Haartransplantation: Das Ende des Widerspruchs

Aktenschrank

Der Widerspruchsausschuss meiner Krankenkasse hat getagt, beschlossen und verkündet. 

Wir erinnern uns: irgendwann 2022 beantragte ich die Kostenübernahme für meine Haartransplantation, war mir aber durchaus bewusst, dass die Chancen dafür eher schlecht stehen, denn meinen vorherigen Recherchen im Netz hatten ergeben, dass selbst zahlreiche Klagen gegen die Krankenkassen erfolglos geblieben waren.

Dennoch versuchte ich mein Glück, erhob Widerspruch gegen die Ablehnung, wiederholte meinen Widerspruch mit nachdrücklicher Begründung, so dass das Verfahren vom Widerspruchsausschuss der Krankenkasse besprochen werden musste. Das geschah vergangene Woche dann endlich.

Das Ergebnis bleibt – erwartungsgemäß – das gleiche und ich bleibe auf den Kosten für die Haartransplantation sitzen. Schade Schokolade.

In der länglichen Begründung heißt es:

(…)

Der Widerspruchsausschuss ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
Dem Widerspruch wird nicht abgeholfen.

Die im Widerspruchsverfahren ggf. entstandenen notwendigen Aufwendungen werden nicht erstattet.

Entscheidungsgründe

Die Angelegenheit wurde eingehend geprüft mit dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden kann.

I.
Sie beantragten, dass die Kosten für eine Eigenhaartransplantation getragen werden. Die Krankenkasse konnte Ihrem Antrag nicht entsprechen. Dieser Entscheidung haben Sie widersprochen und Ihre Gründe hierfür dargelegt.

II.
Aus den folgenden Gründen konnte die Krankenkasse dem Anliegen leider nicht entsprechen.

Die Krankenkassen stellen den Versicherten nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) die im dritten Kapitel des SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Die gesetzlichen Krankenkassen können nicht frei darüber entscheiden, welche Leistungen sie erbringen dürfen. Der Gesetzgeber hat nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt, dass der Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zu beschreiben ist. Alle Leistungen, die im EBM aufgeführt sind, dürfen die gesetzlichen Krankenkassen erbringen.

Leistungen hingegen, die nicht im EBM enthalten sind, gelten als sogenannte “neue Untersuchungs- und/oder Behandlungsmethoden” und dürfen nicht getragen werden. Dieser Leistungsausschluss greift mit Hinweis auf § 135 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit den §§ 87 Abs. 5b und 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V solange, bis der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien eine Empfehlung für diese Methode abgegeben hat, die Richtlinie rechtskräftig wird und der EBM spätestens innerhalb von 6 Monaten nach deren Rechtskraft angepasst wurde.
Der G-BA kann in diesen Richtlinien dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen. Das erfolgt insbesondere dann, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind.
Eine Ausnahmemöglichkeit kann sich nur aus § 2 Abs. 1a SGB V ergeben. Demnach können
Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer
zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung unter bestimmten Voraussetzungen eine
von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen.

Dies kann dann der Fall sein, wenn für die Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Die Krankenkasse erteilt für solche Leistungen vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) festgestellt.

III.

Sie haben eine Eigenhaartransplantation beantragt. Dabei handelt es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der G-BA noch keine Empfehlung ausgesprochen hat. Kosten dafür dürfen deshalb leider nicht getragen werden.

Der von Ihnen beantragten Leistung liegt eine Diagnose zu Grunde, bei der es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung handelt.

Daher kommt in Ihrem Fall auch nicht die in § 2 Abs. 1a SGB V genannte Ausnahmemöglichkeit in Betracht.

Die Krankenkasse hat den Medizinischen Dienst (MD) eingebunden, um für Sie nach spezifischen vertraglichen Alternativen suchen zu lassen. Dies ist nach § 275 SGB V möglich. Die vom MD vorgeschlagene Perückenversorgung als Alternative wurde Ihnen im laufenden Verfahren genannt.

Der Widerspruchsausschuss bedauert, dass dem Widerspruch aus den aufgezeigten Gründen nicht abgeholfen werden kann.

