oder verletzend gemeint hatte, bohrte sich die Aussage weiter in meinen Kopf.
Der Rest der Stunde verlief nicht sonderlich erfolgreich, wie ihr euch vielleicht denken könnt. Und einige Male wäre ich am liebsten abgestiegen, weil mir einfach nichts so recht gelingen wollte. So war ich dann auch froh, als ich Elvis am Ende der Stunde erst einmal schweigend zum Absatteln bringen konnte. Mir war nicht nach Reden. Nur eins wurde mir wieder einmal klar: Elvis würde mir nie so etwas an den Kopf werfen. Tiere generell nicht. Tiere machen sowas nicht. Ein Grund, warum ich mit Tieren besser klarkomme, als mit den meisten Menschen. Elvis ist ehrlich und direkt. Und in diesem Moment für mich da. Ich durfte ihn kurz kuscheln, nahm mir aber vor, diesen Spruch nicht auf mir sitzen zu lassen. Denn dann würde er sich immer weiter in mich bohren und mir weh tun.
Aussprache
Und so sprachen wir uns aus. Im Laufe dieser Aussprache stellte mir diese Person dann die Frage:
Warum hat dich das so sehr verletzt?
Ich wusste spontan keine Antwort. 1.000 Dinge schossen mir durch den Kopf, ich hätte einen Vortrag halten können. Aber eine halbwegs prägnante Antwort blieb mir im Halse stecken, als mir die Tränen kamen und die Stimme versagte. Ich wurde in den Arm genommen, meine Stimme fand zu mir zurück, doch die Antwort blieb ich schuldig.
Bis jetzt trage ich diese Frage in mir und suche nach dem wahren Grund für meine Verletzung, bekomme ihn aber nicht so ganz zu greifen. Das mag auch daran liegen, dass der restliche (Arbeits-)Tag ebenfalls ein ziemlicher Reinfall für mich war, aber was hatte ich auch erwartet? Es gibt halt solche Tage.
Warum hat mich das so verletzt?
Als Vorbereitung auf diesen Beitrag habe ich mich vorhin unter anderem mit ChatGPT darüber unterhalten, um meine diffusen Gefühle zu dem Erlebnis zu sortieren und besser zu verstehen. Denn schließlich möchte ich euch am Ende dieses Artikels auch eine Erkenntnis mit auf den Weg geben. Durch viele Tränen hindurch wurde mir klar, wie dünn das Eis doch ist, auf dem ich mich manchmal in meinem nicht mehr ganz neuen Leben als Frau bewege. Oder anders gesagt: wie tief die Wunden und Verletzungen doch sind, die 39 Jahre Versteckspiel und Selbstverleugnung in mir angerichtet haben.
Das Gefühl der Scham. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, weil ich anders bin als alle anderen. Der Selbsthass auf den eigenen Körper und das Leben, das mir diesen Weg vorgezeichnet hat. Die Angst, dass all das, was ich mir in den Jahren der Transition so hart an mir erarbeitet habe, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen könnte. Dass daraus wieder eine Depression erwächst, das große Dunkel in mir wieder wächst und mir mit gespaltener Zunge zuraunt: „Du Schauspielerin! Deine Gene lügen nicht und auch wenn alle um dich herum so tun, sie wissen ganz genau, wer du bist und was du mal warst.“
Ich habe so viel investiert, so viel gekämpft, um heute die Frau sein zu können, die ich bin. Wird das meine Biografie verändern? Nein, sicherlich nicht. Und das soll es auch gar nicht. Aber ich habe heute gemerkt, dass meine Angst, nicht als ich selbst angenommen zu werden – wieder nicht dazuzugehören, einfach weil ich bin, wie ich bin – noch immer sehr real ist. Und ganz selbstkritisch muss ich auch eingestehen, dass ich mit mir selbst noch lange nicht im Reinen bin, auch wenn meine Transition bald 2 Jahr zurückliegt. Denn wäre dem so, hätte mich dieser Spruch heute sicherlich weniger tangiert.
Mehr Respekt, weniger Misgendern
Dennoch glaube ich – und darauf möchte ich explizit hinweisen – dass es viele trans Personen ähnlich geht. Wenn sie misgendert werden. Wenn ihr alter Name verwendet wird. Oder eben, wenn ihnen Eigenschaften des anderen Geschlecht zugeschrieben werden, mit dem sie sich nicht identifizieren. Das ist einfach super respektlos.
Ich habe über die Jahre mit genug anderen trans Personen gesprochen, um zu wissen, dass das Leben vor, während und manchmal auch nach der Transition sehr, sehr schmerzhaft sein kann, wenn es um den Umgang der Gesellschaft mit transidenten Menschen geht. Und dabei spreche ich noch nicht einmal von der Marginalisierung oder gar offene Bedrohung von uns als Minderheit durch rechte oder erzkonservative Menschenfeinde. Das wäre noch ein ganz anderes Thema. Nein, ich spreche vom ganz alltäglichen Umgang in unserem Umfeld.
Egal ob aus Versehen oder mit Absicht: solche Aussagen verletzen. Manche mehr, manche weniger. Und bevor ihr fragt oder genervt die Augen rollt: nein, wir sind keine rohen Eier, die mit Samthandschuhen angefasst werden müssen, die keinen Spaß oder mal einen markigen Spruch verstehen können. Keineswegs. Für einige von uns – und ich schließe mich da mit ein – ist der Gesamtzustand „Transidentität“ jedoch im wahrsten Wortsinn traumatisch vorbelastet und ich wage es nicht zu prognostizieren, ob diese Wunden jemals ganz verheilen können.
Mentale Pflaster
Ich für mich versuche noch immer, damit gut und gerne zu leben, ohne darauf reduziert zu werden (oder mich selbst zu sehr darauf zu reduzieren). Und hey, meistens klappt das echt ganz gut, weil die mentalen Pflaster zuverlässig kleben. Aber an Tagen wie heute kann eine grobe Spitze – egal wie sie gemeint ist – ein Pflaster ohne Vorwarnung ab- und eine alte Wunde aufreißen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass ich am Ende dieses Tages keinen Groll hege. Denn dank offener Aussprache lassen sich Dinge schnell aus der Welt schaffen.
Was für mich jedoch bleibt, ist die Erkenntnis, mit meiner ungewollten Vergangenheit doch noch nicht den Frieden geschlossen zu haben, den ich mir bisweilen an guten Tagen zugestehe. Work in progress.
Passt auf euch auf, ihr Lieben,
eure Julia

