Schon seit ich ins Berufsleben eingestiegen bin, beobachtete ich immer wieder Dinge, die meiner Meinung nach nicht rund liefen, oft genug mit dem Argument: „Das haben wir immer schon so gemacht“. Das konnte ich nie gelten lassen und habe immer wieder den Status Quo hinterfragt. Das brachte viel Gegenwind mit sich, die Entwicklung der Dinge gab mir aber am Ende meistens Recht. Dieser Tage befasse ich mich mit dem Thema „Feedback“ in beruflicher Hinsicht und ich denke, es ist wieder Zeit, den Wandel von der Grasnarbe her anzustoßen.
Doch zunächst die Frage, inwieweit das mit meiner Transition zu tun hat? Das ist relativ simpel:
Seit meinen Coming Outs und dem Beginn meiner Transition hat sich in mir innerlich sehr viel getan. Ich fühle mich viel mehr mit mir selbst verbunden, was mir innerlich ein ganz neues Standing verleiht, das allen Rückmeldungen zu Folge auch nach außen strahlt.
Vor diesem Hintergrund scheint so langsam der Zeitpunkt gekommen, eine lange brachliegende Baustelle zu reaktiveren: das Einstehen für mich selbst, das Einstehen für meine Position, meine Meinung und meine Interessen!
In Bezug auf meine (Geschlechts-)Identität klappt das schon ganz gut, denke ich. Doch in anderen Bereichen sehe ich da noch Nachholbedarf. Zu oft verkaufe ich mich unter Wert. Davon haben viele Menschen in meinem Leben profitiert. Im Sinne der eigenen Interessen, vor allem aber finanziell.
Doch eines haben mich die vergangenen Monate gelehrt: ich bin nicht mehr bereit, mich derart zurückzunehmen und immer wieder die Dumme zu sein, die nachgibt. Denn nicht der Klügere gibt nach, das ist totaler Unsinn. Der Klügere zieht oft genug die Arschkarte, wenn er nachgibt – denn dann regieren die Dummen die Welt.
Ich schweife ab. Kommen wir zurück zum Feedback und dem Anstoßen des Wandels:
Beim meinem Arbeitgeber existiert seit ich denken kann ein hochgradig formaler und monolithischer Beurteilungsprozess für Mitarbeiter. Er beruht noch auf Grundsätzen, die Anfang der 2000er gehypt wurden, doch mittlerweile als überholt gelten. Schon vor einigen Jahren bekam ich Einblicke bei einem vollständig agil arbeitenden Unternehmen, die unter anderem auf die Peer Feedback Methode setzen. Dort setzen sich Mitarbeiter mit einigen Kollegen zusammen und lassen sich Feedback über die Zusammenarbeit und mögliche Entwicklungsperspektiven geben.
Dabei wird stets Wert darauf gelegt, das Feedback konstruktiv und zum Wohle des Feedback-Nehmers zu gestalten. Dafür gibt es zahlreiche Ansätze, beispielsweise „Keep, Start, Stop“. Also welche Dinge sind gut und sollten beibehalten werden, welche Dinge könnte man mal ausprobieren und beginnen und welche Dinge sind weniger hilfreich und sollten / könnten abgestellt werden.
Keep, Drop, Try
Eine vergleichbare Methode wende ich oft und erfolgreich bei Workshops und Trainings in der abschließenden Feedback-Runde an. Und da ich nun selbst auch einmal wissen wollte, wie mich meine Kollegen und unsere Zusammenarbeit sehen, insbesondere seit Beginn der Transition, habe ich mich an 5 Kollegen gewendet und um folgendes Feedback gebeten:
- Welche 3 Hashtags fallen dir spontan zu mir und unserer Zusammenarbeit ein?
- Keep: Was sollte ich deiner Meinung nach beibehalten? Was findest du positiv?
- Drop: Gibt es etwas, was aus deiner Sicht weniger hilfreich ist und abstellen könnte / sollte?
- Try: Hast du Ideen, was ich ausprobieren kann, um Zusammenarbeit, Arbeitsweise, Ergebnisse oder Qualität zu verbessern?