Die Entscheidung über die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen ergibt sich aus § 63 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X).

Gegen diesen Bescheid ist innerhalb eines Monats nach dem Tage der Bekanntgabe die Klage
beim Sozialgericht zulässig. Die Klage muss innerhalb eines Monats bei dem genannten Sozialgericht schriftlich
eingehen oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Sozialgerichts erklärt werden. Die Klage kann ebenfalls in elektronischer Form beim genannten Sozialgericht entweder über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) oder per De-Mail erhoben werden. Unter egvp.de sind die Postfächer teilnehmender Gerichte verzeichnet. Registrierte De-Mail-Adressen von Sozialgerichten sind öffentlich unter de-mail.info/verzeichnis.html aufgeführt. Die Klageschrift soll die Beteiligten und den Streitgegenstand bezeichnen und einen bestimmten Antrag enthalten. Sie soll auch den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen oder Beweismittel angeben und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Von der Klageschrift, den sonstigen Schriftsätzen und nach Möglichkeit den Unterlagen sollen Abschriften für die Beteiligten beigefügt werden.

Nun, daran gibt es wohl wenig zu rütteln, alldieweil die vorhergegangenen Klagen allesamt mit ähnlichen Begründungen abgewiesen wurden. Ob eine Eigenhaartransplantation im wörtlichen Sinne nun wirklich “unkonventionell” ist, wage ich mal zu bezweifeln, zumal sie jedes Jahr tausendfach erfolgreich angewendet wird. Mit Verweis auf den EBM ist die Kasse dennoch fein raus. Zumal in diesem Fall (glücklicherweise) keine lebensbedrohende Situation vorliegt.
Allerdings habe ich mich in diesem Kontext schon gefragt, wie der Ausschuss mit transidenten Menschen umgeht, die derart unter ihrer Dysphorie leiden, ausgelöst oder befeuert durch die Haarsituation, dass sie depressiv sind und Suizidgedanken hegen? Ist das eine lebensbedrohliche Situation, in der die Kosten übernommen würden? In meinem Fall trifft das nicht zu, aber ich kenne genug transidente Menschen, die eben wegen der Genderdysphorie schwer depressiv sind und tatsächlich wiederholt Suizidgedanken geäußert haben.

Will sagen: für mich ist an dieser Stelle der Weg des Widerspruchs beendet, da eine Klage wenig bis keine Aussicht auf Erfolg hat. Das wäre verbranntes Geld, Zeit und Nerven. Ich gebe mich geschlagen – für den Moment.
Denn ich stimme der Begründung des Ausschusses weiterhin nicht zu. Natürlich haben sie Recht damit, dass eine Eigenhaartransplantation nicht Teil des Leistungskatalogs der Krankenkassen ist. Geschenkt. Schaltet man jedoch seinen gesunden Menschenverstand ein, ist es glasklar und offensichtlich, welche Erleichterung ein solcher Eingriff für Betroffene wie mich im Alltag bedeutet. Stattdessen nimmt die Kasse billigen einen lebenslangen Leidensweg in Kauf und zahlt lieber zehntausende Euro für neue Perücken, als mit einem einmaligen Eingriff das Thema los zu sein. Das Ganze ergibt weder aus Sicht von Betroffenen, noch aus Kostensicht, irgend einen Sinn.

Unterm Strich bleibt für mich ein sehr fader Beigeschmack bei dieser Geschichte und ich denke über Möglichkeiten nach, diese aus meiner Sicht untragbare Situation für künftige Betroffene zu verbessern. Bezugnehmend auf meinen letzten Artikel frage ich mich, mit wem ich sprechen muss und welche Hebel ich umlegen muss, um anderen trans Personen in Zukunft einen positiven Bescheid bescheren zu können, der dann vielleicht so aussehen könnte:

“Wir haben gute Nachrichten für Sie: wir unterstützen Ihre geplante medizinische Maßnahme der Eigenhaartransplantation und übernehmen auf Basis Ihres Antrags die Kosten für diesen Eingriff.”

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