Beim Verfassen der Mails war mir offen gestanden schon ziemlich mulmig zu Mute. Damit würde ich mich im übertragenen Sinne nackt ins Rampenlicht stellen und mir anhören, was meine Kollegen über mich und unsere Zusammenarbeit denken. Puh. Und ich hatte wahnsinnigen Bammel vor negativem Feedback. Ich denke, das hört niemand gerne. Und insbesondere wenn Punkte angesprochen werden, die ich an mir selbst auch schon bemerkt habe und auf die dann nochmal separat hingewiesen wird. Autsch.
Aber, ich dachte mir: „Liebes, be brave! Du kannst daran nur wachsen! Verlasse die Komfortzone.“
Unerwartete Rückmeldungen
Wie so oft im Leben waren meine Ängste aber vollkommen unbegründet. Zwar hatte ich bis dato erst zwei Feedback-Gespräche, doch diese hatten es an positiver und hilfreicher Rückmeldung in sich!
Was mich aber im Sinne der Grasnarbenbewegung besonders gefreut hat war, dass beide Kollegen sich wünschten, das Feedback auch anders herum von mir zu bekommen und dass wir das im Unternehmen viel häufiger machen und etablieren sollten. Yes! Treffer, versenkt! Ich bin mir zwar noch unschlüssig, wie und wo dieses Thema am besten platziert werden könnte, um wirklich einen nachhaltigen Effekt zu haben, aber das soll nicht weiter Gegenstand dieses Artikel sein.
Vielmehr freue ich mir nen Keks über solches Feedback:
Du bist mega selbstbewusst!
Oder das hier:
Ich glaube, es gibt niemanden im Konzern der besser dafür geeignet ist, um Thema XY zu betreuen.
Und:
Ich denke, du könntest eine gute Führungskraft sein.
(Update 18.03.):
Du wärst meine Traum-Projektmanagerin für unser agiles Projekt.
Das geht runter wie Öl. 🙂 Erst recht, wenn beide Feedback-Geber äußern, dass ihnen bei „Drop“ nicht wirklich etwas eingefallen ist. Gut, am Ende fanden wir dann doch noch Themen, an denen ich ohnehin selbst noch arbeiten möchte (siehe oben: Thema Standing, Position vertreten), aber wenn ich auf die vergangenen Monate zurückblicke, habe ich dabei ein gutes Gefühl für die Zukunft.
Und wer weiß? Vielleicht verbreitet sich meine (geklaute) Idee vom Peer Feedback im Unternehmen. Ich wünsche es mir jedenfalls, denn es geht wertschätzend mit den Menschen um und hilft ihnen dabei, persönlich zu wachsen.
Weitere Beobachtungen
Was mir in Bezug auf meine Transition dazu noch auffiel, war das Thema Weiblichkeit. Dazu schaute ich heute auch ein YouTube-Video speziell für Frauen im Job. Wir haben oft das Problem, uns unter Wert zu verkaufen, eher zurückzustecken, aber eben auch menschlicher und Team-orientierter zu arbeiten als Männer. Als ich mich mit dieser ganzen Thematik in den letzten Tagen näher befasst habe und diese weit verbreiteten femininen Muster mit mir selbst verglich, bestätigte das nur wieder einmal, was ich ohnehin schon wusste:
Ich bin eine Frau. Aber sowas von!
And I’m freaking proud of it!
Nachtrag:
Was mir beim erneuten Durchlesen des Artikels wiederholt auffiel: es ist doch erstaunlich, wie sehr sich (m)eine Transition auf alle Lebensbereiche auswirkt. Nicht nur das äußere Erscheinungsbild und das Körperliche, sondern literally auf alles, wie eben die Einstellung zu Themen im Job oder privat und daraus resultierend neue / andere Handlungsweisen als früher.
Dazu hörte ich vor einigen Tagen den Bericht von Jill, die nach einigen Jahren Transition von sich sagte, sie sei ein ganz anderer Mensch geworden. Am Anfang meiner Transition erklärte ich noch großspurig: „Ich bin ja immer noch der gleiche Mensch“. Doch ich merke so langsam, dass diese Aussage nicht länger haltbar ist. Dafür passiert innerlich wie äußerlich einfach zu viel mit mir. Und ich bin wahnsinnig gespannt, wo ich mit dieser Entwicklung in 1, 2, 5 Jahren stehen werde…